Bild der 16. Woche - 19. April bis 25. April 2021
Die Provenienzforschung widmet sich der Erforschung der Geschichte der Herkunft von Kunstwerken und Kulturgütern und ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit an den Kölner Museen. Zunächst diente sie der Klärung von Zuschreibungen und Authentizität von Kunstwerken. Im Mittelpunkt der Provenienzforschung steht heute jedoch die Identifizierung sogenannter Raubkunst als Grundlage sowohl für die Rückgabe von NS-Raubkunst als auch von Objekten aus dem kolonialen Unrechtskontext.
Der Kölner Warenhausgründer Leonard Tietz und die Stiftung eines bedeutenden Werkes von Gustave Courbet für das Wallraf-Richartz-Museum
Im Zentrum der Betrachtung steht die Stiftung des Gemäldes »Das Jagdfrühstück (Le Repas de chasse oder L’Hallali du chevreuil)« von Gustave Courbet an das Wallraf-Richartz-Museum aus dem Jahr 1910 und damit auch der jüdische Kaufmann, Sammler und Mäzen Leonhard Tietz, der 1849 in Posen geboren wurde und 1914 in Köln verstarb. Es geht in diesem Fall also nicht um NS-Raubkunst und Fragen der Rückgaben, sondern um die Würdigung eines jüdischen Mäzens aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Leonard Tietz gehörte mit dem Aufbau eines Warenhauskonzerns zu den bedeutendsten deutschen Unternehmern seiner Zeit. 1891 wurde das erste Tietz-Kaufhaus in Köln in der Hohen Straße eröffnet. Bald darauf folgten weitere Filialen, zudem erwarb er mehrere größere Warenhäuser, ehe er 1905 die Leonhard Tietz AG begründete. Tietz war verheiratet mit Frau Flora Baumann (1855 – 1943), die ebenfalls aus Posen stammte und sich intensiv für jüdische Belange engagierte; darüber hinaus jedoch auch überkonfessionelle und christliche Einrichtungen förderte.
Das Wallraf-Richartz-Museum wurde 1910, also zur Zeit der Schenkung, von Alfred Hagelstange (1874 – 1914) geführt. Hagelstange verfügte bereits über einige Erfahrung und war u. a. in Frankfurt am Städel tätig gewesen, bevor er 1908 mit nur 34 Jahren zum Direktor nach Köln berufen wurde. Neben der Kölner Malerschule, die die Sammlung des Hauses ganz wesentlich prägt, setzte sich Hagelstange von Beginn seiner Amtszeit an vehement für Ankäufe zeitgenössischer Kunst ein. Mit Hilfe der Tietz’schen Schenkung war es ihm gelungen, ein bedeutendes Werk des Begründers des französischen Realismus und Wegbereiter der französischen Moderne, Gustave Courbet, zu erwerben.
Erworben wurde Courbets »Das Jagdfrühstück« bei einem in der Zeit nicht minder bekannten Kunsthändler namens Paul Cassirer. Das Gemälde dürfte 1858 in Frankfurt entstanden sein oder wurde dort vollendet. In dieser Zeit hielt sich der Maler bereits zum zweiten Mal in Frankfurt auf, wo man ihm ein großes Atelier zur Verfügung stellte. In Frankfurt wurde der Künstler oft von vermögenden Kreisen zu Jagdpartien eingeladen. Der Künstler wurde von ihnen als der führende Vertreter der neuesten Kunstrichtung aus Paris – Le Réalisme – gefeiert.
Im Jahr 1914 fiel Hagelstange bei dem Kunsthändler Kahnweiler in Paris Pablo Picassos »Familie Soler« (1903) ins Auge. Und dies offensichtlich, weil es als Pendant zum großformatigen Werk von Courbet dienen sollte, das Leonard Tietz gestiftet hatte. Es gehörte zu den ersten Bildern Picassos, das überhaupt von einem Museum gekauft wurde. Im Rahmen der Aktion Entartete Kunst wurde es 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und versteigert. Möchte man das Bild heute betrachten, so muß man sich auf den Weg nach Lüttich machen, wo es im Musée du Parc de Boverie (Art Moderne) gezeigt wird. Für Hagelstange war Courbets Gemälde das »Urbild jener Frühstücke im Gras, mit denen Manet und Monet ihren Ruhm begründeten.« Während sich Manets Werk »Le déjeuner sur l’herbe« an Courbet orientierte, bezog sich Picasso wiederum auf Manet.
Alfred Hagelstange starb im Jahr 1914 im Alter von nur 40 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes, sein wichtiger Förderer und Mäzen Leonard Tietz verstarb im selben Jahr im Alter von 65 Jahren. Der Sohn von Leonard und Flora Tietz, Dr. Alfred L. Tietz (1883 – 1941), führte das Unternehmen nach dem Tod des Vaters weiter. Dem Beispiel des bildungsbürgerlichen Engagements seines Vaters folgend, sollte er dem Museum ein Landschaftsgemälde von Daubingy stiften.
Verfolgung und Enteignung der Familie Tietz durch die Nationalsozialisten
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 verstärkten sich die Repressalien gegen den Leonhard-Tietz-Konzern, der schon seit Jahren Ziel nationalsozialistischer Hetzkampagnen gewesen war. Schon im April 1933 mussten Alfred Tietz und andere Führungskräfte aus dem Firmenvorstand ausscheiden. Unter extremem Druck wurde die Enteignung der jüdischen Besitzer vorangetrieben. Im Juli 1933 wurde die Umbenennung der Firma in Westdeutsche Kaufhof AG erzwungen, 1934 war die vollständige »Arisierung« durchgeführt. Alfred und Margarete Tietz emigrierten 1934 in die Niederlande, wo Margarete in der Flüchtlingshilfe arbeitete. 1940 siedelte das Ehepaar nach Palästina über. Alfred Tietz starb ein Jahr später in Jerusalem, Margarete wanderte 1948 in die USA aus; sie starb in London im Jahr 1972. Alfreds Mutter, Flora Tietz, die 1943 in London gestorben war, wurde 1949 in das Familiengrab in auf dem jüdischen Friedhof in Bocklemünd umgebettet. Im Jahr 1951 war es im Rahmen eines Entschädigungsverfahrens zu einer Regelung zwischen der Kaufhof AG und den ehemaligen Eigentümern gekommen.
Der Warenhausgründer Leonard Tietz war ein wichtiger Mäzen und Mitstreiter an der Seite Hagelstanges in einer Zeit, in der gerade die französische Moderne mit vielen Vorbehalten seitens des Bürgertums zu kämpfen hatte. Das Jagdfrühstück von Courbet ist bis heute im Wallraf-Richartz-Museum zu sehen und im Andenken an seinen Stifter findet sich der Name der Familie Tietz Seite an Seite mit anderen Mäzenen des Hauses im Treppenaufgang des Museumsgebäudes.
Britta Olényi von Husen