Warum kocht Sankt Joseph Brei?

Bild der 51. Woche - 20. bis 27. Dezember 1999

Meister von St. Sigmund, Geburt Christi, Wallraf-Richartz-Museum, Köln; WRM 752, Fichtenholz, 103 x 88,5 cm

Auf den ersten Blick scheint das Weihnachtsbild, das der Südtiroler Meister von St. Sigmund um 1440 gemalt hat, eine Christgeburtsszene zu sein, wie wir sie schon hunderte Male gesehen haben: Maria und das Jesuskind, Ochs und Esel, der Stall. Doch was tut Sankt Joseph? Er kocht ? aber warum? Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, einen Blick in das Evangelium des Lukas zu werfen, wo die Geburt Jesu überliefert wird. Dort heißt es: "Und als sie daselbst [in Bethlehem] waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge." (Lk 2,6-7) Lukas berichtet in sehr knapper Sprache und ohne viele Details von Jesu Geburt. Wir erfahren nicht, ob die Krippe in einer Höhle, in einer Ruine oder in einem Stall stand. Auch der Ochse und der Esel werden nicht erwähnt. Diese unspektakuläre Schilderung der Weihnacht sowie die Tatsache, daß die Evangelien fast nichts über die Kindheit Jesu berichten, empfanden die Gläubigen in der späten Antike und im Mittelalter als traurige Lücke. So entstanden zahllose Legenden, die von der Christgeburt und der Jugend Jesu handeln. Sie lieferten Details, die die Maler späterhin bildlich umsetzten. Ochse und Esel - und manchmal auch das Auftreten der Hebammen - lassen sich so problemlos erklären. Josephs Kochen jedoch nicht! Die mittelalterlichen Maler stellen gelegentlich auch Sitten und Gebräuche ihrer eigenen Umwelt dar - verlegen das Geschehen der Christgeburt also in ihre eigene Zeit. Im germanischen Recht mußte ein neugeborenes Kind vom Vater anerkannt werden. Der Vater gab dem Kind gleichsam das Lebensrecht. Dies geschah dadurch, daß er es aufhob oder sonstige fürsorgliche Handlungen verrichtete. Das Essenkochen dürfte eine solche Handlung sein. Joseph kocht dem Jesuskind einen Brei oder eine Suppe, und damit nimmt Joseph das Kind, das er nicht gezeugt hat, in seine Obhut, nimmt Jesus als "Sohn" an. Während der Heilige Joseph viele Jahrhunderte hindurch nur eine passive Randfigur bei der Weihnachtsgeschichte war, wird er im späten Mittelalter zunehmend aktiver und wichtiger. In den Darstellungen der Geburt Christi wird dem Heiligen Joseph eine neue Rolle zugewiesen: Er wird zum Nähr- und Ziehvater des Jesuskindes auf Erden.

Th. Blisniewski