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Nicht ganz echt: Das Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum

Bild der 34. Woche - 21. August bis 27. August 2023

Anonymus, Uskuela von Behrendorff, Leiterin der Klaus Peter Schnüttger-Webs Stiftung in Buenos Aires bei ihrem Besuch in Köln, Abteilung PR und
Dokumentation, Kolumba, Köln

Am 22. Juni 1981 schreibt der Künstler und Fotograf Ulrich Tillmann (1951 – 2019) an seinen Freund Umberto, dass er sich des »gemeinsamen und unvergessenen Freundes« Klaus Peter Schnüttger-Webs annehmen wolle, um »für ihn endlich die Anerkennung zu finden, um die er sein ganzes Leben lang gekämpft« hat. Zwei Wochen später setzt Ulrich Tillmann sein Vorhaben in die Tat um: Am 7. Juli hält er in der Gallery without a Gallerist an der Kölner Hochstadenstraße, einer von ihm gegründeten Produzentengalerie für Fotografie, Film und Video, den ersten öffentlichen Vortrag über das Werk von Klaus Peter Schnüttger-Webs; die Kunstfigur ist in die Welt gesetzt.

Dass dies in einer »Galerie ohne Galeristen« geschieht, zeugt von der subversiven Energie, die dem Langzeitprojekt entscheidenden Antrieb gibt. Einen ersten Höhepunkt erreicht das Projekt 1986 mit der Gründung einer eigenen Institution – dem Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum – in der Simultanhalle in Köln-Volkhoven.

Das imaginierte Museum

Am 6. September, als die Stadt mit dem Slogan »Köln bittet zur Kunst« das neue Wallraf-Richartz & Museum Ludwig am Kölner Hauptbahnhof feiert, eröffnen der Direktor Ulrich Tillmann, die Hauptkustodin Maria Vedder und die erste Vorsitzende des Fördervereins Bettina Gruber ein Museum mit allem Drum und Dran: einem Skulpturengarten mit der beeindruckenden Fläche von 500 Quadratkilometern (der Grundfläche der Stadt Köln), überflutungssicheren Parkplätzen, einer Wildwasserrutsche für die Kleinen, Weißwein und Apérohäppchen und mit einer Ausstellung, in der erstmals im größeren Umfang Werke von Klaus Peter Schnüttger-Webs zu sehen sind. Nicht nur das Datum, sondern auch der Ort bezieht sich konkret auf die Eröffnung des Neubaus von Busmann+Haberer in der Kölner Innenstadt: Die Simultanhalle diente den Architekten als Probebau, um das Oberlicht für das neue Haus zu testen.

Ulrich Tillmann öffnet sein Projekt für das Publikum und aktiviert ein ganzes Netzwerk prominenter Akteur*innen, die als Spezialist*innen für das Œuvre seines fantastischen Freundes eintreten und ihn dabei unterstützen, den Plot um Klaus Peter Schnüttger-Webs voranzutreiben. Mit sorgfältig vorbereiteten Zeitungsberichten, Radio-Interviews und mit dem Video einer vorab aufgezeichneten Eröffnungsfeier, welche als »Direktübertragung« bei der Eröffnung des Museums Ludwig am Hauptbahnhof gezeigt wird, kreiert Ulrich Tillmann eine Gegenerzählung, die nach der sofortigen Schließung – das Museum kann seine Tore wegen der »enormen Folgekosten« schon am nächsten Tag nicht mehr öffnen – im Gerücht weiterlebt. Auch in den Jahren danach bezieht das künstlerische Projekt seine Inspiration aus äußeren Anlässen, die Ulrich Tillmann zu weiteren Aktionen animieren und die er mit seinen Auftritten humorvoll-kritisch kommentiert.


