Bild der 30. Woche - 25. Juli bis 31. Juli 2022
Inrô (Medizinbehälter), Japan, spätes 17. Jh. Fünfteilig, Holz, außen Schwarzlack, innen dicht gestreuter Goldflockengrund, polierter Gold- und Silberstreudekor mit Rotlack und Perlmutteinlagen; Ojime: Schnitzlack-Kugel; Netsuke: Buchsbaum in Form zweier Pilze über Blätter geschnitzt, H 9,3 cm, B 5,8 cm, T 2,9 cm, Museum für Ostasiatische Kunst Köln, Inv. Nr. Ea 54,7
Üppig blühende Süßklee-Sträucher vor hoch ins Bildfeld hineinragenden Herbstgräsern. Im Hintergrund spannt sich der Bogen des Sichelmondes in blaugoldenem, blassen Licht. Zwischen den vom Wind leicht bewegten Blüten- und Blätterbüschen fliegen Leuchtkäfer. Diese spätsommer- oder frühherbstliche Landschaft lässt eine angenehme Abendstimmung aufkommen und ist vermutlich eine Ansicht des Uji-Flusses bei Kyoto, der für seine spätsommerliche Landschaft berühmt ist.
Träger dieser Landschaft ist der fünfteilige Medizinbehälter (jap. inrô), der wahrscheinlich im späten 17. Jahrhundert gefertigt wurde. Er besteht aus Holz, das von außen mit poliertem Schwarzlack überzogen ist. Der polierte Gold- und Silberstreudekor (makie) ist mit Rotlack und Perlmutteinlagen akzentuiert. Der Halterungsknopf aus Buchsbaumholz und in Form zweier über Blätter liegender Pilze steht für den Herbst und somit in inhaltlicher Harmonie mit der Gesamtgestaltung des Gefäßes.
Der Inrô ist mit dem Namen des Kyotoer Meisters Shiomi Masanari (1646 – 1719) signiert, der für seine hervorragende Technik des polierten Goldstreudekors und seinen poetischen Ausdruck berühmt war. Inrôs wie dieser wurden in ihrer ursprünglichen Verwendung zur Aufbewahrung von Siegel benutzt – später vor allem für Medikamente, so dass sich im deutschen Sprachraum der Name Medizindose einbürgerte.
Die Grundkonstruktion des Inrô besteht aus mehreren übereinander gestapelten Behältern, deren Boden in den jeweils darunter liegenden gesteckt wird und sich luftdicht abschließen lässt. Gewöhnlich wird mit Lack überfangenes Holz für die Inrôs verwendet. Die zusammengesteckten Behälter werden mit einer Kordel zusammengehalten, die beidseitig und zumeist nicht sichtbar verläuft. Sie wird mit einem runden Schieber (ojime) gespannt, der die Einzelbehälter zusammenhält. Man hing das Inrô an den Gewandgürtel (obi). Dabeiverhinderte ein Knebel (netsuke) sein unbeabsichtigtes Herausrutschen. Das Inrô war ausschließlich den Mitgliedern des Samurai-Standes vorbehalten, die daran auch identifiziert werden konnten. Es wurde später auch unter reichen Bürgern populär.
In der friedlichen Edo-Zeit (1603 – 1868) wandelte sich die Bedeutung des Inrô von der praktischen Verwendung als Siegel- oder Medizinbehälter zu einem mit Prestige behafteten Schmuckgegenstand. Die Modernisierungen der Meiji-Zeit (1868 – 1912) und Abschaffung des Feudalismus ließen die Inrôs zu begehrten Sammlerobjekten werden, die auch in westlichen Privatsammlungen zu finden sind. Dieser erneute Funktionswandel kommt in einem verspielten Dekor zum Ausdruck.
S. Priewe