Der zentrale Begriff für sämtliche Aktivitäten der Hitlerjugend war der »Dienst«. Dazu zählten insbesondere zwei wöchentliche Termine: Der »Heimabend« am Mittwoch und das »Antreten« am Samstag.
Der Heimabend diente der »welt anschaulichen Schulung«, bei dem Themen wie der Versailler Vertrag, »Rassenkunde« oder »Germanen« besprochen wurden. Zudem wurde – fast immer nach ideologischen Vorgaben – gesungen, vorgelesen und gebastelt.
Beim »Antreten« standen »Ordnungsübungen« (Exerzieren) und Sport sowie bei den Jungen zusätzlich »Wehrertüchtigung« und Geländespiele auf dem Programm.
Der »Dienst« war 1933/34 wegen der vielen Neuzugänge noch nicht einheitlich geregelt und musste erst gegen eine Reihe von Widerständen durchgesetzt werden. Als wichtiges Mittel hierfür diente der 1934 eingeführte »Staatsjugendtag«.
Als sich die Hitlerjugend 1933 binnen Kurzem zu einer Millionenorganisation entwickelte, stand sie vor zahlreichen Problemen. Der heterogen gewordenen Organisation fehlten auf dem Weg zur Vereinheitlichung klare Vorgaben zur Dienstgestaltung, verbindliche Termine für den wöchentlichen »Dienst« und Führungspersonal.
Ein erster Versuch zur Problemlösung war die Anordnung des Erziehungsministeriums vom 26. August 1933, der Hitlerjugend zwei Nachmittage pro Woche zur freien Verfügung zu stellen. Vielfach hielten Einheiten ihren »Dienst« nun jedoch sonntags ab, was zu Konflikten mit Kirchen und Familien führte.
Daher wurde am 7. Juni 1934 der »Staatsjugendtag« eingeführt. Während der Sonntag nun ausschließlich der Familie gehören sollte, war der Samstag für alle 10bis 14jährigen Angehörigen der Hitlerjugend künftig schulfrei. An ihm sollte nun regelmäßiger »Dienst« stattfinden. Zugleich wurde der Mittwoch als Termin für den »Heimabend « festgelegt. Jene Schüler, die der Hitlerjugend nicht angehörten, mussten samstags weiterhin die Schule besuchen.
Der Staatsjugendtag verursachte erhebliche Probleme. So mussten Schulen ihre Stundenpläne umarbeiten, damit Angehörige der Hitlerjugend keinen Schulstoff versäumten. Außerdem standen nicht genügend Führungskräfte zur Verfügung, sodass der Staatsjugendtag vielerorts völlig chaotisch verlief.
Damit führte gerade der Staatsjugendtag zentrale Probleme der Hitlerjugend vor Augen, die dem Massenandrang 1933/34 in keiner Weise gewachsen war.
»Heute Morgen war einem etwa 13-jährigen Mädchen die gesamten Mädchen der hiesigen Rektor- und Volksschule unterstellt und es kam dann zu Missliebigkeiten. Es ist eben ein Unding, dass ein Kind zu einer so verantwortungsvollen Aufgabe herangezogen werden kann. Falls es unmöglich ist, hier Änderung zu schaffen, müsste ich meine Kinder aus der Organisation wieder herausnehmen und offiziell in die Schule senden.«
Beschwerdebrief eines Vaters aus Oerlinghausen an Staatsminister Riecke, 25.8.1934 LAV NRW OWL, L80 III/4349
Der »Dienst« wurde von der Reichsjugendführung durch immer neue Vorschriften, Schulungshefte und Materialien zur Dienstgestaltung bis ins Detail geregelt. Spielräume für eigene Ideen waren nicht vorgesehen. Die Jugendlichen sollten einheitlich »ausgerichtet « und im Sinne der nationalsozialistischen Rollenbilder geprägt werden.
Ziel des BDM war die Heranbildung der zukünftigen »Hausfrau und Mutter«, Ziel der HJ war der zukünftige Soldat. Damit griff der Nationalsozialismus ein bestehendes konservatives Rollenverständnis auf und passte es seiner »Weltanschauung« an.
