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Bild der 38. Woche - 20. bis 27. September 1999
Zwei große Augen blicken konzentriert auf die Pinselspitze. Sie steht still, vielmehr bewegt der chinesische Schauspieler Yuan Shi Hai sein Gesicht. Er "hakt", so heißt diese traditionelle Schminktechnik, seine für die Pekingoper charakteristische Gesichtsmaske. Es fehlt nur noch der Punkt in der Mitte der Stirn. Dieser steht für die Initiation in einen religiösen Orden. Die helle Grundfarbe deutet auf den Verzicht irdischer Begierden, eine wesentliche Eigenschaft des Mönchtums. Augen- und Mundpartie wirken hingegen auffallend expressiv. Die stark überzeichnete Oberlippe und ihre Ausstrahlungen bilden den oberen Teil des Bartes, der auf eine ehrfurchtgebietende Persönlichkeit schließen läßt. Die großen nierenförmigen Augen dominieren das Gesicht und wirken noch verstärkt durch die keulenförmig ausgearbeiteten Augenbrauen. Zwischen den Augen ist im Stil der Meister Pu Luoqing und Qian Jinfu die abstrakte Darstellung der Fledermaus (bianfu) gezeichnet. Die Fledermaus ist ein glückbringendes Zeichen und verweist auf ein günstiges Schicksal des Trägers. In dieser differenzierten "Gesichtsschrift" (lianpu), die in der Linienführung mit der kalligraphischen Kunst verwandt ist, wird mittels Überzeichnung oder Abstraktion versucht, das Wesentliche und die Kraft einer Figur einzufangen. Hier handelt es sich um das Mönchsgesicht (senglian), eine der über 500 historischen und legendären Gestalten der klassischen Form der Schminkmaske. Es stilisiert Mönche von robustem und unbeschwertem Charakter, deren außergewöhnliche Geschicklichkeit im Kampfsport und extrovertierte Persönlichkeit oft im Gegensatz zur Ruhe und Einfachheit des Klosterlebens stehen. Die seit 1949 in China lebende Photographin Eva Siao hält den subtilen Moment fest, in dem sich Yuan Shi Hai, ein erfahrener Darsteller von Schminkmaskenrollen (jing), in Lu Zhishen verwandelt. In der Oper "Der Wald der Wilden Eber", die auf dem Roman "Die Räuber vom Liangsham-Moor" aus der Song-Zeit (960-1280 n.Chr.) basiert, reist Lu Zhishen als ordinierter buddhistischer Mönch auf der Suche nach seiner wahren Identität durch das Land. Es heißt, er sei vom Geist des himmlischen Polarsterns geboren worden, um einer der 108 Rebellenführer vom Liangshan-Moor zu werden. Das Foto ist mit weiteren Werken der gleichen Photographin im Museum Ludwig, Köln, zu sehen (Graphikvorlageraum, Do. 11-12 Uhr und 14-16 Uhr, sowie nach telephonischer Voranmeldung 0221 221 22560).
K. Katthöfer