Auf der Brücke

Bild der 3. Woche - 14. bis 20. Januar 2013

Edvard Munch, Vier Mädchen auf der Brücke, 1905, Öl auf Leinwand, 126 x 126 cm, Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud , Inv. Nr. 2816

Am 30. Dezember 2012 schloss hier im Wallraf die Ausstellung „1912 – Mission Moderne. Die Jahrhundertschau des Sonderbundes“. Mit 178.000 Besuchern war sie die erfolgreichste Ausstellung des Museums seit vielen Jahrzehnten. 115 damals hier ausgestellte Werke fanden abermals den Weg nach Köln. Wenigstens eines der in dieser Ausstellung gezeigten Werke musste nicht erst anreisen, denn es befindet sich schon seit langem in Köln: Edvard Munchs großformatiges Bild „Vier Mädchen auf der Brücke“. Nicht direkt aus der Sonderbund-Ausstellung, sondern erst 1949 aus Privatbesitz gelangte das Bild in den Besitz des Wallraf-Richartz-Museums. Damals stand es gar nicht zum Verkauf, denn Munch hatte es schon 1910 dem Jenaer Philosophen Eberhard Griesebach verkauft. Aus vielen Bildern und Graphiken des Malers ist uns die dargestellte Topographie von Åsgårdstrand heute vertraut. 1889 kam Munch erstmals in das kleine, etwa 100 km südlich von Oslo am Oslofjord gelegene Fischerdorf und 1897 erwarb er dort ein Sommerhaus. Die Komposition, von Munch seit 1901 in einer Reihe von Fassungen gestaltet, ist aber alles andere als eine Vedute. Die Landungsbrücke, das rosa-weiße Haus mit dem großen Walmdach, der hinter der Gartenmauer aufragende düstere Baum schließlich kennzeichnen zwar den Ort, führen aber nicht zum Kern der Bildaussage. Im Zentrum des Bildes sind vier Mädchen positioniert, aufgestellt am pfeilartig in die Tiefe des Bildes gerichteten Geländer der Landungsbrücke. Diese Brüstung scheint den Mädchen keinen rechten Halt zu geben. Sie wirken verloren und haben sich wie zum Schutz eng aneinander gedrängt. Das dem Betrachter zugewandte Mädchen ist gesichtslos dargestellt und wirkt dadurch entindividualisiert. Der in steiler Perspektive gegebene Weg, bis zum Ufer noch gerade geführt, wölbt sich an Land surreal in die Höhe und wird dort eigentümlich richtungslos. Weg und Geländer nehmen die Farben der Mädchen-Kleider auf. Die naturalistische Sicht auf die Dinge wird dadurch aufgegeben. Der türkisfarbene Himmel schließlich, mit dem blassen, niedrig stehenden Mond und das abgründige Wasser, in dem sich dunkelviolett die Krone des großen Baumes widerspiegelt, verstärken den Eindruck einer irrealen, traumhaften Szenerie, in die sich die verloren wirkende Gruppe der Mädchen einfügt. Denn um die Mädchen geht es Munch, genauer um die Sichtbarmachung der Stimmungen und psychischen Befindlichkeiten dieser heranwachsenden und ihren Lebensweg noch nicht erkennenden jungen Frauen.

G. Czymmek