Die Heimnachmittage und Heimabende dienten der »weltanschaulichen Schulung«. Hier sollten den Mädchen und Jungen bestimmte Vorbilder und Feindbilder vor Augen geführt und weltanschauliche Grundeinstellungen vermittelt werden.
Als Vorbilder dienten »große Deutsche« aus Geschichte und Gegenwart, zu denen Friedrich der Große ebenso zählte wie Hermann Göring. Frauen wurden hingegen nicht einmal den Mädchen in nennenswerter Zahl vorgestellt. Zu den Feindbildern zählten »der Bolschewismus« und – oft damit eng verknüpft – »der Jude«. Dabei wurden den Mädchen rassenideologische Inhalte auch unter dem Aspekt der Fortpflanzung vermittelt, denn sie sollten vor allem für die »Reinerhaltung des Blutes« zuständig sein.
Weitere Themen für alle vier Gliederungen waren der Versailler Vertrag und die »verlorenen Gebiete«, idealisierte Darstellungen der »heroischen« deutschen Geschichte und völlig einseitig dargestellte aktuelle politische Ereignisse.
Beim »Antreten« am Samstag machten sowohl Mädchen als auch Jungen »Ordnungsübungen«, bei denen sie lernten, akkurat in Reih und Glied zu stehen und zu marschieren. Ein Kommandoton war dabei nur bei den Jungen erwünscht, die Mädchen sollten lernen, von sich aus »ruhig und ordentlich« zu sein.
Zudem trieben die Jugendlichen Sport – die Mädchen vor allem Leichtathletik, Gymnastik und Ballspiele, die Jungen zusätzlich kämpferische Spiele. Dazu gehörten auch Geländespiele, die durch im Wortsinn »schlagkräftige« körperliche Auseinandersetzungen entschieden wurden. Bei den etwas älteren Jungen kam noch die »Wehrertüchtigung « einschließlich Schießübungen dazu.
An Wochenenden wurden gelegentlich »Fahrten« durchgeführt. Neben der Stärkung der »Kameradschaft« ging es dabei vielfach darum, eine bestimmte Kilometerzahl zurückzulegen.
Ziel dieses Teils des Dienstes war die Heranbildung »gesunder Körper« und das Erlernen von Disziplin und Ordnung.
HJ-Fanfarenzug und Bannfahnen bei einer Großveranstaltung in Witten, um 1944 © Stadtarchiv Lippstadt, Bestand Nies
Neben den wöchentlich wiederkehrenden Heimabenden und Samstagsdiensten hatten die Angehörigen der Hitlerjugend eine Fülle weiterer Aufgaben zu erfüllen und Termine wahrzunehmen. Sie führten Sammlungen durch, verkauften Zeitschriften, bastelten für das Winterhilfswerk, veranstalteten Elternabende und nahmen an Propagandaveranstaltungen und NSDAP-»Kundgebungen « teil.
Sammlungen waren einer der wichtigsten »Sonderdienste« der Hitlerjugend. Sie sammelte für das Winterhilfswerk (WHW), das Deutsche Jugendherbergswerk oder das Rote Kreuz. Daneben gab es Sammlungen, durch die Rohstoffe oder Devisen eingespart werden sollten: Altpapier, Altmetall, Altglas, Knochen, Bucheckern, Eicheln und Kastanien, Heilkräuter und Fallobst.
Die Sammlungen von Altmaterial und Naturalien dienten dabei auch der Aufbesserung der stets schlechten wirtschaftlichen Lage der Hitlerjugend. Die Erlöse konnten zum Teil zur Anschaffung von Fahrtenausrüstungen oder Sportgeräten verwendet werden.
Viele Einheiten führten regelmäßig Elternabende durch, auf denen sie mit Liedern, Theaterstücken und Sportübungen einen Ausschnitt aus ihrem »Dienst« präsentierten.
