Bild der 10. Woche - 6. März bis 12. März 2023
Als der Fotograf Hugo Erfurth das Portrait von Johanna Ey 1930 in Düsseldorf aufnimmt, ist sie 66 Jahre alt. Da gilt sie bereits als »die meistgemalte Frau Deutschlands«.
Das Bild zeigt Johanna Ey, wie sie sich ein wenig zur Seite lehnt und durch eine runde, einfache Brille in die Kamera blickt. Sie stützt ihr fülliges Gesicht mit der linken Hand, ein leichtes Lächeln umspielt ihre Lippen. Die kurz geschnittenen Haare sind genauso dunkel wie ihre Kleidung, die am Kragen durch eine Brosche zusammengehalten wird. Die Hälfte des Bildraumes nimmt ihr üppiger Oberkörper ein. Hugo Erfurth ist berühmt für seine persönlich, psychologisierenden Portraits, die den Charakter der Models bildlich darstellen. Er begriff die Fotografie als künstlerisches Ausdrucksmittel und fertigt seine Abzüge als hochwertige Ölpigmentdrucke an. So ist Erfurths Johanna Ey von einer Sanftheit umgeben, die sogar den unwissenden Betrachter ergreift. Eine Umarmung dieser Frau muss etwas Tröstliches innehaben. Und dann gibt es Kaffee und Kuchen.
»Neue Kunst. Frau Ey«
Kaffee und Kuchen gab es tatsächlich bei Johanna Ey. In ihrer Kaffeestube in Düsseldorf verkehrten die »Verrückten« und »Verkannten« der Kunstszene. Oft bettelarm, konnten die jungen Künstler bei ihr anschreiben lassen oder mit Bildern bezahlen. Das sprach sich schnell herum und nach kurzer Zeit hatte sich die Kaffeestube in eine Kaffeehaus-Galerie mit dem Namen »Neue Kunst. Frau Ey« verwandelt. Sie stellte, zunächst in der Ratinger Straße, später am Hindenburgwall (heute Heinrich-Heine-Allee), Bilder des »Jungen Rheinlandes« aus, ein 1919 um den Grafiker Otto Pankok entstandenes Künstlerkollektiv.
Umstrittene Kunst – »entartete Kunst«
Die Werke des »Jungen Rheinlandes« standen im Zeichen der Groteske und Provokation. Das Grauen des Ersten Weltkrieges schlug dem Betrachter erbarmungslos von der Leinwand entgegen. Niemand kaufte Anfang der zwanziger Jahre solche Bilder. Das Geld verdiente Johanna Ey mit konventionellen Gemälden der Akademieprofessoren. Dass neben diesen Gemälden nun immer öfter Bilder der jungen Künstler hingen, löste nicht selten wutentbrannte Diskussionen aus: Es kam regelmäßig zu Menschenansammlungen und langen Schlangen vor ihrem Laden und sogar zu eingeschlagenen Scheiben. Johanna Ey, gegen ihren Willen längst »Mutter Ey« genannt, fühlte sich inmitten der tobenden Masse am wohlsten. Die blühende Kunstszene Düsseldorfs fand alsdann ein jähes Ende.
Die Wirtschaftskrise stürzte Ey in den finanziellen Ruin, die »Sammlung Ey« wurde von den NS-Machthabern als »entartete Kunst« gebrandmarkt, die Kunstwerke beschlagnahmt und ins Ausland verkauft oder zerstört. 1933 muss sie Galerie und Wohnung räumen. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Künstler des »Jungen Rheinlandes« bereits ins Exil geflohen, um Verfolgung und Tod zu entgehen. Auch Johanna Ey musste Düsseldorf schließlich verlassen.
Heute ziert ihr Porträt den Giebel eines Gebäudes am Ender der Straße, die ihren Namen trägt. Sie blickt mit demselben ruhigen Ausdruck auf die Menschenmassen herab, den Hugo Erfurth so kunstvoll eingefangen hat. Johanna Ey ist am 27. August 1947 verstorben.
C. Hoffmann