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Carlton - ein Regal schreibt Geschichte

Bild der 02. Woche - 8. Januar bis 14. Januar 2018

Ettore Sottsass: Regal "Carlton", 1981 und 1986. Holz, beschichtet und teilweise bedruckt, 196 x 190 x 40 cm. Köln, Museum für Angewandte Kunst Köln, Inv.-Nr. Ov 190, Zugang 1987 (Foto: RBA)

Nur noch eine Woche, dann startet am 18.01. wieder die imm Cologne, die wichtigste Einrichtungsmesse weltweit. Besonders das MAKK wird wieder ein spannendes Begleitprogramm bieten - kein Wunder, denn das Museum hat ja nun hochkarätige Designstücke in seiner Sammlung. Die sind derzeit allerdings nicht zu sehen, denn die Abteilung bekommt neuen Fenster. Daher zeigen wir eines der wichigsten Stücke der jüngeren Designgeschichte eben hier als Bild der Woche.

„Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again” – mit dem Song von Bob Dylan nimmt alles seinen Anfang: Im Dezember 1980 treffen sich einige junge Designer – darunter Michele De Lucchi, Matteo Thun und Barbara Radice – im Wohnzimmer von Ettore Sottsass, und es formiert sich die Gruppe „Memphis“. Zunächst mehr oder minder dem Zufall des vorherrschenden Musikgeschmacks geschuldet, hat der Begriff Memphis für die Gruppe eine viel tiefere Bedeutung.

Memphis - einerseits Zentrum des altägyptischen Reiches, andererseits eine die Stadt in Tennessee (USA), Ursprungsort des Rock'n Roll unter Elvis Presley. Am 18. Dezember 1981 wurde die erste Memphis-Kollektion in Mailand präsentiert und vom Publikum begeistert aufgenommen. Die Ausstellung umfasste insgesamt 31 Möbelstücke. Mit dem radikalen Design richtete sich die Memphis-Gruppe gegen das High-Tech Design der 1970er-Jahre und schmückte sich mit der Bezeichnung Anti-Design. Elementare Formen wie Kegel oder Kugel, Pyramide oder Würfel wurden phantasie- und lustvoll zu farbenfrohen und musterreichen Möbeln gestaltet.

In dem von Ettore Sottsass 1980/81 entworfenen Regal Carlton (ital. mobile divosorio) vereinen sich zahlreiche für Memphis typische Stilelemente: die bunt laminierten Regalböden, der fast völlige Verzicht auf rechte Winkel, die verspielte Ästhetik und das unzweckmäßige Design verwischen die Grenze zwischen Möbelstück und Plastik. Das vollständig zerlegbare Regal gilt als eines der prominentesten Beispiele für italienisches Design und wird bis heute hergestellt.

Das regal ist aber nicht nur bunt, es verweist auf Entwicklungen der bürgerlichen Gesellschaft. Hatte ein Gelehrter früher noch eine eigene Bibliothek, also einen gesamten Raum, der lediglich der Funktion der Buchaufbewahrung vorbehalten war, veränderten sich die Wohnverhältnisse spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg. Wer sich keine Bibliothek leisten konnte, rückte das Regal ins Wohnzimmer. Mit stetigem Zuwachs an Büchern begann man mit den Regalen auf die Gänge auszuweichen – so entstand der Bedarf an Systemmöbeln. Die Industrie reagierte Ende der 50er Jahre darauf; es entstanden wandbildende Schränke. Der wachsende, gebildete Mittelstand hatte jedoch das Bedürfnis, seine Literatur, die Schallplatten etc. zur Schau zu stellen. Mit der Tendenz zum offenen Wohnen bekam das Regal schließlich mehr und mehr die Funktion des Raumteilers.

Dank der heutigen Digitalisierung wird immer weniger Stauraum gebraucht, und so konzentriert man sich statt dessen auf wenige, auserwählte Bücher, die wie Kostbarkeiten behandelt und inszeniert werden wollen. Seit der Jahrtausendwende gibt es daher immer mehr Regale, bei denen die Inszenierung des Inhalts die vorherrschende Funktion bildet. Es bleibt abzuwarten, welche Innovationen die diesjährige Möbelmesse bringen wird.

M. Collette