Die Veranstaltungen dienten nicht allein dem Kontakt zu den Eltern, sondern waren immer auch Werbeveranstaltungen. Ansprachen von Führern der Hitlerjugend oder Parteivertretern bildeten daher stets einen Teil des Programms.
oben: HJ-Elternabend im Heim Berliner-Straße in
Köln-Höhenhaus, 1930er-Jahre © NS-DOK, Köln
unten: Angehörige der Kölner Jungmädelgruppe
Weißenburg 17/53 kleben Plakate für ihren Elternabend;
undatiert. © NS-DOK, Köln
Im »nationalsozialistische Feierjahr« wurden viele Veranstaltungen von Propagandamärschen und Kundgebungen begleitet: »Führers Geburtstag« am 20. April, »Tag der Arbeit « am 1. Mai, »Tag der deutschen Jugend« am 21. Juni, Erntedank im Oktober oder der 9. November, an dem der Toten des »Marsches zur Feldherrenhalle« gedacht wurde. Hinzu kamen weitere Anlässe wie Fahnenweihen, Besuche hoher Parteivertreter und Veranstaltungen zu aktuellen politischen Ereignissen.
In Städten wurden solche Veranstaltungen pompös inszeniert. Dabei mussten die Jugendlichen oft stundenlang in starrer Formation ausharren. Auf dem Land waren solche Ereignisse weitaus seltener und glichen oft eher Schützenumzügen als perfekten Inszenierungen.
Sport war ein zentraler Bestandteil des »Dienstes«. Die Hitlerjugend machte damit eine beliebte Freizeitbeschäftigung zu ihrem Anliegen und zugleich zum wichtigen Element ihrer rassenideologischen und wehrpolitischen Zielsetzung.
Jeder Jugendliche, der in einem Verein Sport treiben wollte, musste ab 1934 zwingend der Hitlerjugend angehören. Sie übernahm im Juli 1936 die gesamte »Leibeserziehung« der 10-bis 14-Jährigen und Ende des Jahres schließlich auch den Leistungssport. Damit verfügte die Hitlerjugend auch über dringend benötigte qualifizierte Trainer und gut ausgebaute Übungsstätten.
Sie selbst bildete zusätzlich »Sportwarte« aus und führte mit den »Leistungs abzeichen« eigene Sportprüfungen ein, die um weltanschauliche Aspekte und Wehrertüchtigung ergänzt wurden.
Von Beginn an ließ die Hitlerjugend keinerlei Zweifel daran, dass sie Sport nicht als eine individuelle Freizeitbeschäftigung, sondern als Teil der weltanschaulichen Erziehung verstand. Die Jungen sollten abgehärtet und auf das Soldatentum vorbereitet werden. Der Mädchensport sollte sicherstellen, dass die weiblichen Jugendlichen »Deutschland ein gesundes, starkes Geschlecht« schenken«.
Den Zugriff auf alle Sport treibende Jugendliche eröffnete am 25. Juli 1934 eine Vereinbarung mit Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten. Sie machte die Mitgliedschaft in einem Sportverein von der Zugehörigkeit in der Hitlerjugend abhängig. 1936 wurden die Jugendabteilungen der Sportvereine ganz aufgelöst. Individualsport außerhalb der Hitlerjugend war nun kaum mehr möglich.
Für Mädchen waren »Leibesübungen« seit den 1920erJahren Ausdruck eines neuen Körperbewusstseins: Weg von Korsetts hin zu gesunder Kleidung und einem »durchgebildeten « Körper.
Der BDM knüpfte mit seiner Sportarbeit hieran an, verband sie allerdings mit einer rassenideologischen Zielsetzung. Im Dienstalltag dominierten zumeist aber nicht solche Überlegungen, sondern Spaß und Freude an der so lange verwehrten sportlichen Betätigung.
In den Städten setzte sich der BDMSport schnell durch, weil hier Vereine und Schulen schon Vorarbeit geleistet hatten. In den konservativen ländlichen Regionen stieß er hingegen auf starke Vorbehalte. Hier entrüstete man sich insbesondere über die kurzen Turnhosen und freizügigen Turnhemden, die als »unanständig« galten.
