Bild der 51. Woche - 20. Dezember bis 26. Dezember 2021
Peter Wtewael, Die Anbetung der Hirten, 1628, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv.nr. WRM Dep. 896
»Ich habe auch gesehen […], dass alsbald die Hirten gekommen sind, auf dass sie das Kind sahen und anbeteten. Und nachdem sie es erblickt hatten, so wollten sie wissen, ob es ein Knabe oder ein Mädchen sei, weil doch die Engel ihnen verkündet hatten, dass der Heilsbringer geboren sei und nicht die Heilsbringerin. Darum zeigte ihnen die Jungfrau das männliche Geschlecht des Kindes, das sie daraufhin mit großer Ehrwürdigkeit und Freude anbeteten,« berichtet die Heilige Birgitta von Schweden in ihren »Himmlischen Offenbarungen« (1372/73).
Unser Maler, der Utrechter Peter Wtewael (1596 – 1660), Sohn und Schüler des berühmten Joachim Wtewael, scheint diese treuherzige Erläuterung geradezu wörtlich genommen zu haben:
Maria, Josef, der Ochse und die Hirten umgeben das Christuskind schützend im Halbkreis. Wir dürfen von vorne ganz nah herantreten. Josefs Blick lädt uns ein. Die Gottesmutter lüftet vor aller Augen das Windeltuch und präsentiert das nackte Kind. Seine Blöße offenbart: Gottes Sohn ist ein Knabe aus Fleisch und Blut – auch wenn seine aufgestellten Beinchen sittsam die Scham verdecken. Arglos und in entspannter Haltung schaut der wonnige Kleine von seiner Krippe zu uns herab, als ahne er – das »Lamm Gottes« – noch nichts von seinem späteren Opfertod am Kreuz. Ein Lämmchen, das mit gebundenen Läufen unter der Krippe am Boden liegt, kündet jedoch bereits davon.
Wie in Birgittas Vision geschildert, beobachten die Hirten das Geschehen ehrfürchtig und voller Freude. Sie verkörpern die drei Lebensalter und stehen damit stellvertretend für die ganze Christenheit: Ein lachender Jüngling mit Dudelsack zückt sein Barett, ein Hirte mittleren Alters kniet sanft lächelnd im Gebet nieder, ein Greis blickt ihm über die Schulter.
In der Bildmitte packt Josef den Ochsen energisch am Horn und symbolisiert hierdurch Glaubensstärke. Die prominente Platzierung des Tiers erklärt sich u. a. aus seiner Rolle als Attribut des Evangelisten Lukas, dem Verfasser des Weihnachtsevangeliums, der zugleich Patron der Malergilde war. Selbstbewusst chiffriert Wtewael damit auch Verdienst und Ruhm der Kunst: Denn nur Dank der Malerei können wir alle Augenzeugen des Heilsgeschehens werden.
Das Gemälde besticht auch durch die große Natur- und Lebensnähe der biblischen Figuren und vieler Details, bis hin zu dem Schmutz unter den Fingernägeln Mariens. Monumental und voller Plastizität tritt die Szene buntfarbig aus dem Dunkel eines Stalles hervor, auf den die heute kaum noch erkennbare Futterkrippe am oberen Bildrand hinweist.
Wtewaels Prägung durch die niederländischen Caravaggisti der Utrechter Malerschule ist offensichtlich. Zu ihren Hauptvertretern gehörte Gerrit van Honthorst. Höchstwahrscheinlich kannte Wtewael die berühmte Anbetung der Hirten, die Honthorst 1622 nach seiner Rückkehr aus Rom in Utrecht geschaffen hatte und die heute ebenfalls im Wallraf-Richartz-Museum bewahrt wird (Abb. 1). Auch wenn Wtewael viele Motive des Malerkollegen zitiert – auf Honthorsts übernatürliches Leuchten des Christuskindes verzichtet er bei seiner Anbetung. Er holt das Geschehen ganz auf den irdischen Boden, vielleicht sogar in seine eigene Gegenwart. Denn offenbar – so zeigt es der Vergleich mit Bildnissen im Centraal Museum Utrecht – standen dem Maler für Maria und Josef Familienmitglieder Modell: seine Schwester und der Schwager. Antonetta und Johan Pater waren im Entstehungsjahr des Gemäldes gerade selbst junge Eltern geworden. Ein Zufall? In ihrem Nachlass findet sich passenderweise eine »Christnacht mit lebensgroßen Figuren.«
Das stimmungsvolle Gemälde gehört zu einem wertvollen Konvolut, das der Postinspektor, Sammler und Galerist Kasimir Hagen (1887 – 1963) der Stadt Köln vermachte. Es kann heute in der Barockabteilung des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Heiligen Familien von Geldorp Gortzius (1604), Gerrit van Honthorst (1622, Abb. 1) und Peter Paul Rubens (1638) besichtigt werden.
Anja K. Sevcik