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Der "Fall Hodler" in Köln

Bild der 39. Woche - 27. September bis 4. Oktober 1999

Ferdinand Hodler, Kopfstudie einer Italienerin, 1910, 34,5 x 40 cm, Wallraf-Richartz-Museum, WRM 1210

Am 16. Oktober 1914 erschien in der "Kunstchronik", einem damals führenden Nachrichtenblatt der Kunstszene, unter dem Stichwort "Irregeleiteter Patriotismus" der folgende Kurzbericht: "In der modernen Abteilung der Gemäldegalerie [des Wallraf-Richartz-Museums] findet eine neue Sehenswürdigkeit viel Beachtung. Mitten zwischen den Bildern hängt dort eine Tafel, auf der zu lesen steht: "An dieser Stelle hing ein Bild von Ferdinand Hodler, der sich nicht gescheut hat, einen Genfer Protest mit zu unterzeichnen, in dem die Rede ist von einem ungerechtfertigten Attentat der Vernichtung der Kathedrale in Reims, das ... einen neuen Akt der Barbarei bedeute und die ganze Menschheit herausfordere." Das voller Empörung von der Direktion des Wallraf-Richartz-Museums abgehängte Gemälde, die "Kopfstudie einer Italienerin", war 1910 von dem Schweizer Maler Hodler gemalt worden, der damals hauptsächlich durch große Wanddekorationen, die sich mit politischen Ereignissen aus der Geschichte beschäftigten, zu einer europäischen Berühmtheit geworden war. Sein 1897 für das Treppenhaus des Schweizerischen Landesmuseums geschaffenes Monumentalfresko "Rückzug der Schweizerischen Söldner bei Marignano" machte ihn in der Schweiz bekannt und trug wesentlich zu seinem Ruhm auch in Deutschland bei. 1907 beauftragte die Universität in Jena den thematisch ausgewiesenen Maler mit einer monumentalen Dekoration aus der Geschichte der deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon, dem "Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg von 1813". Hodler gestaltete das Thema wie stets in äußerster Heroik und die emotionale Art der Darstellung war dem deutschen Publikum der Beweis, dass der aus der deutschen Schweiz gebürtige, allerdings in der französischen Schweiz lebende Hodler in der sich erneut anbahnenden Auseinandersetzung mit Frankreich auf der "richtigen" d.h. deutschen Seite stand. Hodler aber zögerte nicht, die 1914 angeblich aus Verteidigungsgründen notwendige Beschießung der Kathedrale von Reims durch deutsche Truppen öffentlich eine Kulturbarbarei zu nennen, was ihm als Verrat an der deutschen Sache ausgelegt wurde. Unser kleines Bild, das sicherlich und anders als das Jenaer Bild aus werkimmanenten Gründen nicht von der Emotion der großen Geschichte hätte tangiert werden müssen, ist also damals wegen seines Schöpfers in Strafhaft genommen worden und hat tatsächlich auch einmal und erstaunlicherweise eine politische Wirkung gehabt.

G. Czymmek