Zur Förderung sportlicher Leistungen, aber auch als Kontroll- und Druckmittel, wurden 1934 für HJ und BDM, 1935 auch für Jungvolk und Jungmädel »Leistungsabzeichen « eingeführt. Für ein solches Abzeichen mussten nicht nur sportliche Leistungen erbracht, sondern auch weltanschauliche Fragen beantwortet werden.
Die Jungen hatten zudem – etwa in Form von »Leistungsmärschen « - eine Prüfung im Bereich »Wehrertüchtigung « abzulegen. Auf diese Weise sollten sie schrittweise zur »vollen Wehrfähigkeit« gebracht werden.
Die sportlichen Leistungen wurden regelmäßig auf Sportfesten präsentiert. Sie dienten immer auch als Propagandaveranstaltung und sollten die Jugendlichen in einem Zustand permanenter Leistungsbereitschaft halten.
Dieses Ziel verfolgte auch das 1933 ins Leben ge rufene »Deutsche Jugendfest«, das am Tag der Sommersonnenwende in enger Kooperation mit den Schulen jährlich abgehalten wurde. Tagsüber galt es, sportliche Leistungen zu zeigen, um am Abend dann am Sonnenwendfeuer die NSWeltanschauung zu feiern.
Es ging dabei aber stets auch um Ausgrenzung: Jene, die sich nicht wie gewünscht beteiligten, galten als »Querulanten«, die es ebenso wie die »Ver sager« aus den Mannschaften »auszustoßen« galt. Wichtigster Gradmesser sollte nicht die Leistung, sondern die »charakterliche Gesinnung« sein. Anlässlich des Jugendfestes 1934 defi nierte die Schülerzeitschrift »Hilf mit!« das Ideal: »Manneszucht üben, pünktlich zur Stelle sein, alles Hergeben zur Ehre und zum Bestehen der Mannschaft.«
Mit ihren »Fahrten« (Wanderungen und Radtouren) griff die Hitlerjugend eine beliebte Freizeitbeschäftigung auf, die von Jugendgruppen schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts gepfl egt wurde. Wochenendfahrten waren dabei Teil des »Dienstes«, die in den Ferien stattfi ndenden »Großfahrten« hingegen freiwillig.
Ihr offizielles Ziel galt der Stärkung der Verbundenheit zu »Volk«, »Boden« und Natur. In der Praxis drängte die Freude am Unterwegssein derartige Ideen aber meist in den Hintergrund. Nur die »Großfahrten« hatten auch deutlich politisch motivierte Ziele.
Als Teil des »Dienstes« führten die unteren Einheiten der Hitlerjugend Wochenendfahrten in die nähere Umgebung durch. Sie machten entweder eine Radtour oder fuhren eine Strecke mit der Bahn, um dann zu wandern. Vorgeschrieben waren ein bis zwei solcher Ausfl üge pro Monat eine Zahl, die aber nie erreicht wurde. 1937 beispielsweise nahmen nur rund 500.000 Angehörige von HJ und Jungvolk sowie etwa 400.000 Mädchen an »Kleinund Kurzfahrten« teil.
In den Anfangsjahren waren die Gruppen in der Gestaltung ihrer Fahrten noch relativ frei. Sie konnten »loswandern « und an frei gewählten Orten übernachten. Sehr bald wurde das Fahrtenwesen der Hitlerjugend jedoch stark reglementiert: Marschleistung, Abfolge der Pausen und Übernachtungsorte wurden festgelegt, ebenso wie Ortschaften zu passieren waren nämlich in Marschordnung und mit einem Lied.
Fahrtenerlaubnisschein« für die »Großfahrt« von zwei Kölner Fähnlein, 1939 © NS-DOK, Köln Kurz vor Kriegsbeginn gingen 23 Jungen der Kölner Fähnlein 1/53 und 3/53 auf »Großfahrt« durch Brandenburg und Mecklenburg. In Berlin besuchten sie unter anderem das »Reichssportfeld «, die Reichskanzlei , das Grab Horst Wessels, die Rundfunkausstellung und – hier im Bild – das Heeresmuseums im Zeughaus.
