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Nach Versailles und zurück: Ein Kanapee auf kunst-historischer Reise

Bild der 19. Woche - 9. Mai bis 15. Mai 2022

Kanapee, circa spätes 19. Jahrhundert, MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln, Inv. A 1845, Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln, Marion Mennicken

In der Sammlung des MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln (früher: Kunstgewerbemuseum) befindet sich ein elegantes Sitzmöbel von dem lange angenommen wurde, dass es Ende des 18. Jahrhunderts in der Werkstatt des Pariser Kunstschreiners Georges Jacob (1739 – 1814) entstanden sei. Im Rahmen des Provenienzforschungsprojektes im MAKK, gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturverluste, haben sich hierzu neue Erkenntnisse ergeben.

Als der Generaldirektor der kunstgewerblichen Sammlungen der Stadt Köln, Adolf Feulner (1884 – 1945), diese Sitzbank 1940 auf einer Auktion im Versteigerungshaus Heinrich Hahn in Frankfurt am Main kaufte, muss es für ihn eine ganz besondere Erwerbung gewesen sein. Das Kanapee war Feulner wohlbekannt, denn der Kunsthistoriker und Möbelexperte hatte es selbst in die Forschung eingeführt. 1927 hatte er in seiner »Kunstgeschichte des Möbels« eine Sitzgruppe beschrieben, die aus dem Schlafzimmer der französischen Königin Marie Antoinette (1755 – 1793) im Lustschloss Petit Trianon im Park von Versailles stammte. Als Beleg für die exquisite Herkunft der Möbel konnte er auf eine aufgeklebte Besitzmarke verweisen. Die Gruppe bestand, so Feulner, aus zwei Sesseln, zwei Stühlen und unserem Kanapee.

Das Mobiliar gehörte damals zur Sammlung des Rudolf von Goldschmidt-Rothschild (1881 – 1962), die er in seinem Landhaus in Königstein im Taunus bewahrte. Bis zum Ankauf des Sofas durch das Kölner Kunstgewerbemuseum sollten diese Objekte noch eine bewegte Zeit erleben. Charles Mauricheau-Beaupré, ein Kurator aus Versailles, wurde auf die Möbel aufmerksam und besichtigte sie 1929 in der Villa Rothschild in Königstein. Ein Jahr später wurden sie nach Paris gebracht, um sie dort von Experten untersuchen zu lassen, denn der französische Staat prüfte den Rückkauf, um sie wieder im Petit Trianon aufzustellen. In Paris kam man jedoch zu dem Urteil, dass das Kanapee nicht zu den Originalen gehöre und eine spätere Ergänzung sei. Auch Mauricheau-Beaupré war bereits aufgefallen, dass der in das Gestell eingeschlagene Künstlerstempel am Kanapee von den Stempeln an den anderen Möbeln abweicht.

Da der Ankauf für das Schloss vorerst nicht zustande kam, veräußerte Rudolph von Goldschmidt-Rothschild die Gruppe nun an einen Pariser Kunsthändler. Nur das Kanapee kam zurück nach Königstein, denn als spätere Ergänzung war es für den Händler nicht von Interesse. Ob Adolf Feulner von diesen Vorgängen Kenntnis hatte, als er das Objekt rund zehn Jahre später erwarb, ist anzuzweifeln. Er ging 1940 weiterhin davon aus, dass er für das Kölner Museum ein Original aus dem königlichen Mobiliar ankaufen konnte. Mit dieser Provenienz und Einschätzung ging das Kanapee in die Sammlung des Kunstgewerbemuseums ein. Doch die Pariser Experten lagen richtig. Als das Objekt nun einer neuerlichen stilkritischen und materialtechnischen Untersuchung unterzogen wurde, bestätigte sich ihr Verdacht: Das Kanapee ist eine Nachbildung des 19. Jahrhunderts. Dieses Ergebnis wird auch von verschiedenen historischen Dokumenten gestützt, die sich in französischen Archiven erhalten haben. So sind aus der Entstehungszeit der Originalmöbel für Marie Antoinette mehrere Quellen bekannt, die die einzelnen Möbel aufzählen. Dort werden neben den Sesseln und Stühlen, die 1942 doch noch nach Versailles zurückgelangten, mehrere heute verschollene Stücke genannt, etwa das Bett. Ein Kanapee aber wird in keinem der Dokumente erwähnt. Da es dennoch mit einem Künstlerstempel und vermeintlichen Resten einer Besitzmarke der Königin versehen ist, dürften bei seiner Herstellung im 19. Jahrhundert täuschende Absichten im Spiel gewesen sein.

Anlass für die jüngsten Recherchen war der Verdacht auf eine belastete Provenienz in der NS-Zeit (1933 – 1945). Rudolf von Goldschmidt-Rothschild wurde vom Unrechtsregime der Nationalsozialisten als Jude verfolgt und musste 1938 aus Deutschland fliehen. Die Einrichtung seines Landhauses bei Königstein im Taunus wurde ihm verfolgungsbedingt geraubt und in der Folge verkauft, um über den Erlös diskriminierende Abgaben wie die Reichsfluchtsteuer von Rudolf von Goldschmidt-Rothschild einzutreiben. Der neue Besitzer ließ Teile der Einrichtung in Frankfurt versteigern, so auch das Kanapee, das das Kunstgewerbemuseum 1940 ankaufte. Heute stehen die Stadt Köln und das MAKK im Austausch mit den Nachfahren nach Rudolf von Goldschmidt-Rothschild, um eine faire und gerechte Lösung für den zukünftigen Verbleib des Kanapees zu finden.

 

I. Metje