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Der Zauber steckt im Detail

Bild der 50. Woche - 11. Dezember bis 17. Dezember 2017

Gebetsnuss in Form eines Marienkopfes, Deutschland (evtl. Niederlande?), 1. Hälfte 16. Jahrhundert. Obstholz (Birne?), 6,7 x 5,2 x 5,2 cm, Köln, Museum Schnütgen, Inv.-Nr. A 997 (Foto: RBA)

Diese Gebetsnuss – so winzig, dass sie in eine Handfläche passt – besticht durch ihre erstaunliche handwerkliche Virtuosität. Während die Schnitzerei mit ihrer äußeren Form eines Marienkopfes eher schlicht daherkommt, lässt sich kaum erahnen, welch prächtige, filigrane und kunstfertige Vielfalt sich im Innern verbirgt. Beim Aufklappen entfalten sich zwei aufwändig geschnitzte Szenen der Passion Christi. Derlei Miniaturschnitzereien rufen und riefen seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert immer wieder Staunen und Bewunderung hervor.

Luxusgegenstände der Privatandacht

Solche spätmittelalterlichen Gebetsnüsse bestehen meist aus einem feinmaserigen Holz (meist Buchsbaum), später auch aus Elfenbein, Metall oder anderen Materialien. Der genaue Gebrauch lässt sich nicht mit voller Sicherheit rekonstruieren, jedoch ist eine Funktion im Kontext des Rosenkranzgebetes anzunehmen. Sicher ist, dass solche Objekte, allein aufgrund ihrer aufwändigen Herstellung Luxusgegenstände waren. Die Blütezeit von Gebetsnüssen liegt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und ist in Zusammenhang mit einer vermehrt aufkommenden Privatfrömmigkeit (lat. Devotio Moderna; dt. Neue Frömmigkeit) im mitteleuropäischen Raum zu sehen. Die Herstellung eines Großteils der Gebetsnüsse wird in die Niederlande verortet, derweil andere Ursprungsorte nicht auszuschließen sind.

Der Zauber liegt im Detail

Der Marienkopf ist aus zwei Teilen geschnitzt, unterteilt in Gesicht und Hinterkopf. Beide werden durch ein hölzernes Scharnier auf der Oberseite des Kopfes verbunden. Der Gesichtsausdruck wirkt durch den starren Blick und den leicht geöffneten Mund emotionslos. Das Haupt ist bis auf das Gesicht mit einem Schleier bedeckt, der in der Halspartie plastische Falten bildet. Auf der Unterseite der Gebetsnuss befindet sich das Wappen der Stifterfamilie Imhoff aus Nürnberg.

Öffnet man die Nuss, entfalten sich zwei figurenreiche Szenen aus der Passion: die Kreuztragung und die Kreuzigung Christi. Mit einer Abmessung von ungefähr 7 cm sind diese Mikroschnitzereien nicht viel grösser als ein Streichholz, was umso mehr die minutiöse Handwerkskunst betont. So offenbart sich eine Szenerie mit einer Vielzahl an filigranen Figuren von wenigen Millimetern, welche ungeachtet ihrer geringen Größe über eine unerwartete körperliche Ausdruckskraft und Dynamik verfügen: Schwer liegt das Kreuz auf den Schultern Christi. Derweil der Feldarbeiter Simon von Cyrene versucht Christus die Last zu erleichtern, ist links im Vordergrund ein Soldat zu sehen, welcher zum Schlag ausholt, um den Leidtragenden voran zu treiben. Ebenso lebhaft und vielgestaltig präsentiert sich die Darstellung der Kreuzigung: Während in der Mitte der Darstellung Christus triumphierend am Kreuz hängt, winden sich an den Kreuzen rechts und links die beiden Schächer in schmerzverzerrten Posen.

Durch die feingliedrige Komplexität dieser Objekte, begibt sich der Betrachter auf eine visuelle Expedition, erkundet versteckte Details und entschlüsselt unerwartete Bilder. Eine solche Herangehensweise verlangt eine hohe Konzentration, womit eine verstärkte religiöse Versenkung einhergeht.

S. Schmid