In den Ferien bot die Hitlerjugend »Großfahrten« an. Diese mehrwöchigen Wanderungen und Radtouren koordinierten und genehmigten die Gebiete und Obergaue. Sie legten die Fahrtenziele fest, um einen zu starken Besuch beliebter Gegenden zu vermeiden. Die »Großfahrten« boten eine Mischung aus Naturerleben und Besichtigungen. Neben klassischen Sehenswürdigkeiten standen dabei politisch motivierte Ziele wie die Berliner Reichskanzlei oder die Münchener Feldherrenhalle auf dem Programm.
Nur die wenigsten Mitglieder der Hitlerjugend nahmen je an einer »Großfahrt« teil. 1937 waren es lediglich 106.000 Hitlerjungen und 21.500 BDMMädchen. Dennoch war die propagandistische Wirkung solcher Unternehmungen von großer Bedeutung.
Eine Besonderheit stellten die »Grenzlandfahrten« dar, die in Gegenden führten, die durch den Versailler Vertrag von Deutschland getrennt oder losgelöst worden waren. Diese Fahrten waren ideologisch aufgeladen, weil sie den Zweck verfolgten, etwaige Besitzansprüche zu markieren und für den Erhalt des »Deutschtums« zu werben.
Die Hitlerjugend baute solche Unternehmungen insbesondere in der Form von »OstlandFahrten « systematisch aus und verband sie zugleich auch mit rassenideologischen Ideen und der Ideologie vom »Volk ohne Raum«. Im Rahmen dieser Grenz- und Auslandsarbeit entfaltete die Hitlerjugend vielfältige kulturelle Aktivitäten. 1935 begann sie mit der Durchführung von Fahrten zu deutschen Bevölkerungsgruppen im Ausland, um dort das Gefühl zu vermitteln, »dass wir im Reich zu ihnen gehören und sie zu uns«.
Zeltlager einer westfälischen Jungvolk-Einheit im Sauerland, 1937: Kleines Lager, großes, bewachtes Tor und im Hintergrund Ordnungsübungen. © NS-DOK, Köln
Mehrtägige Veranstaltungen der Hitlerjugend fanden meist in Form von Lagern statt. Sie fielen sehr unterschiedlich aus und reichten von kleinen Zeltlagern einer unteren Einheit bis hin zu riesigen Zeltstädten mit Tausenden von Teilnehmern. Es gab Wochenendlager, mehrwöchige Sommerlager mit wechselnder Belegung und Lager im Rahmen besonderer Veranstaltungen wie Sportfeste, Kulturlager oder Reichsparteitage.
Trotz aller Reglementierung wurden solche Lager von vielen Jugendlichen als willkommene Abwechslung empfunden. Sie erlaubten, der häuslichen Aufsicht zu entkommen, Spaß mit Gleichaltrigen zu haben und die Natur zu erleben.
Der eigentliche Zweck war jedoch ein anderer: Fern von Eltern und anderen Autoritäten konnten die Jugendlichen in Lagern besonders gut im NS-Sinne erzogen und intensiv indoktriniert werden.
Oberstes Ziel der Lager war es, »durch die Lagergemeinschaft die Volksgemeinschaft« kennenzulernen: »Lagerdienst ist Dienst am Wir, an der Gemeinschaft, ist Sozialismus der Tat«, hieß es in den Vorschriften. Dementsprechend wurde im Lager nicht nur die gleichmachende Uniform getragen, sondern sämtliche Aktivitäten wurden stets in der Gruppe, nie individuell durchgeführt. Sowohl die Lager selbst als auch deren Programme mussten durch eine übergeordnete Dienststelle genehmigt werden. Die dadurch ermöglichte Kontrolle stellte sicher, dass die gewünschte »Lagererziehung« auch tatsächlich stattfand. In größeren Lagern wurden zusätzlich Inspektionsfahrten durch höhere Führer durchgeführt.
Aufbau und Ablauf der Lager folgten immer dem gleichen Schema. Bereits der äußere Anblick mit den aufgereihten Rundzelten, dem Fahnenmast und dem bewachten Lagertor war Ausdruck von Disziplin und Ordnung. Ebenso einheitlich war der durch Fahnenappelle, verschiedene Dienste, Sport und »Wehrertüchtigung « streng gegliederte Lageralltag.
