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Die überraschende Kugel

Bild der 48. Woche - 29. November bis 5. Dezember 2021

Helen von Boch, Federigo Fabbrini, Stapelgeschirr „La Boule“, Villeroy & Boch, 1971, MAKK, Foto: © Sascha Fuis Fotografie, Köln

Nicht nur zu Weihnachten ein Hingucker: Die Kugel, die Funktionalität und formschönes Design in sich vereint.

»Die Kugel enthält ein komplettes Service für ein Dinner zu zweit, für ein Menü zu viert – jederzeit servierbereit«. So wurde sie 1972 als »herstellungstechnische Bravurleistung« angepriesen. Denn ähnlich dem Wunderwerk der russischen Matrjoschkas zaubert »La Boule«, wie sie auch genannt wird, in zum Teil ineinander verschachtelter Konstruktion, aus vier flachen Tellern, vier tiefen Tellern, vier Kompottschälchen, einer Terrine mit Deckel, einer Servierplatte und einer Gemüse- und Salatschüssel eine Kugel. Sie kann so praktisch verstaut, stilvoll präsentiert und einfach zum Tisch transportiert werden. Aus 1 mach 19 – voilà!

Im Space Age Design der 1960-er Jahre hatte man die Kugel als Form wieder entdeckt. Nachdem 1957 der kugelrunde, russische Satellit »Sputnik I« in die Erdumlaufbahn geschossen wurde, führte die Weltraumbegeisterung auch zur Übernahme dieser Form in verschiedenste Möbel und Gebrauchsgegenstände. Die englische Bezeichnung unserer Geschirrkugel, »Sphere« wie Himmelskugel, scheint darauf zu deuten.

Die Idee zu diesem Steingutservice hatte 1971 die Designerin Helen von Boch. Gemeinsam mit dem italienischen Keramiker Federigo Fabbrini wurde es von ihnen für die neue »Avantgarde« -Reihe der Porzellanmanufaktur Villeroy & Boch entworfen. Die beiden hatten sich zuvor in der italienischen Keramikstadt Faenza kennengelernt. Künstlerische Begabung gab es in der Familie von Boch seit 10 Generationen, Helen von Boch gehörte zu den insgesamt 22 Künstler*innen. Für das Produktdesign des Geschirrs wurde sie 1972 mit dem IF-Produkt-Design-Award ausgezeichnet.

Geschirr war schon in vorherigen Jahrhunderten stapelbar, man erzielte jedoch vor der maschinellen Serienfertigung nie die Perfektion des Formschlusses und das Maß der Standardisierung, das durch die Industrialisierung gelang. Das Kühlschrankensemble »Kubus«, von Wilhelm Wagenfeld für die Vereinigte Lausitzer Glaswerke AG von 1938, ist ein frühes Beispiel für Stapelgeschirr, das den Raum sinnvoll ausnutzt und zudem variabel ist.

Aber auch im Möbelbau war der Siegeszug des Stapelns zu verzeichnen: Der Hocker des finnischen Architekten Alvar Aalto von 1930 ist mit seiner runden Sitzfläche und den drei gebogenen Beinen dafür optimiert. Es folgten Stapelstühle der Eames oder die »Ameise« von Arne Jacobsen, bis hin zu Kunststoffstühlen, wie dem »Bofinger« von Helmut Bätzner oder dem »Panton Chair« von Verner Panton aus dem Jahr 1967. Das Stapeln entwickelte sich als die etwas andere Kulturtechnik zu einem ausgeklügelten Prinzip der Moderne.

»La Boule« ist mittlerweile eine exklusive Designikone. Damals wurde sie in zwei modischen Farbvarianten produziert: braun/weiß/cognac oder gelb/grün/orange. Im Jahr 2020 wurde das Service in limitierter Auflage neu aufgelegt: insgesamt sechs Sonderfarben und Künstler-Designs – für zwei Personen und mit sieben Teilen. Darunter, passend zur Weihnacht, »Toy's Delight.« Hier ist die Interpretation als Weihnachtskugel – mit immerhin 28 cm Durchmesser! – offensichtlich.

E. Schwering