Die Flasche in der Flasche

Bild der 34. Woche - 24. August bis 30. August 2020

Doppelflasche mit Schlangenfadendekor, Römisch-Germanisches Museum Köln, 3. Jahrhundert n. Chr., Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, Anja Wegner

Recht unscheinbar und milchig trüb steht die gläserne Flasche, die eigentlich ein zweihenkliger Krug oder Karaffe ist, in der Museumsvitrine. Aber sie hat es in sich. Im wahrsten Sinne des Wortes. Durch eine Öffnung im Gefäß sieht man im Inneren nämlich eine Miniaturflasche auf dem Boden stehen. Wie kommt die Flasche in die Flasche? Nicht durch die Öffnung in der Wandung! Diese haben die Museumsleute bei der Restaurierung der zerbrochen aufgefundenen Flasche frei gelassen, obwohl die passenden Scherben noch vorhanden sind. Die kleine Flasche im Inneren wäre sonst kaum zu sehen gewesen. Das Glas ist durch die Lagerung in der Erde chemisch verändert und dadurch fast undurchsichtig geworden. Ursprünglich war es kristallklar.

Das Geheimnis der Doppelflaschen lüfteten bereits im 19. Jahrhundert Glasmacher der Rheinischen Glashütten Actien-Gesellschaft in Köln-Ehrenfeld. Diese nahmen sich besonders originelle römische Glasobjekte aus Kölner Ausgrabungen zum Vorbild, um an die ruhmreiche Vergangenheit der Glasateliers des antiken Köln anzuknüpfen. Auch heutige Glasmacher inspirieren sich an den fantasievollen und kunstfertigen Produkten ihrer römischen Kollegen. Im praktischen Experiment gelangt die Flasche folgendermaßen in die Flasche:

Zuerst wird die innere, die Miniaturflasche hergestellt und beiseite gestellt. Dann bläst der Glasmacher den Gefäßkörper der äußeren Flasche mit der Glasmacherpfeife auf und formt von außen den Standboden. An diesen heftet er als Haltegriff eine Eisenstange, sprengt das Pfeifenrohr ab und formt nun hier an der Gegenseite mit Werkzeugen die Flaschenform bis zum Halsansatz. Jetzt kann durch die noch weite Öffnung der Außenflasche die Innenflasche mit einem zähflüssigen Glasklümpchen auf dem Innenboden befestigt werden. Abschließend gestaltet der Glasmacher den schlanken Hals mit der Mündung und garniert freihändig aus einem Glastropfen Henkel und Verzierungen an das fertige Gefäß.

Die zweihenklige Flasche gehört der Form nach zum gehobenen Trinkgeschirr und wurde als Karaffe auf die festliche Tafel gestellt. Als Doppelflasche gehört sie aber auch zu den sogenannten Scherzgefäßen. Gut vorstellbar ist, dass man mit einem solch originellen Gefäß Tischgäste überraschte und beeindruckte. War z. B. Rotwein in der Doppelflasche und wurde das Gefäß allmählich geleert, so muss es einen AHA-Effekt gegeben haben, wenn das Innenfläschchen sichtbar wurde.

Unsere Flasche-in-der-Flasche entdeckte man bei archäologischen Ausgrabungen unter der Kirche St. Severin in einem Areal des südlichen Gräberfeldes der römischen Stadt. Das Gefäß gehörte zu den überaus zahlreichen, vorwiegend gläsernen Beigaben eines Urnengrabes aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Insgesamt zehn weitere Gefäße aus Glas wie Krüge, eine Flasche, eine Schale, Parfüm- und Salbflakons sowie ein gläserner Kerzenleuchter, dann ein kleiner Tonbecher, vier Amulettperlen aus farbigem Glas, zwei Gemmen aus rotem Jaspis, zwei Spielwürfel aus Bein, eine Hängelampe und eine kleine Schere aus Bronze waren in dem Beigabeninventar enthalten. Das kuriose Scherzglas war darunter das größte und gewiss das kostspieligste unter diesen Grabgeschenken der Angehörigen für den Verstorbenen.

Rund ein Dutzend gläserne Doppelflaschen hat man im Westen des römischen Imperiums bisher gefunden. Die Fundplätze konzentrieren sich im Rheinland und es liegt nahe, dass die Gefäße in Kölner Glashütten angefertigt wurden. Nicht alle sind so gut erhalten wie unsere Flasche-in-der-Flasche aus dem Grab unter St. Severin.

M. Euskirchen