Fantasierte Kulturinstitution: Aufbruch und Befreiungsschlag

Dass er den Kunstbegriff und die Institution Museum infrage stellt, entzündet sich jedoch nicht nur an der Kulturpolitik der Stadt Köln. Es gibt in diesem Projekt auch einen leisen biografischen Unterton. Ulrich Tillmann, ausgebildeter Fotoingenieur und Kunsthistoriker, betreute als Assistent von Bodo von Dewitz am Museum Ludwig eine Sammlung von Fotografien vor wiegend des 19. Jahrhunderts. Seit den 1950er Jahren war in Planung, sie in ein eigenes Haus zu überführen – mehrere Standorte wurden diskutiert – ohne dass dieses Vorhaben je verwirklicht worden wäre. Diese vielleicht für Köln(?) und auch für das Arbeiten an Institutionen und in Verwaltungen charakteristische Erfahrung muss für Ulrich Tillmann zermürbend gewesen sein.

So ist die Gründung eines eigenen Museums, die zeitlich mit seiner festen Anstellung am Museum Ludwig zusammenfällt, auch Aufbruch und Befreiungsschlag. Das Klaus Peter Schnüttger-Webs Museum ist nicht nur ein imaginäres Museum; es ist auch ein umfangreiches Privatarchiv zur Geschichte der Fotografie. Es beinhaltet erworbene Fotografien und Objekte, aber vor allem zu großen Teilen das fotografische Werk von Ulrich Tillmann selbst. So
umfasst es Abzüge aus seiner frühen Tätigkeit als Porträtfotograf in Linnich in den 1970er Jahren, die gemeinsam mit Wolfgang Vollmer und Bettina Gruber inszenierten »Meisterwerke der Fotokunst« oder spätere Landschafts- und Porträtaufnahmen in qualitätvollen Abzügen, die Ulrich Tillmann als hervorragenden Techniker erkennen lassen.

Tillmanns Poesie des Alltäglichen

Der Künstler tritt dabei zurück oder geht auf in der Rolle des Museumsdirektors, der die Spuren von Klaus Peter Schnüttger-Webs dokumentiert und in einer Ansammlung von fiktionalisierten biografischen Relikten und Reliquien Authentizität konstruiert. Sein Museum trennt nicht zwischen High und Low, zwischen Kunst und Artefakt. Es vereint Fundstücke vom Flohmarkt genauso wie hochkarätige Objekte aus der Frühzeit der Fotografie. In den Sammlungsbeständen spiegelt sich Ulrich Tillmanns Interesse für die Poesie des Alltäglichen, das in seiner Zufälligkeit und zeitweiligen Absurdität vielleicht mehr über den Menschen erzählt als das perfekt inszenierte Bild. Das (fiktive) Museum ist ihm dabei leitende Denkfigur. Es ist Ideengebäude, Impulsgeber und Rahmen, innerhalb dessen der Mythos um Klaus Peter Schnüttger-Webs Gestalt annimmt: Er erscheint als Künstler und Architekt, Filmemacher und Bühnenbildner, Modeschöpfer, Fotograf, Komponist, Literat und Sammler.

Als Mann des 19. Jahrhunderts verkörpert er das romantische Universalgenie; gleich zeitig agiert er als gesellschaftlicher Außenseiter, Provokateur und Bohemien. Strategien der Selbstinszenierung spielen eine wichtige Rolle: Nicht nur Ulrich Tillmann, sondern auch die beiden Künstlerinnen Bettina Gruber und Maria Vedder haben sich immer wieder selbst in den Kosmos von Klaus Peter Schnüttger-Webs eingebracht. Das Spiel mit verschiedenen Rollen und Identitäten findet Eingang in die Fotografie, wurde aber stets auch aktualisiert, nicht nur in Vorträgen, sondern auch im Karneval, wo Ulrich Tillmann gern als Uskuela von Behrendorff (Abbildung oben), einer schillernden Figur aus dem Kosmos um Klaus Peter Schnüttger-Webs, aufgetreten ist. Als Alter Ego war dieser ihm Vorbild und Wunschbild – mit seiner Klugheit, seinem Witz und seiner inneren Freiheit konnte er seine Faszinationskraft bis zum Tod von Ulrich Tillmann bewahren.

B. v. Flüe