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Bild der 42. Woche - 18. bis 25. Oktober 1999
Aufmerksam verfolgen die fünf im Halbkreis auf den Tatami-Matten sitzenden Gäste, wie der Gastgeber aus dem Kessel mit kochendem Wasser das Geschirr ausspült und das Wasser für den Tee in die Teeschalen eingießt. Der Ausschnitt aus einer Querrolle, die die Rituale der japanischer Aristokraten des 17. Jahrhunderts darstellt, entstand zu einer Zeit, in der sich die heute noch gepflegte Form der Teekunst (jap. "Chanoyu") entwickelte und durchsetzte. Im Laufe der Jahrhunderte wurde "Chanoyu" (wörtlich: "heißes Teewasser") zu einer eigenständigen, rein japanischen Kunstform, die nicht nur die Zubereitung des Tees beinhaltete, sondern auch Bereiche wie Gartenkunst, Architektur, Kalligraphie, Lack, Ikebana, Keramik beeinflußte. Ursprünglich als Medizin im 8. Jh. über China nach Japan gekommen, sollte der Tee die buddhistischen Mönche bei der Meditation wachhalten. Das daraus entstandende Zen-Ritual griffen die an strenge Regeln gewöhnten Samurai-Krieger auf. Die ab dem 13. Jh. neuaufstrebende Führungsschicht vermied, sich mit der Nachahmung der Kultur des alteingesessenen Adels lächerlich zu machen. Sie nutzte die Teekunst, um eine eigene, auf ihrem Selbstverständis beruhende Kultur zu schaffen. Die Teekunst entwickelte sich aus dem Tee-Wett-Trinken, über dem luxuriösem "Tee im Studierzimmer" bis zum heutigen, im 16. Jh. entstandenen "Tee im Stil der Einsiedlerhütte". Man erhob die Selbstbeschränkung, sowohl räumlich als auch in der Ausstattung, eine kultivierte Armut ("wabi"), zum Ideal. Auch wer sich Luxus leisten kann, zieht noch heute die Schlichtheit und Einfachheit, fast primitiv und rustikal, vor. Statt wie zuvor glattes, künstlerisch hochwertig gestaltetes Porzellan aus China zu verwenden, wird einfache, rohe, unregelmäßige Keramik aus Japan und Korea hochgeschätzt. Mit der Reduzierung auf das Wesentliche und Schlichte entstand ab dem 16. Jh. eine neue, rein japanische Ästhetik. Auch wenn die Umgebung spartanisch schlicht gestaltet ist, das Teegerät im Sinne der "wabi"-Ästhetik asymmetrisch unvollkommen und grob aussieht, stehen hinter der vom "Zen-Geist" geprägten, hochstilierten Form des Teetrinkens viele Aspekte. Der Ablauf des Säuberns, Kochens, Essens und Trinkens variiert in der Teekunst von Schule zu Schule und kann in seiner Starrheit für Uneingeweihte sehr eigenartig wirken. Strenge Regeln legen jede Handbewegung fest, so wird z. B. der Bambuspinsel nach dem Aufschäumen des Tees mit einer Handbewegung in Form eines Schriftzeichens aus dem Tee genommen. Für jeden Gast vollzieht der Gastgeber das gleiche Ritual. Das Studium der richtigen Teezubereitung gehörte seit dem Ende des 19. Jhs. zur obligatorischen, traditionellen Ausbildung der "höheren" Tochter, aber auch der Geishas. Noch heute wird die Teekunst überwiegend von Frauen betrieben, obwohl der Titel des Großmeisters weiterhin auf den ältesten Sohn vererbt wird. Männer müssen heute nur wissen, wie man den Tee formvollendet trinkt: nach den vorgeschriebenen Handbewegungen und dem Drehen der Teeschale in drei Schlucken. Der für Teezeremonien verwendete intensiv grüne Pulvertee geht nämlich keine langfristige Verbindung mit dem Wasser ein. Er muß zügig getrunken werden, nachdem er vom Gastgeber mit dem Pinsel, dessen Form an einen europäischen Rasierpinsel erinnert, aufgeschäumt worden ist. Zwei Sorten von Tee werden abgeboten: ein "dünner" und ein "dicker" Tee. Der konzentrierte, dicke Tee, der eigentliche Tee des Rituals, ist auf nüchternen Magen unbekömmlich und schmeckt bitter. Da es aber ein Sakrileg wäre, diesen Tee zu süßen, wird vorher eine kleine Süßigkeit angeboten. Diese Süßigkeit wird kunstvoll passend zur Jahreszeit und zur Gelegenheit dekoriert. überhaupt ist die gesamte Umgebung, wie auf dem Bild dargestellt, das Räucherwerk, das Teegerät, die Kalligraphie und das Blumengesteck in der Nische, sogar die Anordnung der Kohlenstücke für den eingelassenen Ofen als ein Gesamtkunstwerk, so zu sagen als "Performance", zu betrachten. Mittelpunkt des Rituals sind aber die Menschen. In der Umgebung des eigens dafür eingerichteten Teezimmers oder Teehauses sind die sozialen Schranken für die Dauer der Zeremonie aufgehoben. Bedingt durch den bewußt klein gehaltenen Eingang mußten z. B. die Samurai ihre Schwerter ablegen. Die Harmonie der Gruppe, der friedliche Rahmen und die meditative Grundstimmung im Sinn des "Zen-Geistes" machen die Teezeremonie aus. Rein äußerlich eine profane Angelegenheit, verfolgt die Teezeremonie vier Ziele: 1. Harmonie; 2. Ehrfurcht (vor anderen); 3. Reinlichkeit (sowohl äußerlich wie innerlich), 4. Stille (oder auch Frieden - die Ruhe des Teeraums und der innere Frieden) Die Teezeremonie dient als Schule der geistigen Sammlung, sich konzentriert einer Sache hinzugeben und seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem aktuellen Moment zuzuwenden. Man tritt aus dem Alltag heraus und läßt ihn mit seinen Problemen hinter sich. Während der Teezeremonie sind Gesprächsthemen wie persönliche und gesellschaftliche Sorgen, Klatsch und andere Probleme tabu. Nur die unmittelbare Umgebung, die bereitgestellte Kalligraphie, das benutzte Teegerät etc., wird besprochen, beurteilt, wertgeschätzt. Es zählt der Augenblick und das Bewußtsein, daß man nie wieder in dieser Konstellation zusammentreffen wird. Selbst, wenn man im selben Raum mit den selben Leuten, in der gleichen Kleidung und dem selben Teegerät das Treffen wiederholen würde: das Wetter wäre nicht das gleiche, genausowenig wie die Stimmung der Menschen und damit die Menschen selbst. Die Ausbildung zur Teemeisterin/Teemeister dauert Jahre und Jahrzehnte und erfordert große Selbstbeherrschung. Nicht der individuelle Fortschritt ist das Wichtigste, sondern die schrittweise Selbstvervollkommnung innerhalb des Gesamtkunstwerks, die Harmonie in der Gruppe und die meditative Grundstimmung. Teemeister der Urasenke-Schule, eine der Schulen, die noch auf den Teemeister Rikyû (1521-1591) zurückgehen, führten am Samstag und Sonntag, den 23./24.10.1999 im Museum für Ostasiatische Kunst jeweils um 14.00, 15.00 und 16.00 Uhr ein Beispiel für eine Teezeremonie vor.
B. Clever