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Mit Liebe zum Detail

Bild der 08. Woche - 19. Februar bis 25. Februar 2024

Flügel eines Diptychons mit Szenen der Leidensgeschichte Christi, Paris (?), um 1280–1300, Elfenbein mit geringen Spuren farbiger Fassung, Museum Schnütgen, Köln, B 177, Foto: Stephan Kube/SQB

Auf einer Höhe von gerade einmal 18 cm tummeln sich auf dieser Elfenbeintafel 24 Figuren, die auf lebendige Weise und in einzigartigem Detailreichtum Ereignisse der Passion Christi schildern. Dargestellt ist unter anderem Longinus, der Christus bei der Kreuzigung mit einer Lanze die Seitenwunde zufügt. Er hält sich die Augen zu zum Zeichen, dass er durch das Blut Christi sehend wird. Nikodemus zieht mit einer langen Zange den Nagel aus Christi Fuß, als dessen Leichnam vom Kreuz genommen wird. Eine Frau am Grab Christi mit kleinem Salbgefäß ausgestattet, hebt das Leichentuch aus dem Sarkophag, während ein Engel ihr von der Auferstehung berichtet.

Seit Anfang des Jahres bereichern mehrere neuerworbene mittelalterliche Elfenbeinschnitzwerke die Schausammlung des Museum Schnütgen. Darunter dieser rechte Flügel einer um 1280 entstandenen zweiteiligen Relieftafel. Auf dem gesamten Diptychon entwickelt sich die Erzählung der Passion auf drei Ebenen von links unten nach rechts oben. Im unteren Bildfeld dieses Flügels wird Christus vor Pilatus geführt. Daneben schließt sich eine selten dargestellte Szene an: Zwei junge Schergen verspotten und foltern Christus, indem sie mit der einen Hand eine imaginäre Krone über dessen Haupt halten und mit der anderen ein um seinen Kopf gewickeltes Tuch straffziehen.

Der Christusfigur im Mittelteil der Tafel wird verhältnismäßig viel Raum gegeben. Seine weitgreifende Körperdarstellung sowie die ursprünglich auf ihn gerichtete Lanze und der Stab mit Essigschwamm lenken den Blick auf die Kreuzigung. So wird nicht nur die zentrale Stellung der Szene bei der Passion unterstrichen, sondern auch ihre wichtige Rolle bei der privaten Andacht. Denn für diesen Zweck war die Tafel ursprünglich gefertigt. Vor dem aufgeklappten Bildwerk konnte gebetet werden, während das Geschehen anhand der Bilder nachvollziehbar wurde und zum Mitfühlen einlud.

Wie bei allen Szenen erschließt sich die gesamte Bedeutung der oberen Darstellung der Frauen am Grab erst im Zusammenspiel mit der zweiten Hälfte des Diptychons. Diese wird seit 1845 im Musée du Louvre aufbewahrt. Auf der Pariser Hälfte wird der Leichnam Christi auf einem Tuch gebettet ins Grab gelegt. Noch im selben Bildfeld begegnet der auferstandene Christus Maria Magdalena und untersagt ihr, ihn zu berühren. Bei der in Köln ausgestellten Gegenseite wird das Tuch, das eine der Frauen aus dem leeren Grab hebt, nun zu einem greifbaren, haptischen Indiz für die Auferstehung.

Der Bildzyklus schließt mit dem Abstieg Christi in die Unterwelt ab: Christus befreit Adam und Eva aus dem Höllenschlund. In der Bibel erscheint diese Szene zeitlich vor der Auferstehung. In mittelalterlichen Passionsspielen, bei denen die Leidensgeschichte Christi wie in einem Theater nachgespielt wurde, wurde die Episode jedoch häufig wie hier erst im Anschluss wiedergegeben. Könnte ein solches Passionsspiel bei der Konzeption des Schnitzwerks womöglich als Inspiration gedient haben? Die vielen liebevoll gestalteten Handlungsdetails und die individualisierten Gesichter, die sich in dieser Art nur bei wenigen Vergleichsstücken finden, lassen die Szenen fast wie ein eingefrorenes Schauspiel wirken. Besonders der auf dem Sarkophagrand sitzende Engel wendet sich mit seiner Botschaft wie auf einer Bühne den Zuschauenden ebenso zu wie den beiden Frauen.

Die Tafel ist zusammen mit weiteren Neuerwerbungen bis zum 7. Juli in einer Sonderschau im Museum Schnütgen zu sehen.

Jule Wölk