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Sommerzeit – Geisterzeit – Gruselzeit

Bild der 33. Woche - 14. August bis 20. August 2023

Oiwa-san, Serie:»Einhundert Geistergeschichten«, Katsushika Hokusai (1760–1849), Signiert Zen Hokuai litsu, Verleger Tsuruya Kiemon, 1831, chūban, 26,2 x 18,8 cm, Vielfarbendruck, Museum für Ostasiatische Kunst, R 77,1 (OS), Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, Patrick Schwarz

Sich mit der komplexen Welt der Geister gut zu stellen steht im Mittelpunkt des mehrtägigen O-Bon-Festes, das in Japan je nach Region im Juli oder August stattfindet.

Über die Jahrhunderte von unterschiedlichen Vorstellungen wie dem konfuzianischen Ahnenkult und dem Shintō beeinflusst, geht O-Bon ursprünglich auf ein buddhistisches Ritual zur Speisung und Besänftigung von Hungergeistern zurück. Mitten in der Hitze des Hochsommers bietet es mit seinen nächtlichen Feuern, eindrucksvollen Feuerwerken und traditionellen Tanzaufführungen (Bon-Odori) einen guten Anlass, sich mit Familienmitgliedern in der Heimat zu treffen.Trotz des fröhlichen Trubels geht es vornehmlich um das Gedenken und Befrieden der Verstorbenen. Deshalb weisen vor dem Haus entzündete Lampions den Geistern nachts den Weg zu den Wohnorten der Hinterbliebenen.

Aber nicht immer sind die Begegnungen von Menschen und Geistern harmonisch. Insbesondere, wenn es sich um das Erscheinen von Rachegeistern von Menschen handelt, die durch Unrecht zu Tode gekommen sind. Die hier vom weltberühmten Maler und Designer Hokusai meisterhaft in Szene gesetzte Gruselgeschichte soll auf einer wahren Begebenheit beruhen und wird bis heute medial umgesetzt. Im August 1831, dem Jahr der Erstveröffentlichung des Hokusai-Drucks, wurde ein gleichnamiges Kabuki-Stück in Edo (heute: Tokyo) aufgeführt. In der Geschichte heiratet der mittel- und herrenlose Samurai, Tamiya Iemon, die Frau Oiwa, die aus einer angesehenen Samurai-Familie stammt. Nach der Hochzeit vergiftet er sie. Bei einem nächtlichen Besuch ihres Grabs gemeinsam mit seiner neuen Ehefrau entzündet sich auf mysteriöse Weise die Papierlaterne und zeigt das verbrennende fratzenhafte Gesicht der getöteten Oiwa. Der dunkle blaugraue Bildhintergrund versetzt die Betrachter in eine unheimliche nächtliche Szenerie. Hokusai wählt als Hauptmotiv eine ovale, weißliche Papierlaterne, die dabei ist in Rauch aufzugehen. Gebannt sehen wir, wie sie sich in das furchterregende, verbrennende Gesicht der toten Oiwa verwandelt. Wie ein fahler Totenkopf starrt sie uns aus übergroßen Augenhöhlen, einer verwitterten Nase, mundlos und mit strähnigen ausgefransten Haaren an. Die auf die Stirn des Laternen-Gesichts geschriebene Silbe in indischer Brahmi-Schrift (bonji) wirkt wie ein Beschwörungszeichen. Hokusais Darstellung lässt uns also den Moment unmittelbar miterleben, in dem Oiwa als Geist erscheint, der sich an dem Mörder Iemon rächt, ihn heimsucht und verfolgt.

Beim O-Bon-Fest setzt man aber auf eine friedliche Koexistenz mit der Welt der Geister. Nach den mehrtägigen Feierlichkeiten, Ritualen und besänftigenden Opfergaben, werden die Geister mit schwimmenden Lichtern als Wegweiser wieder zurück in ihre eigene Sphäre verabschiedet.
Alle, die sich noch weiter in schöner Atmosphäre gruseln und Darstellungen von Oiwa und weiteren Geister betrachten möchten, können das bei einem Besuch der aktuellen Japan-Ausstellung tun.

C. Stegmann-Rennert