Weil sämtliche Aktionen in der »Gemeinschaft« stattfanden, gab es praktisch keinerlei Rückzugsmöglichkeiten. Im Vordergrund des Lageralltags stand die Einordnung in die »Kameradschaft«. So lernten die Jugendlichen – bei allem Vergnügen, das die Lager zweifellos boten
Jungmädel und BDM führten ihre Lager meist in festen Unterkünften, vor allem in Jugendherbergen, durch. Reine Zeltlager waren weniger verbreitet und wurden 1937 gänzlich untersagt. Die »Romantik des Zeltlagers«, so die Begründung, sei eher etwas für Jungen.
Auch in den Mädchenlagern gab es einen straffen Tagesablauf mit Frühsport und Fahnenappellen. Daneben wurde großer Wert auf kulturelle Arbeit sowie »Haus- und Küchendienst« gelegt. So mussten die Mädchen ihre Mahlzeiten – im Gegensatz zu den Jungen – selbst zubereiten. Das Erlernen hauswirtschaftlicher Tätigkeiten gehörte zum Erziehungsziel des BDM und sollte die Mädchen auf ihre Rolle als »Hausfrau und Mutter« vorbereiten.
Dennoch waren solche Lager für viele Mädchen etwas völlig Neues. Hier konnten sie erstmals den oft als be drückend empfundenen familiären Rahmen verlassen. Das erhöhte die Attraktivität solcher Angebote erheblich.
Für ihre Arbeit benötigte die schnell wachsende Hitlerjugend Tausende von Unterkünften. Schon früh forderte sie daher eigene Heime. Geeignete Räumlichkeiten waren jedoch knapp, und die Hitlerjugend hatte kaum Geld für Miete.
Zur Verbesserung der Lage verfolgte sie mehrere Strategien: Sie übernahm die Heime verbotener Jugendorganisationen und besetzte kirchliche Jugendheime. Sie führte Werbeaktionen durch und richtete Räume in Eigenarbeit her.
Trotz aller Bemühungen schaffte es die Hitlerjugend zu keinem Zeitpunkt, für alle Einheiten gute Räumlichkeiten zu bekommen. Neubauten wurden nur wenige errichtet. Meist mussten sich die Jugendlichen mit Provisorien bescheiden. Als häufigste Lösung blieb nur die ungeliebte Nutzung von Klassenzimmern und Turnhallen.
Vor 1933 besaß die Hitlerjugend keine eigenen Heime. Ihre Einheiten waren auf die Unterstützung von Privatpersonen oder Parteistellen angewiesen, die zumeist keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung stellten. Häufig musste – wenig jugendgerecht – in Gastwirtschaften getagt werden, die NS-Sympathisanten gehörten.
Nach der Machtübernahme wurden den Einheiten der Hitlerjugend vielerorts Räume in Schulen und öffentlichen Gebäuden zur Verfügung gestellt. Das war häufig mit erheblichen Problemen verbunden.
Am 15. April besetzten Kölner Hitlerjungen das Heim der lokalen Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) in der Quentelstraße. Es wurde in »Schirach-Haus« umbenannt und am symbolträchtigen 1. Mai offiziell eingeweiht. Westdeutscher Beobachter, 15.4.1933
1933 gab es kaum Jugendheime, die im Besitz von Städten und Gemeinden waren. Die Kirchen verfügten hingegen über zahlreiche solcher Räume und Häuser. Diese Heime wurden 1933/34 von der Hitlerjugend häufi g mit dem Argument besetzt, sie seien mit öffentlichen Geldern gefördert worden und müssten ihr daher zur Verfügung stehen. Gegen solche Übergriffe setzten sich die Kirchen jedoch meist erfolgreich zur Wehr.
Die nichtkonfessionell gebundenen Jugendorganisationen wurden unmittelbar nach der NSMachtübernahme verboten oder anschließend im Zuge der »Gleichschaltung « aufgelöst. Danach verleibte sich die Hitlerjugend deren Heime oft mit der gesamten Ausstattung ein.
