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Bild der 30. Woche - 24. bis 31. Juli 2000
Urlaubszeit - Ferienzeit - Photozeit. Die schönsten Momente des Jahres werden noch ein Mal so schön, wenn sie im Nachhinein mit Muße betrachtet oder an die Lieben zu Hause geschickt werden. Nichts Neues? Doch! In den 60-er Jahren des 19. Jahrhunderts sehr wohl. In Form der Ferrotypie (lat. ferrum = Eisen). Schnell und billig und zu allen Gelegenheiten. Diese Bilder auf Eisenblech waren das letzte der vier Unikatsverfahren in der Photographie, das sich gegen das Kopierverfahren von Papierbildern durchgesetzt hatte: 1. Die Königin dieser photographischen Unikatsverfahren, die Daguerreotypie, war vergleichsweise teuer, da sie aus versilberten Kupferplatten bestand. 2. Die Ambrotypie zu zerbrechlich, da die Kollodiumsschicht auf Glas aufgetragen wurde und 3. die Pannotypie zu anfällig für Knicke, da sie auf schwarzes Wachsleinwand produziert wurde. Obwohl die Hersteller ihren Vorteil priesen, waschbar zu sein. Blieb noch die Ferrotypie, von den Amerikanern salopp und liebevoll Tintypes (engl. tin = Zinn, Blech) genannt. Und blechern waren diese Bilder allemal, die nicht den geringsten künstlerischen Anspruch erhoben und dennoch der Demokratisierung des Porträts große Dienste leisteten. Entwickelt hatte diese Technik der französische Wissenschaftler Adolphe Alexandre Martin 1853, indem er geschwärzte Metallplatten mit einer nassen Kollodiumschicht versah. Doch in Europa konnte sich dieses Verfahren gegen die bereits bekannten zunächst nicht durchsetzen. Zu groß war der qualitative Unterschied zu den brillant scharfen und silbern glänzenden Daguerreotypien. Anders in den USA. Ein für die Amerikaner einschneidendes Ereignis, der Bürgerkrieg von 1861-65, verhalf der Ferrotypie zu unerwartetem Aufschwung. Die dünnen Plättchen waren so leicht, dass sie problemlos in die Feldpostbeutel passten und - im Gegensatz zu den Visitenkartenphotographien aus Papier, gegen Feuchtigkeit, Wärme, Knicke oder andere mechanische Beschädigungen unempfindlich blieben. Durch den dem Krieg folgenden großen wirtschaftlichen Aufschwung, durch die aufkommende Freizeitgesellschaft mit ihren durch den arbeitsfreien Sonntag ermöglichten Freizeitangeboten und durch die wachsende Mobilität der Gesellschaft entstand auch in den weniger begüterten Schichten der Bevölkerung ein gesteigertes Bildbedürfnis. Und da es noch nicht die leichte Amateurkamera gab, postierten sich an all jenen Punkten, wo Menschen sich in großen Mengen dem Freizeitvergnügen hingaben, die Photographen. Sie hielten den Moment fest und lieferten das Ergebnis direkt ab. So dienten Ferrotypien als Erinnerungsstück oder wurden, in einen Briefumschlag gesteckt, an die "Lieben Daheim" verschickt als Vorläufer der Fotopostkarte. Die Ferrotypie wurde so, zusammen mit der carte-de-visite zu dem Medium, das die Photographie erst richtig populär machte. Und als solche wurde sie in den 70-er Jahren des 19. Jahrhunderts wieder nach Europa rückimportiert. Als Neuheit gepriesen, bezeichnete das photographische Gewerbe die Erfindung des Parisers Martin nun als "amerikanische Schnellphotographie". In dieser Marktniesche überlebte die Ferrotypie auf den Jahrmärkten in Europa bis in die 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts und in Mexiko - so sagt man - noch bis heute.
K. Rodrian