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Antike Medizin

Bild der 44. Woche - 31. Oktober bis 6. November 2022

Ein Arzt versorgt einen verwundeten Krieger, Relief von einem römischen Grabbau des 1. Jahrhunderts n. Chr, Kalkstein, Höhe 1,50 m; größte Breite 1,62 m, Römisch-Germanisches Museum, Foto: RGM und RBA Köln, Anja Wegner

 

Das Relief könnte uns folgende Szene zeigen: Ein Arzt versorgt eine schwere Stichwunde im oberen Bauchbereich seines Patienten. Er hält in seiner rechten Hand einen Schwamm oder Scharpie, einen Bausch gezupfter Textilfasern, um die Blutung zu stillen und die Wunde zu reinigen. Sehen wir hier den Einsatz eines römischen (Militär-)Arztes? Ja und nein.

Die professionelle Behandlung frischer Stich- und Schnittwunden beschreibt Celsus, der Enzyklopädist der römischen Medizin im 1. Jahrhundert nach Christi: »Nachdem man untersucht hat, wo ein Verwundeter, bei welchem noch Rettung möglich ist, getroffen worden ist, hat man sogleich auf zweierlei zu achten: nämlich, dass den Kranken weder der Blutverlust noch eintretende Entzündung töte. Fürchtet man die Verblutung …, so füllt man die Wunde mit trockener Scharpie, legt dann in kaltem Wasser ausgedrückte Schwämme darüber und drückt sie mit der Hand auf.« (de medicina V. 26, 21).

Unser Arzt sieht sicher auch aufgrund der glatten Wundränder Heilungschancen, denn nach Celsus »ist eine in gerader Richtung verlaufende Wunde am wenigsten gefährlich.« (de medicina V. 26, 1). Vor dem Nähen empfiehlt er die Säuberung: »Ferner muss man auf jede Wunde zuerst einen in Essig ausgedrückten Schwamm legen. Kann jemand die Schärfe des Essigs nicht vertragen, so nimmt man Wein.« (de medicina V.26, 23).

Die medizinischen Details sind in der Darstellung dieser Szene wirklichkeitsnah umgesetzt, führen also antiken Betrachter*innen ärztliche Kunst und Umsicht vor Augen. Doch gleichzeitig erscheinen Arzt und Patient der Lebenswirklichkeit entrückt: Als Figuren aus einer Erzählung der griechischen Mythologie heben sie das Geschehen in eine zeitlose Sphäre, verbinden es mit der jahrhundertealten Vorstellung von der Rettung aus Todesgefahr durch ärztliche Kunst und mit den Segnungen der Medizin.

Der Bildhauer griff bei der Ausführung der Szene auf verschiedene Darstellungen des Themas Arzt – Patient zurück und hat eine von seinem Auftraggeber gewünschte – in der griechischen Mythologie spielende – Version umgesetzt. Besonders deutlich macht dies die Figur des verwundeten Kriegers, eines Helden oder Gottes. Sein muskulöser Körper ist in idealer Nacktheit dargestellt. Lockenfrisur und glatte Gesichtszüge unterstreichen sein jugendliches Alter. Seiner Rolle als Held entsprechend liegt er nicht zur Untersuchung auf einem Krankenbett, sondern lehnt mit gekreuzten Beinen erschöpft, aber aufrecht, an einem Baum. Schwert und Speere liegen am Boden. Seinen Helm hat er an den Wangenklappen um einen Aststumpf gehängt, den mit Aegis und Medusenhaupt verzierten Rundschild gegen den Stamm gelehnt. Zur Entstehungszeit des Reliefs in den letzten Jahrzehnten des 1. Jahrhunderts n. Chr. war ein solcher Helm- und Schildtypus nicht mehr gebräuchlich. So versetzte auch die Ausrüstung des Kriegers den antiken Betrachter in eine vergangene Zeit.

Entsprechend erscheint der Arzt im griechischen Gewand seiner Profession, einer faltenreichen gegürteten Exomis, die nur die linke Schulter bedeckt. Seine Gesichtszüge verraten, dass er wesentlich älter ist als sein Patient, was aber gleichzeitig auf wichtige Eigenschaften hinweisen soll: Erfahrung und Kompetenz. Der konzentrierte Blick auf die Stichwunde und der souveräne fürsorgliche Umgang mit dem Verwundeten ergänzen die bildhafte Übermittlung ärztlicher Tugenden.

Dem römischen Zeitgenossen war die dargestellte Geschichte sicher vertraut. Dem modernen Betrachter entzieht sich bis heute die eindeutige Identifikation der handelnden Personen. Vorgeschlagen wurde beispielsweise die Wundversorgung des Helden Aeneas durch Japyx (Vergil, Aeneis. XII, 311f) oder die Heilung des Ares durch den Götterarzt Paieon (Homer, Ilias. V, 396-405). Doch entsprechen die literarischen Schilderungen in vielen Details nicht dem Kölner Relief. Überhaupt gibt es nur wenige kaiserzeitliche Darstellungen, die die Versorgung von Kriegsverletzten übermitteln: Berühmt ist beispielsweise eine Szene auf Relief 40 der Traianssäule in Rom, oder das Telephos-Relief aus Herculaneum. Keine dieser Bildfassungen aber zeigt medizinisch relevante Details genauer als das Kölner Relief.

Das Grabrelief war Teil eines Wehrturms, dessen Fundament 1981 in der Baugrube des Museum Ludwig und der Philharmonie ausgegraben wurde. Der Turm gehörte einst zur fortifikatorischen Sicherung der Colonia auf der Rheinuferseite im Vorfeld der östlichen Stadtmauer. Mächtige Kalksteinblöcke von römischen Grabbauten waren hier im 4. Jahrhundert n. Chr. in Zweitverwendung zu einer ebenen Fläche aneinandergesetzt worden – mit den unbearbeiteten, glatten Seiten nach oben. Dadurch blieben Verzierungen weitgehend erhalten; so auch die ungewöhnliche Arzt-Szene, die einst die linke Seite eines repräsentativen Grabbaus – vielleicht eines im römischen Köln heimischen Mediziners – schmückte.

B. Schneider