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Bild der 33. Woche - 16. bis 23. August 1999
Als die Photographin Erika Kiffl (*1939) im Jahre 1984 Japan bereiste, stellte sie Kommunikation mit der Kultur - deren Sprache sie nicht verstehen und deren Schrift sie nicht lesen konnte - über die Kamera her. Fasziniert von der rauschenden Masse dieser ihr unbekannten Sprache und deren intensiven graphischen Präsenz in der Öffentlichkeit wurde die japanische Zeichenwelt ihr photographisches Thema. Sie widmete ihre Photoserie "Das Reich der Zeichen" dem französischen Semiologen Roland Barthes (1915-1980), dessen gleichnamiges Buch (Frankfurt, 1981) sie inspiriert hatte. Läßt der Betrachter seinen Blick über die Photographie schweifen, so wird dieser nicht gelenkt. Die Photographie ist unperspektivisch, ohne Zentrum komponiert. Die Zweidimensionalität des Mediums wird betont und das Dargestellte durch die Schwarz-Weiß-Modellierung akzentuiert. Es entsteht ein graphischer Bildeindruck, der von der Ästhetik der Kalligraphie getragen wird. Für den Japan- und Schriftkundigen mag das ästhetische Vergnügen ebenfalls in der Identifizierung des Motivs liegen. Es ist eine Gedenktafel in einem buddhistischen Tempel, an der auf Holztäfelchen gedruckte Bittgebete (ofuda) für ungeboren gestorbene Kinder und Opfergirlanden (senbazuru), bestehend aus 1000 aus Papier gefalteten Kranichen, hängen. Laut Barthes, der in Japan erkannte, daß die japanische Zeichenwelt seinen Überzeugungen und Phantasmen zur Lehre des Zeichens am nächsten kommt, beruht die Ästhetik des japanischen Zeichens auf dessen Qualität. Es sei stark und leer zugleich. Anmutig in seiner Behauptung und erotischen Charme versprühend sei es allgegenwärtig in der japanischen Kultur. Das Erleben der Schrift vergleicht er mit dem Zen-Erlebnis satori. Ebenso wie dieses bewirke die Schrift- bei Schriftunkundigen - eine Sinnbefreiung und Leere. Kiffl visualisiert in ihrer Photographie die Barthesche Idee der "semantischen Meditation" und kreiert eine "ästhetische Meditation". Barthes selbst hat in Japan nicht photographiert. Eher gilt das Gegenteil: Japan hat ihn mit vielfachen Blitzen erleuchtet, oder genauer, hat ihn in die "meditative Situation" der Schrift versetzt.
K. Katthöfer