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Ein ganz besonderes "Blatt"

Bild der 8. Woche - 20. bis 26. Februar 2006

Leni Matthaei, „Tropen“, Entwurf 1977, Ausführung (Henk van der Zanden) 1979, Klöppelspitze aus Leinengarn, Höhe 41 cm, Breite 24,5 cm, Köln, Museum für Angewandte Kunst, Inv.-Nr. N 1513

Der Titel „Tropen“, den die Entwerferin dieser Spitze gab, mutet zunächst erstaunlich an: Sie stellt nicht einen Urwald oder eine südliche Landschaft dar, sondern nur ein einziges Blatt. Formatfüllend, mit vielfältig variierter Binnenzeichnung ausgestaltet, erscheint dieses Blatt jedoch als Zeichen, in dem die Vorstellung tropischen Wachstums ihren gültigen Ausdruck gefunden hat. Diese Konzentration, die nur mehr das Wesentliche zur Aussage bringt, ist charakteristisch für das Spätwerk der Künstlerin Leni Matthaei. In ihrem langen Leben (1873 bis 1981) begleitete Leni Matthaei die Gestaltung der Klöppelspitze in Deutschland vom Ende des 19. bis in das späte 20. Jahrhundert hinein und prägte ihre stilistische Entwicklung nachhaltig. Schon als junges Mädchen hatte sie eine künstlerische Laufbahn angestrebt; eine akademische Ausbildung zur Malerin blieb ihr jedoch versagt: Die zeitgenössischen Kunsthochschulen ließen Frauen zum Studium nicht zu, und für ein Privatstudium fehlten ihr die Mittel. So besuchte sie Zeichenkurse und nahm Unterricht im kunstgewerblichen Entwerfen – ihre Lehrer halfen ihr bald dabei, erste Entwürfe für Tapeten, Teppiche und Gewebe an Zeitschriften zu verkaufen und damit zugleich ihre weitere Ausbildung zu finanzieren. Die frühe Entwurfsarbeit Leni Matthaeis fiel in eine Zeit, in der die Spitze in der Mode wie in der häuslichen Einrichtung eine neue Blüte erlebte: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Kragen, Manschetten, aber auch Fächer und Sonnenschirme mit Spitzen besetzt. Die Muster Leni Matthaeis, die zunächst häufig von Naturstudien ausgingen, fanden in der Mode des Jugendstils besonderen Anklang. Als sich – parallel zur Entwicklung einer modernen Architektur – auch im Kunsthandwerk andere, sachliche und formstrenge Gestaltungen durchsetzten, fand sie dafür auch in der Spitze eine neue Sprache: Ihre Entwürfe gehen nun von klar gegliederten geometrischen Motiven aus; sie finden Umsetzung in Tischdecken, Fensterdekorationen und anderen Einrichtungstextilien. Den Schritt zur Freiheit ihrer Spitzen von einer konkreten Funktion unternimmt Leni Matthaei in den fünfziger Jahren: An die Stelle dekorativer Elemente, die in fortlaufenden Mustern wiederholt werden, treten nun neue, ausdrucksstarke Kompositionen; organische Formen, die Selbständigkeit beanspruchen, verdrängen die geometrisch gegliederten Schmuckmotive. In den Arbeiten ihrer letzten Schaffensperiode, zu denen die hier gezeigte Spitze gehört, sind schließlich textile Bilder von großer Expressivität zu sehen. Die Konzentration auf ein Motiv, das die gesamte Bildfläche beherrscht und dessen Details mit Präzision, aber auch im Bewusstsein ihrer dramatischen Wirkung ausgestaltet wurden, verleiht ihnen geradezu monumentalen Charakter. In der Entwicklung ihrer Spitzen hat Leni Matthaei die Trennung von Motiv und Hintergrund immer weiter aufgegeben. Beide Elemente der Zeichnung sind gleichermaßen wichtig und werden in der Durchgestaltung der Flächen mit gleicher Sorgfalt behandelt. In ihrem Zusammenwirken entstehen Kompositionen von betont graphischem Charakter. Die handwerkliche Umsetzung ihrer Entwürfe, die Leni Matthaei nicht selbst unternahm, sondern ausgebildeten Klöpplerinnen übertrug, stellte hohe Ansprüche an die technischen Fertigkeiten der Ausführenden; sie sorgte aber zugleich dafür, dass Ausdruckskraft und formale Geschlossenheit der Zeichnung auch in der textilen Verwirklichung bewahrt blieben.

B. Borkopp-Restle