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Das "Weltgericht" en détail... (3)

Bild der 50. Woche - 9. bis 16. Dezember 2002

Weltgericht, Südniederländisch um 1420 aus dem Rathaus zu Diest
Rekonstruktion: Stefan Lochner, Weltgericht, um 1435, (Wallraf-Richartz-Museum - Fondation Corboud, Köln) mit Flügeln (Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt a. M.)

Die Weltgerichtdarstellung von Stefan Lochner, über die wir eine kleine Serie begonnen haben, ist nicht nur ein detailreiches und theologisch interessantes Werk. Auch seine Einordnung in die Kunstgeschichte, seine Funktion und nicht zuletzt sein ursprüngliches Erscheinungsbild waren und sind Gegenstand intensiver Diskussion. Das Bild Stefan Lochners kam 1824 mit der Sammlung des Kölner Kanonikers und "Vaters" der Stadtkölnischen Museen in das Wallraf-Richartz-Museum. Wallraf selbst hatte es aus der Kölner Pfarrkirche St. Laurentz erworben. Dies legte zunächst die Vermutung nahe, daß es sich hier um ein Altargemälde handelt - zumal der Tafel des Weltgerichtes zwei von der Größe her passende und mit gleichen Stifterwappen versehene Flügel zugeordnet waren (wie hier bei unserem heutigen Bild als Rekonstruktion zu sehen. Die Wappen befinden sich auf dem Weltgericht in den oberen Ecken der Tafel, bzw. bei den Flügeln auf den Außenseiten). Auf den ersten Blick passen für eine Zusammengehörigkeit von Weltgericht und Flügel alle Indizien: Gemeinsame Herkunft, gleicher Maler, gleiche Größe, gleiche Stifterwappen. Es gibt jedoch ein paar Hinweise, die auch einen anderen Schluß zulassen: So ist zunächst die thematische Zusammenstellung von Weltgericht auf der Mitteltafel und den Martyrien der Apostel auf den Flügeln ungewöhnlich und ohne Beispiel. Zudem paßt dies theologisch nicht zusammen. Dann steht die Aufteilung der Flügel in jeweils 6 Felder in keinem harmonischen Zusammenhang zur Komposition der Mitteltafel. Während diese durch die aus dem Bild und in das Bild strömenden Bewegungen bestimmt wird, haben die Flügel kaum Bildtiefe und Dynamik. Eine Untersuchung einer Inventarliste von St. Laurentz von 1783 ergab schließlich einen weiteren Hinweis: Das Verzeichnis zeigt, daß die Flügel der Mitteltafel nachträglich zugeordnet wurden nachdem sie vorher lange an einem anderen Ort als das Weltgericht aufbewahrt worden waren. Das wohl wichtigste Argument gegen eine Zusammengehörigkeit von Weltgericht und Flügel mit den Apostelmartyrien stellt eine Weltgerichtstafel aus dem Rathaus zu Diest dar (s. kleines Bild). Diese in ihrer Darstellung Lochners Weltgericht erstaunlich ähnliche Tafel ist Zeugnis für eine in den Niederlanden verbreitete Tradition der "Gerichtsbilder" in den Gerichtssälen der Rathäuser. Die Darstellung des Weltenrichters sollte an dieser Stelle sowohl die Richter als auch Zeugen und Angeklagte zu Gerechtigkeit, Wahrheit und Reue ermahnen. Trifft diese Deutung auch auf das Weltgericht Lochners zu, so handelt es sich nicht um ein Altarbild, sondern um ein Gerechtigkeitsbild aus dem Rathaus der Stadt Köln, welches vielleicht im 18. Jh. nach St. Laurentz gebracht wurde.

T. Nagel