Die Hitlerjugend veranstaltete ab 1934 regelmäßig öffentliche Werbeaktionen für einen systematischen Heimbau. Nachdem die Anforderungen an solche Unterkünfte zunächst gering waren, wurden sie nach dem HJ-Gesetzes vom 1. Dezember 1936 deutlich erhöht. Das Jahr 1937 wurde seitens der Reichsjugendführung zum »Jahr der Heimbeschaffung« erklärt. Fortan sollten nur noch »mustergültige Heime« errichtet werden.
Die Finanzierung oblag den Kommunen. Hatten Landräte und Bürgermeister dabei zunächst noch einen gewissen Spielraum, wurden sie durch das »Gesetz zur Förderung der HJ-Heimbeschaffung « vom 1. Januar 1939 verpflichtet, solche Heime zu errichten und zu unterhalten – eine Vorgabe, die unter den Bedingungen des Krieges aber kaum mehr in die Tat umgesetzt wurde.
Bauschein des HJ-Heims in Neuhaus. © Stadtarchiv Paderborn, G-4906-041
Nachdem die Gemeindeverwaltung im Mai 1937 den Bau beschlossen hatte, dauerte es bis September
1938, ehe der »Arbeitsausschuss für HJ-Heimbeschaffung« den Bauschein ausstellte. Das Gebäude wurde
aufgrund immer neuer Probleme und des Kriegsbeginns erst 1943 im Rohbau fertiggestellt und nie als
HJ-Heim genutzt.
Vom 1. Oktober 1936 an musste jedes Bauvorhaben durch den neu ins Leben gerufenen »Arbeitsausschuss für HJ-Heimbeschaffung « bei der Reichsjugendführung in Berlin genehmigt werden.
Dort wurden Pläne und Modelle begutachtet und Weisungen für ein »landschaftsgebundenes Bauen« erteilt: Die Verwendung »heimischer Baustoffe« gehörte ebenso dazu wie die Orientierung an traditionellen regionalen Bauweisen. Die Heime sollten so zum Ausdruck des angeblichen »rassischen Formenwillens« der jeweiligen Landschaft werden.
Heime, die diesen Anforderungen genügten, entstanden jedoch nur sehr wenige – nicht zuletzt deshalb, weil durch den Arbeitsausschuss langwierige Genehmigungsverfahren etabliert wurden.
»Wir bauen für den Führer, wir formen seine Gedanken in Holz und Stein.
Jedes Haus sein Denkmal!« »Die Architekten folgen der Stimme ihres Gewissens, ihres Blutes und Stammes.«
Baldur von Schirach
»Es ist selbstverständlich, dass die HJ nur in den Räumen arbeiten und sich aufhalten kann, die nach ihrem Stilempfinden gebaut worden sind.«
Gustav Adolf Langanke, Gebietsführer Westfalen
Heime, die den Ansprüchen der HJFührung entsprachen, entstanden nur sehr wenige. Ursache dafür waren Finanzierungsschwierigkeiten der Kommunen, langwierige Genehmigungsverfahren der Reichsjugendführung sowie während des Krieges Materialknappheit und Umnutzung vorhandener Räume. Von den geforderten 50.000 Neubauten wurden bis 1943 nicht mehr als 1.071 gebaut.
Daneben gab es rund 40.000 Unterkünfte, die als nicht zufriedenstellend galten.
