Heilige Magdalena?

Bild der 26. Woche - 30. Juni bis 7. Juli 2003

Lucas Cranach d. Ä., Heilige Maria Magdalena, 1525 Tempera auf Buchenholz, 47,8 x 30 cm Wallraf-Richartz-Museum - Fondation Corboud, WRM 39
links: vergrößerte Detailansicht, oben links rechts oben: vergrößere Detailansicht, unten links rechts unten: Das Cranach-Wappen vom Haus der Familie in Gotha

Nach dem Blick auf den Titel dieses Gemäldes "Heilige Maria Magdalena" fragt man sich: "Das soll eine Heilige sein? Sieht sie nicht eher aus wie eine Prinzessin oder eine verführerische Femme fatale?" Unsere Zweifel am Wesen dieser reizvollen Dame kommen nicht von ungefähr, alle widersprüchlichen Eindrücke treffen tatsächlich zu, denn der Maler dieses Bildes, Lucas Cranach der Ältere, hat verschiedene Frauentypen in seinem Gemälde miteinander verschmolzen. Ihrer Legende nach hat Maria Magdalena alle diese Frauentypen in sich vereint. Von vornehmer Geburt, sehr schön und verführerisch, soll sie einen höchst verwerflichen Lebenswandel geführt haben, aber durch Reue und lange Buße als Einsiedlerin in der Wüste am Ende doch noch die Gnade Gottes und die Vergebung ihrer Sünden gefunden haben. Heute wird sie als eine Heilige verehrt, die verheißt, daß auch den schlimmsten Sündern, sofern sie Reue und Bußfertigkeit zeigen, noch Gnade widerfahren kann. Lucas Cranach nutzte die Figur der Maria Magdalena und auch anderer weiblicher Heiligengestalten häufig für Porträts höfischer Damen, die er mit seinen Werkstattgehilfen in großer Zahl anfertigte. Auch unser Gemälde könnte ein solches, gleichsam verkleidetes Porträt sein. Wahrscheinlich stellt es Magdalena Redinger dar, die Geliebte des Erzbischofs von Mainz, Albrechts von Brandenburg. Mit nur zwei Details machte Cranach aus dem Porträt einer Mätresse ein Heiligenbild: Er gab der Magdalena Redinger das Salbgefäß ihrer heiligen Namenspatronin in die Hand, und malte in die linke obere Bildecke eine Szene aus ihrer Heiligenlegende (s. kleines Bild, links). Die Legende berichtet, die Heilige Magdalena habe zur Buße dreißig Jahre als Einsiedlerin in der Wüste gelebt, aber jeden Tag seien Engel gekommen und hätten sie in den Himmel emporgehoben, wo sie die himmlischen Heerscharen schauen durfte. Bis heute verheißt die Gestalt der Maria Magdalena in der christlichen Heilslehre auch den schlimmsten Sündern noch die Möglichkeit, durch Reue, Demut und Buße göttliche Gnade und die Vergebung aller ihrer Sünden zu erfahren. In Lucas Cranachs Werkstatt, die er zusammen mit bis zu elf malenden und weiteren, nur assistierenden Mitarbeitern und Lehrlingen betrieb, entstanden viele solcher "verkleideter Portraits", Gemälde im kleinen Kabinettformat, die die Grenzen zwischen Heiligen- oder Historienbild und weltlichem Porträt verwischten. Cranach und seine Gehilfen malten sie beinahe, wie man heute sagen würde, "am Fließband". In der linken unteren Ecke des Bildes kann man unter der Jahreszahl die Zeichnung einer geflügelten Schlange erkennen (s. kleines Bild, rechts oben). Dieses Schlangenmonogramm war das markanteste unter den verschiedenen Monogrammen und Zeichen, die Lukas Cranach im Laufe seines Schaffens als Werkstattsignet verwendet hat. Als er im Jahr 1508 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen die Erlaubnis erhielt, ein Wappen zu führen, wählte Cranach diese Schlange mit steil aufgerichteten Fledermausflügeln. Es prangt noch heute im Schlußstein vom Tor des Hauses in Gotha, das Cranachs Tochter Ursula gehört hat (s. kleines Bild, rechts unten). Übrigens verband Cranach mit der Heiligen Maria Magdalena auch ein persönliches, gleichsam berufliches Interesse, denn Maria Magdalena galt als die Patronin der Salbenmischer, und Cranach führte neben seiner Malerwerkstatt eine Apotheke.

G. Herzog