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Provokation und Haltung

Bild der 24. Woche - 14. Juni bis 20. Juni 2021

Jörg Immendorff, Café Deutschland I, Museum Ludwig, Köln, ML 01431, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln

Jörg Immendorf war ein deutscher Künstler, Kunstprofessor und politischer Aktivist. Er wurde seit Beginn der 1980er-Jahre zu einem der bekanntesten deutschen Künstler der Gegenwart. Ein Blick auf seinen großformatigen Bilderzyklus »Café Deutschland« , der in den Jahren 1977 – 1982 entstand, lohnt sich.  Durch diese Serie von 16 Bildern wurde er vor allem bekannt. Er verhandelt in diesen Werken sein Kernthema dieser Zeit: die unerträgliche Teilung Deutschlands.

»Ich war […] der Einzige, der beinahe exzessiv gegen die Teilung angemalt hat.« So wird Jörg Immendorff oft zitiert. Sein erstes Bild der Reihe, »Café Deutschland I« besteht aus verschiedenen Ebenen, die zusammengesehen einem Theaterstück gleichen und die Anfänge des späteren Beuys Schülers als Bühnenbildmaler erkennen lassen. Inspiration des Settings war Renato Guttusos »Caffè Greco«, das Immendorff auf der Biennale in Venedig 1976 zu Gesicht bekam.

Seine Anlehnung an Guttusos war jedoch lauter und mehrdimsenional. Je länger man das Gemälde »Café Deutschland I« betrachtet, umso mehr Details fallen einem ins Auge: Im rechten Bildrand sind Männer in Lederkluft am  Tresen und nackte Frauen im Hintergrund zu erkennen – und erinnern an die Kneipenszene und Rotlichtmilieus in westdeutschen Großstädten. Im oberen Drittel ist der Dramatiker Bertold Brecht auszumachen, der die Szenerie hinter dem Scheinwerfer beobachtet. Im Vordergrund und zentral im Bild hat sich Jörg Immendorff selbst gemalt, gekleidet in seine damals typische Lederjacke. Mit dem einen Arm durchschlägt er eine Mauer, in der anderen Hand hält er einen Pinsel.

Blickt man über ihn, erkennt man das Schwarz-Rot-Gold der deutschen Flagge, das mit Logografie – vielleicht mit maoistischen Symbolen – übermalt wird. In der linken Hälfte schneidet ein Totempfahl mit Soldaten- und Panzermotiven das Bild, während dahinter die überdimensionierten Krallen eines Adlers die Reste eines Hakenkreuzes ergreifen.

Die stark aufgeladenen und erzählenden Symboliken des Bildes sind direkte Konfrontationen mit dem Ost-West—Konflikt jener Zeit. Für Immendorff, der sich darin selbst als Akteur portraitiert hat, musste die Kunst politisch sein. Sein Aktivismus fand bereits früh nicht nur auf Leinwänden, sondern auf den Straßen statt: das Aktionsprojekt LIDL, sein Engagement in der Außerparlamentarischen Opposition und weiteren sozialistischen Gruppen prägten ihn. Seine provokanten Kunstaktionen begleiten sein Werk als freien Künstler und blieben bis zu seiner ALS-Diagnose 1998 vor allem gesellschaftskritisch.

A. Borggrefe