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Ein frommes Bild?

Bild der 45. Woche - 4. bis 11.November .2002

Lovis Corinth (1858-1925), Kreuzabnahme, 1895, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum - Fondation Corboud, Inv.-Nr. Dep. 355, 95 x 120 cm

Kreuzabnahme „Danach bat Joseph von Arimatäa der ein Jünger Jesu war (...), den Pilatus, daß er den Leichnam Jesu vom Kreuz abnehmen dürfe. Und Pilatus erlaubte es. Sie kamen also und nahmen den Leichnam Jesu ab (...) und banden ihn samt Spezereien in Leinenbinden, wie es bei den Juden Begräbnissitte ist.“ Die Kreuzabnahme - es ist ein Augenblick voll von Schmerz, Verzweiflung und Trauer, den uns Lovis Corinth vor Augen führt. Der Bildtitel aber, den der Künstler wählte, er ist irreführend, denn eigentlich stellt er einen Moment dar, der zwischen der Kreuzabnahme und der Herrichtung des Leichnams Jesu für die Beisetzung liegt. In der Mitte, schwarz gekleidet, ist Maria, die Mutter Jesu dargestellt. Als alte Frau mit herben Gesichtszügen starrt sie versteinert und stumm vor sich hin. Sie faßt unter Jesu linken Arm, um so den Körper des Toten zu stützen. Ihr schwarzer Schleier bedeckt das Haupt ihres Sohnes und stellt so zudem eine kompositorische Verbindung zwischen ihr, dem Toten und Joseph von Arimatäa, der links im Bild zu sehen ist, her. Joseph hatte zusammen mit Nikodemus den Leichnam vom Kreuz abgenommen. Auch Joseph stützt den Leichnam und wie Johannes der Evangelist, rechts im Bild, wagt er nicht den Leichnam mit der bloßen Hand zu berühren. Das leinene Leichentuch liegt zwischen Hand und totem Körper. Entsetzt voll Bestürzung hält sich Joseph das Leichentuch vor den Mund. Johannes hingegen blickt mit großen, fast kindlichen, Augen so fragend ungläubig auf den Erlöser, als ob er das Geschehen noch nicht begriffen hätte. Maria Magdalena mit gelösten roten Haaren, nacktem Oberkörper und entblößter Brust schmiegt sich eng an Jesus. Ihr vitaler Leib umfängt den toten Körper des Mannes, der ihr den Lebenswandel als Dirne verzieh. Es entsteht eine fast erotische Innigkeit, die dadurch, das Jesus gnädig auf Magdalena niederzuschauen scheint, noch unterstützt wird. Und selbst in der Pinselführung des Malers spiegelt sich diese Verbindung wider: Magdalenas und Jesu Körper sind jeweils mit diagonalen Pinselstrichen gemalt, die sich so bei den anderen Personen nicht finden. Hinzu kommt, daß Jesu ausgebreitete Arme Magdalena zu umfangen scheinen. Seine im Tode verkrampften Hände mit den blutigen Wundmalen stehen jedoch dazu in offenem Gegensatz, rufen dem Betrachter ins Gedächtnis, daß Jesus tot ist. Corinth hat kein eindeutig frommes Bild geschaffen. Es ist ein Bild, das Fragen, das Zweifel aufwirft. Es verunsichert. Unsere Kreuzabnahme ist ein Werk des 37jährigen Malers und war erstaunlicherweise das erste Bild, für das er einen Käufer fand. Es befindet sich heute noch im Besitz der Familie des damaligen Käufers und wurde unserem Haus als Leihgabe zur Verfügung gestellt. An diesem Werk zeigt sich auch eine der Vorlieben des Malers: die Darstellung nackter Körper, die oft, wie auch bei unserer Kreuzigung, in unerwarteten Kompositionen dargestellt werden.

Th. Blisniewski