Hippolyte Bayards Selbstportrait als Ertrunkener

Bild der 38. Woche - 20. bis 26. September 2010

Hippolyte Bayard, Selbstportrait als Ertrunkener, Paris 1840; Salzpapier, Societé Francaise de la Photographie, Paris

Der Anblick muss das Publikum schockiert haben: Auf der Fotografie ist ein Toter zu sehen. Hippolyte Bayard, einer der wichtigsten Erfinder der Fotografie, hat sich im Jahr 1840 aus Verzweiflung angesichts mangelnder Anerkennung umgebracht. Tatsächlich handelt es sich jedoch hierbei nicht nur um eines der frühesten fotografischen Selbstporträts, sondern um die erste „Fälschung“ in der Fotografiegeschichte, die Inzenierung eines angeblichen Selbstmordes. Bayard (*1801) arbeitete tagsüber im Pariser Finanzministerium, verkehrte aber in einem Milieu, das aus Malern und Schauspielern bestand, denn das bewegte Leben nach Börsenschluss sagte dem Bohemien in ihm sehr zu. Bei seinen fotografischen Erfindungen war er voller Phantasie und Ausdauer, was sich auch in dem berühmten „Portrait als Ertrunkener“ spiegelt. Auf ihrer Rückseite findet sich folgender Text: „Der Leichnam, den sie hier sehen, ist der des Herrn Bayard, des Erfinders des Verfahrens, das man ihnen vorgeführt hat oder dessen wunderbare Ergebnisse Sie noch sehen werden. Soweit mir bekannt ist, beschäftigt sich dieser erfinderische und unermüdliche Forscher seit ungefähr drei Jahren mit der Vervollkommnung seiner Entdeckung. (…) Die Regierung, die Herrn Daguerre mehr als nötig unterstützt hatte, erklärte außerstande zu sein, für Herrn Bayard etwas zu tun, und der Unglückliche hat sich vor Verzweiflung ins Wasser gestürzt. (…) Meine Damen und Herren, gehen wir zu etwas anderem über, damit ihre Geruchsnerven nicht angegriffen werden, denn das Gesicht und die Hände des Herrn beginnen bereits zu verwesen, wie Sie wohl bemerkt haben werden.“ Schon einige Zeit vor der öffentlichen Bekanntmachung der Daguerrotypie im Jahr 1839 hatte Bayard mit lichtempfindlichen Materialien experimentiert, aber sein daraus resultierendes Direktpositiv-Verfahren geriet in den Hintergrund, während Daguerre für seine Erfindung Ruhm und eine lebenslange Rente erhielt. Doch Bayards theatralische Selbstinszenierung war nicht das Bild einer Niederlage: Es begann damit eine Zeit, in der er mit seiner Erfindung echten Erfolg erlebte und für seine weiteren fotografischen Arbeiten zahlreiche Auszeichnungen bekam.

K. Stremmel