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Trümmer war gestern

Bild der 51. Woche - 17. bis 23. Dezember 2012

Hermann Claasen - Hohe Straße im Weihnachtsschmuck, um 1955, Fotografie, 18 x 24 cm, Kölnisches Stadtmuseum (aus dem Verkehrsamt der Stadt Köln)

Auch vor fast sechzig Jahren war die Kölner Hohe Straße – wieder – ein beliebtes Ziel für den weihnachtlichen Konsum. Am 1952/53 an der Ecke Hohe Straße/In der Höhle neu errichteten Kaufhaus Frank – später Horten (bis zur Insolvenz Anfang der 1980er Jahre) – leuchtet ein Weihnachtsengel (dessen Gestalter seine Herkunft aus den 1930er Jahren nicht verleugnen kann) den Kölnern, die die Straße verstopfen. Diese war seit 1948 für den Autoverkehr gesperrt. Noch fehlt die modische Buntheit, die Menschen tragen bieder, dunkle Winterkleidung, man spürt noch die Monotonie der frühen Adenauerjahre. Aber man kann sich wieder etwas leisten und hastet durch die weihnachtlich dekorierte Stadt, um D-Mark gegen Ware zu tauschen. Der Kölner Fotograf Hermann Claasen, der vor 25 Jahren starb, war ein vielbeschäftigter Fotograf. Wegen einer alten Sportverletzung, die ihm ein hinkendes Bein eingebracht hatte, nicht wehrtauglich, blieb Hermann Claasen in seiner Heimatstadt, wo er seit 1942 die Zerstörungen festhielt, zum Teil als öffentliche Aufträge, etwa des Stadtkonservators. Dies führte er nach 1945 fort, nun allerdings ohne offiziellen Auftrag. Im November 1947 zeigte er seine Fotografien in der Ausstellung „Tragödie einer Stadt“, sie wurden als „Gesang im Feuerofen“ publiziert. Claasen war und ist sicherlich der bekanntestes „Trümmerfotograf“ Kölns. Aber auch der Wiederaufbau wurde von ihm Jahr um Jahr dokumentiert. Ein großer Teil dieser Aufnahmen entstand im Auftrag des städtischen Verkehrsamtes (heute: KölnTourismus), das diese Bilder für Presse- und Werbezwecke einsetzte, um sich als florierenden Wirtschaftsstandort zu präsentieren. Dazu bedurfte es positiver Ansichten der neuen und der restaurierten Gebäude in der City. Der moderne, nicht idyllisierende Stil Claasens fing die Stimmung jener Jahre perfekt ein. Zudem war Hermann Claasens Arbeit immer schon journalistisch, aber nicht tagesgebunden gewesen. Erste fotografische Versuche des Ende 1899 geborenen Claasen datieren auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Er hatte sich aus einer Zigarrenkiste und Brillenglas eine Kamera konstruiert. Doch zunächst führte sein Weg ihn in den elterlichen Tuchhandel. Das Geschäft ging jedoch bankrott und Hermann Claasen machte mit 30 Jahren sein Hobby zu seinem Beruf. 1934 hospitierte er in München bei Willy Zielke (1902–1989), während dieser seinen avantgardistischen Eisenbahnfilm ‚Das Stahltier‘ drehte. Claasen eignete sich neue Sichtweisen in der modernen Fotografie an. Zwei Jahre später legte er seine Meisterprüfung ab. In der ersten Tausend-Bomber-Nacht am 30./31. Mai 1942 wurde Claasens Atelier in der heutigen Brückenstraße samt Archiv vernichtet, nur eine Kleinbildkamera blieb ihm erhalten. Er richtete sich im Atelier seiner Lebensgefährtin, der Fotografin Ria Dietz (1902–1995), in der Wolfstraße ein. Aber auch diese Zuflucht wurde gegen Kriegsende durch Bomben zerstört (insgesamt wurde er fünf Mal ausgebombt). Zuvor konnten er und seine spätere Ehefrau Ria aus einer ausgebombten Fotogroßhandlung günstig fotografisches Material erwerben, was sie über die Nachkriegszeit und die damit verbundene Knappheit rettete. Nach 1945 nahm Hermann Claasen seine Trümmerfotografie – vor allem in Köln – wieder auf, nun gezielt gerichtet auf öffentliche und kirchliche Architekturen sowie zerstörte Details. Die ‚Trümmermadonna‘ aus der Kolumba-Kirche wurde zur Symbolfigur für den Überlebens- und Wiederaufbauwillen der Kölner. Seine Arbeiten machten ihn so bekannt, dass er auch auf der ersten von L. Fritz Gruber initiierten Photo-Kino-Ausstellung 1950 präsent war, ebenso in Edward Steichens „Family of Man“. Um 1970 musste Hermann Claasen wegen zunehmender Erblindung die Fotografie aufgeben. Er starb am 19. Dezember 1987, einen Tag vor seinem 88. Geburtstag, in Köln.

R. Wagner