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Bild der 22. Woche - 01. bis 07. Juni 2009
Als Ratsherr (1530-1548), Kirchmeister von Klein St. Martin und prominentes Mitglied der Fassbindergaffel war der Kölner Weinhändler Gerhard Pilgrum ein sehr erfolgreicher Mann. Seine Frau Anna Pilgrum, geborene Strauss, stammte aus einer kunstsinnigen Familie, die mehrfach Aufträge an Bartholomäus Bruyn d.Ä. und seine Werkstatt erteilte. Diesem anspruchsvollen Paar lieferte dieser bedeutendste Kölner Renaissancemaler ein inhaltsreiches Doppelporträt, das wohl im Haus der Familie auf dem Heumarkt entweder angewinkelt aufgestellt oder flach an der Wand aufgehängt wurde. Älterer Tradition folgend erscheint der Mann auf dem hierarchisch höherrangigen linken – heraldisch: rechten – Flügel (vgl. Psalm 110,1). An spätmittelalterliche Stifterporträts gemahnt auch der Betgestus beider Ehepartner. Vor dem Hintergrund jüngster Forschungserkenntnisse zur Multimedialität religiöser Kölner Bilder des Spätmittelalters ist vor dem geöffneten Diptychon ein mittig aufgestelltes Andachtskreuz durchaus vorstellbar. Die an die Rosenkränze gehängten beziehungsweise darin eingebundenen Bisamäpfel, durchbrochen gearbeitete Duftkugeln, sind nicht nur Ausweis von Kultiviertheit, sondern pikanterweise zugleich auch Verweis auf die Erbsünde (Biss in den Apfel der Erkenntnis): Hinter der Maske des aktuell porträtierten Paares verbergen sich letztlich – Adam und Eva! Auch Gerhard und Anna sind „nach Seinem Bilde“ geschaffen (Genesis, 1,27). Ihre Ausstrahlung wird von den Einkerbungen im vergoldeten Rahmen betont. Die widersprüchliche Beleuchtung der beiden Bilder enthebt das Paar dem rationalen Raum-Zeit-Gefüge, verklammert die Ehepartner und lässt ihre Schatten miteinander verschmelzen. Das Trompe l’œil-Stilleben auf der Rückseite des Damenporträts (s. Bild rechts) erweitert diese Aussage noch. Ausrichtung und Beleuchtung des Totenkopfes sind auf Gerhard bezogen; man darf vermuten, dass der Schädel Adams gemeint ist. Der in der gemalten Nische sich bildende heftige Schlagschatten korrespondiert mit dem darunter, scheinbar als Zettel mit Siegelwachs angebrachten Bibelzitat: „Der Mensch, vom Weib geboren, an Tagen arm, mit Sorgen nur gesättigt: Wie eine Blume blüht er und verwelkt, entflieht dem Schatten gleich, bleibt nicht bestehen.“ (Hiob, 14,1-2) Die Paradoxie des gemalten Memento Mori besteht nun gerade im Festhalten des Flüchtigen (der Schatten), die dem christlichen Bildnis innewohnende Spannung in der Überlieferung der sterblichen Hülle des Auftraggebers. Entscheidend ist die performative Aktivierung des Bildgehaltes durch Benutzung. Beim Öffnen des Diptychons von links nach rechts wird nur der vom Betrachter aus gesehen rechte Flügel bewegt. Frau und Tod müssen sich „bewegen“ (lassen), während der Mann ruhig und würdevoll verharren darf. Das eigentlich zu erwartende Verhältnis zwischen Fleisch und Knochen kehrt sich um: Nicht das Gesicht maskiert das cranium, sondern der Schädel verdeckt den Ausblick auf die fleischliche Auferstehung. Aus dem Öffnen des Diptychons wird eine Aufführung der Bilder, die das Hoffen auf ewiges Leben regelmäßig vergegenwärtigt. Vor dem Hintergrund des teleologischen, auf Jüngstes Gericht und Auferstehung gerichteten Weltbildes ist der Tod nicht Schluss-, sondern (hier im wahrsten Wortsinn) „Wende“-Punkt.
R. Krischel