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Osterspaziergang

Bild der 14. Woche - 1. bis 8. April 2002

Otto Schwerdgeburth, Fausts Osterspaziergang, 1864, Öl auf Leinwand, 83,5 x 184,5 cm, Wallraf-Richartz-Museums - Fondation Corboud, WRM 1226

Die Nacht ist vorbei, Faust hat die Verzweiflung der letzten Stunden und den Wunsch zu sterben überstanden, das Österliche Läuten der Glocken ist verstummt. Nun strömt das Volk zum Osterspaziergang: Goethes Faust, Erster Teil, zweite Szene "vor dem Tor". Dies ist die Situation, die der Maler Otto Schwerdgeburth 1864 ins Bild setzte. Wir sehen eine Schar unterschiedlicher Menschentypen aus dem Stadttor einer an einem Fluß liegenden Stadt treten. Es ist noch Morgen, der Sonnenstand ist noch nicht sehr hoch, die Luft noch neblig von der kühlen Frühlingsnacht. Inmitten der fröhlichen teils ausgelassenen Menge schreiten zwei dunkel gekleidete Herren: schweigend, streng zu Boden blickend Faust, an seiner Seite - dem Meister zugewandt - sein in Goethes Charakterisierung schwatzhaft oberflächlicher Schüler Wagner, der nichts von dem versteht, was Faust in seiner philosophischen Weltbetrachtung sagt. Es ist nicht nur die zentrale Position in diesem sehr nahsichtigen Bild, welche Faust und Wagner als die Hauptfiguren der Szenen erscheinen lassen, es sind auch die sich abhebenden dunklen Farben sowie die abweichende Körpersprache des Faust. Die Szene spielt sich der Kleidung nach im 16. Jahrhundert ab. Es mischen sich mittelalterliche Architektur und neuzeitlich-humanistisch geprägte Gelehrtenkleidung. In etwa korrespondiert diese Umgebung mit der Zeit, in welcher der "echte" Dr. Johann Faust alias Georg Faust lebte (1480 - ca. 1539), dessen Leben zum Anknüpfungspunkt der unterschiedlichen Fausterzählungen wurde. Die bisher genannten Details zeigen, daß sich der Maler Otto Schwerdgeburth bemühte, dem Thema "Faust" im historischen Kontext sowie in der literarischen Charakterisierung durch Goethe gerecht zu werden. Vergleicht man das Gemälde weiter mit Goethes Text, so wird deutlich, wie nah sich die Darstellung an der literarischen Vorlage orientiert: Bei Goethe gibt es in dieser Szene zwei Gruppen von Handwerksburschen, die übermütig in verschiedene Richtungen drängen ("Wir gehen hinaus zum Jägerhaus. / Wir aber wollen nach der Mühle wandern"; Vers 808-819): im Bild ziehen drei Handwerksburschen in der linken Bildhälfte übermütig nach links aus dem Bild während eine Gruppe von vier Personen im Hintergrund nach rechts entschwindet. Zwei Dienstmädchen unterhalten sich über in Aussicht stehende Liebschaften ("Heut ist er sicher nicht allein, / Der Krauskopf, sagt er, würde bei ihm sein."; Vers 820-827): Unterhaltung und Kleidung passen gut zu den beiden jungen Frauen rechts hinter Faust und Wagner. Mit den beiden Schülern, die hinter zwei Nachbarsmädchen her sind ("Blitz, wie die wackren Dirnen schreiten!"; Vers 828-831, 836-845) kann man die neben den Dienstmädchen stehenden jungen Herren identifizieren - einer davon ist ein "Krauskopf". Zwei Bürgermädchen kommentieren die niveaulose Wahl der beiden Schüler ("Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben, / Und laufen diesen Mägden nach!"; Vers 831-835), im Bild wohl die beiden jungen Damen rechts am Geländer der Torbrücke. Ein Bürger schimpft über den Bürgermeister und kurz darauf antworten ihm zwei weitere Bürger ("Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister!"; Vers 846-851, 860-871): im Bild sieht man diese drei am rechten Bildrand vor dem Tore. Ein Bettler singt ("Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen, / So wohlgeputzt und backenrot"; Vers 852 - 859): So sitzt im rechten Vordergrund des Bildes ein Bettler mit einer Drehleier. Eine Alte spricht zu den beiden bereits genannten Bürgermädchen ("Ei! wie geputzt! das schöne junge Blut!"; Vers 872-879), im Bild ist die alte Frau ganz rechts zu sehen. Daraufhin suchen die Mädchen das weite ("Agathe ,fort! ich nehme mich in acht"; Vers 876-883). Goethes Text folgend müßten nun Soldaten auftreten. Hier scheint das Gemälde den Text zu verlassen, weitere Personengruppen wie z. B. die Familie links sowie die beiden Frauen mit den Hunden ergänzen die Situation. Was haben nun die Hauptakteure Faust und Wagner bis hierher in Goethes Szene gesagt? Noch nichts! Faust beginnt nun erst mit einer Schilderung der Situation: Der Frühling ist angebrochen, die Menschen zieht es aus den Häusern in die Natur: "Ich höre schon des Dorfs Gerümmel, / Hier ist des Volkes wahrer Himmel, / Zufrieden jauchzet groß und klein. / Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!" Wagner antwortet: "Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren, / Ist ehrenvoll und ist Gewinn; / Doch würd' ich nicht allein mich hier verlieren, / Weil ich ein Feind von allem Rohen bin. ... Otto Schwerdgeburth (1835 - 1866) gehört zu den weniger bekannten Malern des 19. Jahrhunderts. Er stammte aus einer Weimarer Künstlerfamilie und war Schüler seines Vaters Carl August. Bisher sind nur wenige Werke von seiner Hand bekannt. Otto Schwerdgeburth starb 1866 im Alter von nur 31 Jahren in Weimar, zwei Jahre nach der Vollendung unseres Bildes.

T. Nagel