»Wo aber müssen sich unsere Jungen und Mädel meist heute noch zusammenfinden? In dumpfen Kellerräumen, in Wirtshaussälen, in leeren Scheunen und Mansarden, in kahlen Fabrikräumen, in den geliebten Schulräumen mit Bänken und Pult, ja in Räumen ohne Licht und Tisch, ohne Stuhl oder Hocker, wo die Jungen und Mädel Zeitungspapier mitbringen, um sich auf den Boden setzen zu können. Es gibt sogar eine Menge Einheiten, die wirklich nichts zur Verfügung haben, die tatsächlich bei jedem Dienst, trotz Wind und Wetter auf den Sportplatz angewiesen sind.«
Hartmann, Gebiet Westfalen
Das Fähnlein Arminius aus Euskirchen richtete sich in einem baufälligen Hinterhofgebäude ein Heim ein. Westdeutscher Beobachter, 15.2.1934
»Von dem Mobiliar kann allerdings nur der schmucke eiserne Ofen den kritischen Blicken des Beschauers standhalten. Was sonst noch vorhanden ist, macht den augenscheinlichen Eindruck, lebensüberdrüssig zu sein. Um den wackeligen Tisch hat sich eine ganze Gesellschaft alter Schubladen versammelt, die vorher im Gerümpelhaufen des Vorraums verstaubten und nun als unentbehrliche Sitzgelegenheiten dienen.«
»Der Bau, zu dem eine ehemalige Maschinenhalle sowie verschiedene Büroräume gehören, befanden sich aber in einem schlimmen Zustand. Man stelle sich einen riesigen Raum von 210 qm vor, überall ragen Eisenstangen aus dem Boden, Fensterscheiben sind zertrümmert, der Betonboden weist Löcher auf, und durch die Decke tropft es bei starkem Regen herein. Da gibt es für die Jungen Arbeit in Hülle und Fülle.«
Die eindeutige Zielorientierung des »Dienstes« in Jungvolk und Hitlerjugend war der spätere Einsatz im Krieg. Daher bestimmte die vormilitärische Ausbildung das Leben in den einzelnen Einheiten. Gelände- und Orientierungsmärsche, Handgranatenweitwurf, Bombenzielwurf und immer wieder Schießübungen bereiteten die Jugendlichen mit zunehmendem Alter immer gezielter auf den Kriegsdienst vor.
Das galt auch für die Sondereinheiten. Marine-HJ, Flieger-HJ, Motor-HJ oder Nachrichten-HJ dienten der »Nachwuchsschulung für die Sonderwaffen der Wehrmacht«. Ihre extremste Ausprägung erfuhr die vormilitärische Ausbildung in der Hitlerjugend mit der Einrichtung eigener »Wehrertüchtigungslager « während des Krieges.
Diese Doppelseite aus der »HJ-Illustrierten Die Fanfane« lässt keinerlei Zweifel am Endziel der Erziehung in der Hitlerjugend aufkommen, von Januar 1935
»Kleinkaliber-Figurenscheibe« der HJ © NS-DOK, Köln
Führerlehrgang des Jungvolks aus Köln-Dellbrück
bei der vormilitärischen Ausbildung, um 1938/39.
Die »Pimpfe« basteln »Pappkameraden« für Geländespiele.
© NS-DOK, Köln
Die Funktion des »Pappkameraden« wird mit Blick
auf die Zielscheibe schnell klar: Schon die Jüngsten
sollten lernen, ohne Skrupel auf menschliche
Silhouetten zu schießen. Dabei wurde die ungeschützte
Augenpartei zwischen Stahlhelm und
Schutzkleidung zum idealen Trefferfeld erklärt.
Im »Illustrierten Beobachter« wurde bereits 1935 der Weg »vom Pimpf zum wehrhaften deutschen Mann« vorgezeichnet.
Die Wehrertüchtigung bestand nicht nur aus Vermittlung von Waffentechnik und militärischem Drill. Sie versuchte stets auch, die Jungen für alles Soldatische zu begeistern und zugleich zu überzeugten Nationalsozialisten zu erziehen. Sie wurden daher nicht nur körperlich und wissensmäßig, sondern auch ideologisch auf die Wehrmacht vorbereitet, was im Begriff der »Wehrfreudigkeit« und dem Leitbild des »Politischen Soldaten« zum Ausdruck kam.
Gleichzeitig wurden alle negativen Facetten des Soldatentums – zumindest bis zum Kriegsbeginn 1939 – weitgehend ausgeklammert. Das führte dazu, dass den Jugendlichen ein völlig falsches und idealisiertes Bild vom Soldatentum vermittelt wurde.