Von Comics und Einhörnern

Bild der 25. Woche - 20. Juni bis 26. Juni 2016

Kissenplatte "Jungfrau mit Einhorn", Niederdeutschland, 4. Viertel des 15. Jh.s. Kissenbezug, Textilkunst, Wolle, H 59 x B 62,5 cm, Inv.-Nr. P 210 (Foto: RBA)

Didier Gonord: Variation der "Dame à la Licorne" (Foto: Institut français) 

Noch bis zum 13.07.2016 zeigt das Institut français in Köln eine Präsentation, an dem zwei unserer Museen beteiligt sind. Zusammen mit dem Musée de Cluny in Paris haben das Kölnische Stadtmuseum und das Museum Schnütgen an einer ungewöhnlichen Ausstellung mitgearbeitet: „Paris und Köln: Mittelalter-Mythen im Comic – Dame mit dem Einhorn und heilige Ursula“. Vertreten sind die Comiczeichner Didier Gonord und Ralf König – und sie beziehen sich beide auf Mittelalterliches: Ralf König auf die Legende von der Heiligen Ursula, die Kennern der hiesigen Szene durch eine Ausstellung im Kölnischen Stadtmuseum bekannt sein dürfte; und Didier Gonord auf die berühmte Tapisserie „Dame mit dem Einhorn“ im Pariser Musée de Cluny.

Und das Museum Schnütgen? Das Kölner Haus besitzt eine Kissenplatte, also die Vorderseite einer Kissenhülle, die vielleicht sogar in der Domstadt hergestellt wurde. Das Objekt aus der Sammlung des Museumsgründers Alexander Schnütgen zeigt eine junge Frau sitzen auf dem Rasen eines kleinen Gartens. Dieser kreisförmige Garten wird von einem geflochtenen Kranz eingehegt, der in seiner Form stark an die Dornenkrone Christi erinnert. Um diesen Kranz herum wachsen üppige und unwirtliche Disteln mit zahlreichen roten Blüten hervorgebracht haben. Ganz anders ist die Vegetation innerhalb der Dornenhecke: Das Gärtchen ist ein liebreizender Ort, ein „locus amoenus“. Hier wachsen Maiglöckchen, Nelken und rote Rosen.

Inmitten dieser Blumen also sitzt die junge Frau. Sie ist nicht allein geblieben, denn von rechts hat sich ein braunes Einhorn genähert, das zutraulich seine Vorderläufe in den Schoß der Frau gelegt hat. Einhörner, so heißt es im „Physiologus“, eines Naturlehre der bereits christlich geprägten Spätantike, sind wilde und starke Tiere. Kein Jäger kann sie erlegen oder fangen. Nur zu Jungfrauen fasst das Einhorn Zutrauen und lässt sich bändigen. Da Einhorn und Jungfrau in enger Beziehung zueinander stehen, kann es nicht verwundern, dass auch die jungfräuliche Muttergottes im Mittelalter häufig zusammen mit dem Einhorn dargestellt wurde.

Die Jungfrau der Kissenplatte sitzt gleichsam zwischen Disteln – eine Anspielung auf das Hohe Lied des Königs Salomon. Darin heißt es (2,2): „Eine Lilie unter den Disteln ist meine Freundin unter den Mädchen“. Auch dieser Vers ist oft auf die Muttergottes übertragen worden, und kurz zuvor (2,1) ist im Hohen Lied von der „Lilie der Täler“ die Rede. Im Mittelalter ist diese Bezeichnung von der weißen Lilie auf das Maiglöckchen übertragen worden, das auch "lilium convallium", also Tallilie, genannt wurde. Lilie und Maiglöckchen sind ebenfalls Jungfräulichkeitssymbole, während Nelke und rote Rose als Hinweise auf die Passion Jesu gelten. Es zeigt sich, dass die „Schöne und das wilde Tier“, die zuerst einen ganz weltlichen Eindruck machen, durch und durch von christlichem Denken durchwirkt sind.

Dies ist ein Stichwort. Das 15. Jahrhundert war die Blütezeit der Bildwirkerei in Deutschland. Vor allem am Mittel- und Oberrhein sowie im Frankenland wurden Bildteppiche, Antependien und Kissenplatten gewirkt. Das Wirken ist eine dem Weben eng verwandte Technik. Statt den Faden auf ganzer Breite des Webstuhls durch die Kettfäden zu ziehen, werden, den einzelnen Farben entsprechend, kleine „lnseln“ gewebt.

Th. BlisniewskiM. Hamann