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Die Abgelehnten

Bild der 16. Woche - 15. April bis 21. April 2024

Henri Fantin Latour, Das Atelier in Batignolles, 1870, Öl auf Leinwand, Musée d'Orsay Paris
© Foto: bpk RMN Grand Palais Hervé Lewandowski

Auf dem großen Gemälde von Fantin-Latour sind sie versammelt, die rebellischen Erneuerer der Kunst des Jahres1870. Allesamt gutbürgerlich gekleidete,teils – wie Bazille, Manet oder Degas –sogar wohlhabende Herren, die sich imdamals bei Künstlern beliebten Viertel Batignolles im Pariser Norden treffen,um ihrem Freund Manet beim Porträtieren zuzuschauen. Auch das Atelier ähnelt eher einer noblen Wohnstube als einem kreativen Arbeitsumfeld. Sehen so Revolutionäre aus?

Und doch sind sie es, wie wir heute wissen. »Impressionisten« werden sie erst vier Jahre später genannt, als sie im April 1874 als »Société anonyme des artistes, peintres, sculpteurs, graveurs« im Atelier des Pariser Fotografen Nadar ihre erste Gruppenausstellung organisieren – an dieses Datum vor 150 Jahren erinnert das Wallraf mit seiner großen Schau. In der Ausstellung bei Nadar präsentiert Monet auch sein Gemälde »Impression, Sonnenaufgang« mit dem Hafen von Le Havre im Morgennebel fast ohne räumliche Wirkung, kurze Pinselstriche geben atmosphärisch das Spiel des Lichts wieder. Die Kritik ist vernichtend: »Welch eine Freiheit und welch eine Dreistigkeit in der Ausführung! Tapetenpapier im embryonalen Zustand ist noch sorgfältiger ausgeführt als diese Malerei.«

Wie so oft: Was abwertend gemeint war, wandelt sich zum Markenzeichen. Schon 1878 wird die Bezeichnung »Impressionisten« geläufig und die Maler*innen dieser Richtung allmählich salonfähig.
À propos »Salon«: Der ist nämlich der Grund für das Aufbegehren der Kunstrebellen. Im Salon de Paris dürfen seit dem 18. Jahrhundert alljährlich die besten Künstler ihre Werke der Öffentlichkeit präsentieren. Über die Auswahl wacht eine strenge Jury. Millionen sehen sich den Salon an, der Andrang ist groß. Der Protest auch. Bevorzugt werden nämlich Mitglieder der Akademie und all die Maler, die sich mit Historienbildern oder exotischen und literarischen Themen an den herrschenden Kanon halten, in einer meist glatten und akademischen Malweise. Oft genug wird der Voyeurismus der Pariser Oberschicht bedient: viel nackte Haut – aber mythologisch verbrämt. Wer diesem Kanon nicht folgt,
hat geringe Chancen. 1863 kommt es zum Eklat: Eine besonders rigide Auswahl der Jury sorgt für erheblichen Unmut. Um diesen zu besänftigen, lässt Kaiser Napoleon III. (der persönlich die Salonmalerei bevorzugt) parallel zum Salon de Paris im Palais de l’Industrie einen »Salon desRefusés« – den Salon der Abgelehnten – ausrichten. Deren Werke können von nun an ebenfalls in einem Annexbau des Palais de l’Industrie besichtigt werden. Hier stellt Manet 1863 sein »Frühstück
im Grünen« aus.

1865 gibt es den nächsten Skandal. Die »Olympia« von Manet: Eine nackte Prostituierte schaut den Betrachter (ihren Kunden) an. Das Bild muss im Salon de Paris höher gehängt werden, damit die Spazierstöcke der davor protestierenden Zuschauer es nicht beschädigen. Die Episode zeigt, wie
emotionsgeladen damals in Paris über Kunst debattiert wird. Sie zeigt aber auch das, was der Kuratorin der Kölner Ausstellung, Barbara Schaefer, wichtig ist: Die Formel »Salonkunst« als Hort der Akademie gegen »Abgelehnte« als Ort der Progressiven ist allzu einfach. Auch im offiziellen Salon haben aktuelle und umstrittene Werke eine Chance. Manet nimmt an der Ausstellung der Impressionisten 1874 nicht teil und legt eher Wert darauf, im Salon de Paris vertreten zu sein. Manche »Impressionisten« stellen ihre Werke sowohl dort als auch im»Salon der Abgelehnten« aus.

Als das Gruppenbild von Fantin-Latour entsteht, ist die Welt noch in Ordnung. Kurz danach beginnt der
Deutsch-Französische Krieg. Bazille meldet sich freiwillig und stirbt 1870 auf dem Schlachtfeld mit nur 28 Jahren. Monet und Camille Pissarro fliehen nach London, wo sie den ebenfalls dorthin geflüchteten Pariser Galeristen Paul Durand-Ruel kennenlernen. Der Beginn einer langen Freundschaft: Er wird der unermüdliche Sponsor der Impressionisten. Diese organisieren von 1874 bis 1886 acht Ausstellungen, allesamt als Gruppe und ohne jegliches Zutun der Akademie. Was man auf dem Gemälde von Fantin-Latour unter den bürgerlichen Herren jedoch vergeblich sucht, ist eine Frau.

Dabei gibt es sie. Die Amerikanerin Mary Cassatt etwa. Oder Berthe Morisot, die auf allen Ausstellungen der Gruppe seit 1874 vertreten ist – außer im Jahr 1879, weil sie da ihre Tochter zur Welt bringt. Sie ist verheiratet mit Eugène Manet, dem Bruder des Malers. Kunst studieren darf sie als Frau nicht, auch
nimmt sie nicht an den regelmäßigen Treffen der Gruppe im Café Guerbois im Batignolles-Viertel teil. Eine Dame im Café: Das widerspricht der bürgerlichen Moral. »Morisot ist eine Frau und somit
launisch«, ätzt die Kunstkritik. Dabei ist ihre Malweise kühn und längst nicht so bieder wie einige Bilder ihrer männlichen Kollegen.

Dennoch verkörpern die Impressionisten die Avantgarde. Zunächst will keiner ihre Werke kaufen, doch schließlich erobern sie den Kunstmarkt in Europa und den USA. Heute sind ihre Gemälde weltbekannte Publikumsmagneten. Und werden für Millionenbeträge gehandelt.

M. Kramp