Mahnung und Erbarmen

Bild der 1. Woche - 31. Dezember 2001 bis 7. Januar 2002

Christus mit Wurfschaufel, Umkreis des Roger von Helmarshausen, Kupferblech getrieben, Feuervergoldet 1. Viertel des 12. Jahrhunderts, Museum Schnütgen, G 578

"Jetzt ist aber Matthäi am letzten" - Diese nur noch selten gebrauchte Redewendung bezeichnet Situationen mit Weltuntergangsstimmung. Mit "Matthäi am letzten" ist das am letzten Sonntag des Kirchenjahres im Gottesdienst vorgetragene 24. Kapitel des Matthäusevangelium gemeint, in dem vom Ende der Welt und vom Weltgericht gesprochen wird. Auch dieses fast 900 Jahre alte Flachrelief zitiert den Evangelisten Matthäus mit Blick auf das Weltgericht. Auf dem Spruchband, das der auf dem Thron sitzende, die Welt richtende Christus in der Hand hält, ist zu lesen: "FUIT VENTILABRIUM IN MANU ET PURGABIT AREAM SUAM" - übersetzt: Er hat die Wurfschaufel in der Hand und er wird seine Tenne reinigen (Mt 3,12). Ganz ohne Zweifel ist diese Aussage auf das Strafgericht zu beziehen, das Christus am Ende der Welt über die Sünder verhängen wird. Unser, dem Umkreis des Roger von Helmarshausen zuzuordnender Meister, setzt diese drastische Thematik jedoch nicht in aller formalen Konsequenz um. Der streng frontal dargestellte sitzende Christus hält zwar die Wurfschaufel in der Hand, als habe er gerade mit einer ausladenden Bewegung die Spreu und den Weizen in die Luft geworfen, um beide durch den Wind trennen zu lassen, aber die Schaufel wird eher zur Warnung aufrecht gehalten und der ausgestreckte linke Arm verwandelt die Gesamthaltung stärker in einen Umarmungs- oder Begrüßungsgestus als in ein striktes Wegweisen der Verurteilten. Die Armhaltung erinnert auch deutlich an diejenige des Christus am Kreuz. Der Kontext der den Sündern drohenden Worte ist im Evangelium die Bußpredigt des Johannes. Johannes der Täufer ruft am Jordan taufend die Juden zur Umkehr. Er bezeichnet sich als Vorläufer Christi, der diesem den Weg bereitet. Seine scharfen Worte richten sich dabei an die Pharisäer und Sadduzäer, denen er ihre Falschheit vorhält (Mt 3,7-12). Es sind also nicht Jesu Worte, die der Weltenrichter hier in die Hand gelegt bekommt. Sie weisen auf das Gericht, sind aber kein Richterspruch. Es sind mahnende Worte - auch von Johannes dem Täufer so verstanden. Hinter den Worten - so scheint uns der Künstler durch seine formale Umsetzung sagen zu wollen - steht jedoch noch die sich im Kreuzestod äußernde Liebe Christi. Die Mahnung schließt den sich erbarmenden Richter nicht aus. Roger von Helmarshausen, in dessen Werkstatt dieses in Kupfer getriebene Relief entstand und das im vorübergehend geschlossenen Museum Schnütgen aufbewahrte wird, gehörte zu den bedeutensten mittelalterlichen Künstlern. Goldschmied und Mönch zugleich lebte er zunächst im maasländischen Kloster Stablo, dann in Köln und schließlich in Helmarshausen. Während seines Aufenthalten im Kölner Benediktinerkloster St. Pantaleon verfaßte er unter dem Pseudonym 'Theophilus Presbyter' die 'Schedula diversarum artium', die umfassenste Beschreibung der im Mittelalter angewandten Kunsttechniken.

T. Nagel