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Bild der 51. Woche - 16. bis 23. Dezember 2002
Der reich mit Marketerien verzierte Stuhl wird von vier geschwungenen Beinen getragen. In sanften Einzügen laufen sie in die leicht geschweifte Zarge aus, deren Kontur in der Form des mit einem Profil umgebenen Sitzbrettes aufgenommen wird. Sanft geschweift zeigt sich auch die vertikal durchbrochene Rückenlehne mit ihrem kunstvoll umrissenen Zungenbrett. Nur wenige Stühle weist das heute bekannte Werk Abraham Roentgens auf, des Begründers einer der wichtigsten europäischen Möbelwerkstätten des 18. Jahrhunderts. Der hier vorgestellte Stuhl ist darüber hinaus in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung. Um 1760, zur Herstellungszeit des Stuhles, befindet sich die Roentgen-Werkstatt auf ihrem ersten Höhepunkt. Die Einflüsse holländischer und englischer Lehrjahre sowie der grundlegend an Frankreich orientierte Geschmack der Zeit sind bereits zu einem eigenständigen Stil vereint. Schon zeigt sich der erste Wandel in der Technik der Oberflächengestaltung, weg von der natürlichen Wirkung der Maserung des Holzes hin zur Färbetechnik. Bei den feinen Einlegearbeiten unseres Stuhls handelt es sich nicht ausschließlich um Blütenornamentik und C-Schwünge. Die auf dieser Aufnahme nur schwer einsehbare Sitzfläche (siehe Detail) eröffnet den Blick auf eine kleine Ruinenlandschaft mit einer abgebrochenen Säule, heruntergefallenen Bruchstücken und anderen baulichen Überresten. Die nicht sichtbare Rückseite der Lehne ist von einer dunklen, diagonalen Vergitterung überzogen, und an der breitesten Stelle des Zungenbrettes findet sich die Darstellung eines Kurhutes sowie der Initialen JPC. JPC, das Besitzermonogramm des Trierer Kurfürsten und Erzbischofs Johann Philipp von Walderdorff, weist auf den Auftraggeber des Stuhles, und liefert des weiteren einen Anhaltspunkt für die Absicht, die den Auftrag bewirkt haben mag. Um seinen Machtanspruch als Herrscher zu manifestieren, ließ Walderdorff ein luxuriöses Möbel kreieren, dessen Aufgabe weniger der Gebrauch als vielmehr die Repräsentation war. Möglicherweise als Gegenstück zu einem Prunkschreibtisch entworfen, weist die kostbare Gestaltung der Sitzfläche durchaus auf eine weitere Bestimmung hin. Es scheint eine seperate Aufstellung des Möbels als „Kunstkammerobjekt“ und „Meisterwerk“ seiner Zunft denkbar. Die Ruinendarstellung auf dem kurfürstlichen Stuhl spiegelt ferner die Wiederentdeckung der römischen Städte Herculaneum (1709) und Pompeji (1748) wider. Im weiterführenden Sinne verweist sie auch auf die Übernahme des Formenschatzes römischer Möbel im Klassizismus.
U. Hottmann