Die Energie der Objekte - Aufgeladen mit Bedeutung

Bild der 20. Woche - 18. Mai bis 24. Mai 2020

Stundenbuch, Brügge/Gent, Meister der Jannieke Bollengier, um 1510, fol. 16v–17r, Museum Schnütgen, Foto: RBA Köln, rba_c019370

Bergkristallkreuz, Rheinland (Köln?), Anfang 14. Jh., Museum Schnütgen,
Foto: RBA Köln, Patrick Schwarz, rba_d045869

Nkisi-Figuren minkisi minkondi, Demokratische Republik Kongo, Zentralafrika, Anfang 20. Jh., Rautenstrauch-Joest Museum, Foto: RBA Köln, Wolfgang A. Meier, rba_d005267

Eva Renée Nele, Collier und Ring, Gold, Koralle, Türkis, 1969, MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken

Kopfstütze in Form eines Tigers, China, Shanxi (Provinz), Changzhi, 1101/1200, Museum für Ostasiatische Kunst Köln, Dauerleihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung, DL 94,4, Foto: RBA Köln, Sabrina Walz, rba_d038555

Teeschale mit »Hasenfell«-Glasur, China, Südliche Song-Dynastie, 13. Jh., Museum für Ostasiatische Kunst Köln, Inv.-Nr. F 10,107, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken

Energie ist Alltag. Wir lassen unsere Häuser energetisch sanieren, wir tragen Energie in unseren Powerbanks im Rucksack herum und überstehen den Tag manchmal nur mit einem Energydrink. Aber auch im Museum spielt Energie eine wichtige Rolle, etwa wenn es um die Konservierung von Objekten geht oder, recht banal, um die Beheizung des Foyers. Aber welche Geschichten rund um das Thema Energie erzählen die Ausstellungsstücke abseits von den technischen Fragen ihrer Aufbewahrung und Inszenierung? Was können sie uns über den Umgang mit ganz individuellen und persönlichen Ressourcen sagen?

Die Heiligung des Tages

Ein kleines Stundenbuch im Museum Schnütgen beleuchtet die Gefühlswelten der Menschen im Mittelalter, die geprägt waren von extremen Schwankungen zwischen Glück und Katastrophe. Die Kunst konnte damals die krassen Gegensätze des Lebens vorübergehend in Balance bringen – zumindest für die des Lesens mächtigen adeligen Besitzer*innen. Die aufgeschlagenen Seiten des Stundenbuches machen deutlich, dass es nicht allein der bloße Text ist, der Trost und Energie spenden und den Tag zu vorgeschriebenen Stunden durch Gebete heiligen kann. Die Darstellung von Christus als Heiland und »Salvator mundi« werden auf den Seitenrändern ergänzt durch erbauliche Illustrationen von Blüten und Insekten.

Das Gebetbuch besteht aus ebenso kostbarem wie unscheinbarem Pergament. Mitunter ist es aber auch das Material selbst, das mit einer eigenen Botschaft in den Vordergrund tritt. So finden sich im Museum auffallend viele Objekte, die aus Bergkristall gefertigt sind, etwa ein Kruzifix aus dem 14. Jahrhundert, bestehend aus elf einzeln gearbeiteten Kristallstücken. Bergkristall als vollständig farblose Form von Quarz ist ein Phänomen, das die Menschen durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder durch seine besondere Reinheit fasziniert hat. Gegenwärtig hat Bergkristall eine Bedeutung als sogenannter Heilstein, etwa bei Hautleiden und depressiven Verstimmungen, darüber hinaus ist Quarz als Rohstoff zur Siliziumgewinnung nicht nur im »Silicon Valley« ein bedeutender ökonomischer Energieträger.

Das magische Innere

Auch bei den Nkisi-Figuren aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo, zu sehen im Rautenstrauch-Joest-Museum, geht es um das Material. Allerdings weniger um die sichtbare äußere Hülle aus Holz und Metall als vielmehr um das magisch aufgeladene Innere der Figuren. In der Dauerausstellung des Museums sind mehrere von ihnen in unterschiedlichen Größen zu sehen, aus dunklem Holz geschnitzt und teils so aufwendig mit Pflanzenfasern, Perlenschnüren und Metall geschmückt, dass man die darunterliegende Form nur noch erahnen kann. Die Figuren waren eng mit dem Schicksal derer, die sie besaßen, verbunden, die ihnen Opfer brachten, um in Notsituationen Kontakt zu den Vorfahr*innen aufzunehmen. Sie dienten zum Schutz vor Gefahren oder zur Heilung von Krankheiten. Die größeren Nkisi wurden dabei durch das Einschlagen von Nägeln aktiviert, ein ritueller Akt, der möglicherweise ab Ende des 15. Jahrhunderts durch christliche Kreuzigungsdarstellungen beeinflusst sein könnte.

Schutz und Schutzbedürftigkeit

Auch unsere vermeintlich so nüchterne Gesellschaft ist nicht weit vom Glauben an die besonderen Kräfte von Amuletten und Talismanen entfernt: Die Arbeiten der Frankfurter Künstlerin Eva Renée Nele von 1969, die sich in der rund 5 000 Jahre umspannenden Schmucksammlung des Museums für Angewandte Kunst befinden, sind ein anschauliches Beispiel für die Überlieferung einer mit Bedeutung aufgeladenen Materialität. Das Collier und der Ring bestehen aus Türkis, Gold und leuchtend roter Koralle. Diese Kalkausscheidungen winziger Meerestiere werden seit der Antike als Rohstoff für Schmuck verwendet und galten bis ins 20. Jahrhundert hinein als schutzspendendes und glücksbringendes Material. Heute hingegen ist die Koralle weniger ein Sinnbild für den Schutz des Menschen, sie ist vielmehr in Zeiten des Klimawandels zu einer Allegorie der Schutzbedürftigkeit der Natur geworden.

Auch der Tiger ist zu einem solchen Symbol für die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen geworden. Als Formgeber einer der im Museum für Ostasiatische Kunst aufbewahrten Kopfstützen jedoch hat er eine andere Bedeutung. Die schlummernde Energie der Großkatze ist in der farbig bemalten Grabbeigabe in Form eines Tigers zu spüren. Sie steht stellvertretend für die Sicherheit und ungestörte Ruhe im Jenseits, aber auch für den hohen sozialen Status des Grabherrn. Kopfstützen aus Keramik wurden ab dem 9. bis Ende des 14. Jahrhunderts populär, die aufwendige Gestaltung des Objektes spricht für eine kostspielige Grabausstattung.

Die Verbindung von Körper und Geist

Mit einer Teeschale aus dem 13. Jahrhundert, ein paar Räume weiter im Museum für Ostasiatische Kunst, wird die Verbindung von körperlicher und geistiger Energie vollendet. Denn der Genuss von Tee fördert im buddhistischen Kontext einen »Zustand außergewöhnlicher Inspiration und geistiger Sammlung«, wie es im Text der Kabinettausstellung »Trunken an Nüchternheit. Wein und Tee in der chinesischen Kunst« heißt. Die 1910 von den Gründern des Museums erworbene Schale erweitert diese Idee noch um einen weiteren Aspekt: den der Kontemplation der Schönheit des Objekts, dessen als »Hasenfell« bezeichnete Glasur bei der Elite besonders beliebt war. Aber nicht nur die Exponate sind durch ihre Schönheit, ihre Entstehung und Verwendung, auch durch ihre Geschichte aufgeladen mit Bedeutung – und somit mit Energie. Auch unser Leben ist geprägt von Auf- und Entladung, von Aktivität und Regeneration. So mancher Gegenstand im Museum kann uns helfen, das Auf und Ab einzuordnen.

J. J. Arens