Szene nach einem Angriff auf Köln, Mitte 1943 © NS-DOK, Köln
Gerade Kinder und Jugendliche waren durch den Krieg in zentralen Bereichen ihres bis dahin klar geregelten Alltags direkt und indirekt stark betroffen. Familien wurden auseinandergerissen und der Tod wurde ebenso allgegenwärtig wie die Angst vor dem nächsten Angriff. Schon im Januar 1940 führte dies etwa in Köln zu einer »teilweisen Verwahrlosung« der Jugendlichen, weil sie sich selbst überlassen worden waren.
Zugleich veränderte sich das gewohnte Umfeld: Schulen wurden zerstört und Freizeitvergnügungen immer seltener. Stattdessen mussten immer neue und gefährlichere Kriegshilfsdienste geleistet werden. Wegen der dauernden Unterbrechung der Nachtruhe durch Fliegeralarm litten in den Ballungsgebieten viele Heranwachsende an Erschöpfungszuständen. In ländlichen Regionen lebten die Menschen hingegen oft lange und von den Großstädtern beneidet »wie im Frieden«.
Der Propaganda kam im Laufe des Krieges eine zunehmend wichtigere Rolle zu. Standen zunächst euphorische Siegesmeldungen im Mittelpunkt, dominierten ab 1942/43 immer unglaubwürdigere Durchhalteparolen wie »Kampf bis zum Endsieg«, »Wir glauben an den Sieg« oder »Wir kapitulieren nie!«.
Mit Beginn des »Westfeldzugs« im Mai 1940 wurde klar, dass die Reichsgrenze keinen Schutz gegen feindliche Bomber bot. Alarme und immer schwerere Luftangriffe trafen auf eine weitgehend schutzlose Bevölkerung. Deren Leben verlagerte sich mehr und mehr in Luftschutzräume und Bunker. Der Aufenthalt dort wurde seit 1942/43 zum Alltag und beeinträchtigte Gesundheit und Stimmung: Schlafdefizit und nervöse Anspannung wurden zu Kennzeichen der Zeit.
Erschwerend kam hinzu, dass diese ungeliebten Aufenthaltsorte keine Sicherheit boten. Ein Großteil der Opfer des Bombenkrieges kam in ungenügend ausgebauten Schutzräumen ums Leben.
Auf die Zerstörungen der Luftangriffe folgte oftmals die Obdachlosigkeit. In Köln wurde die Zahl der Wohnungslosen nach einer schweren Angriffswelle Mitte 1943 auf rund 280.000 geschätzt. Die Rettung der »letzten Habe« und notdürftige Reparaturen gehörten zum Kriegsalltag. Unter diesen Umständen nahm nach Überwindung des ersten Schreckens eine allgemeine Teilnahmslosigkeit ständig zu.
Vielen Menschen blieb nichts übrig, als ihre Wohnungen und Häuser und oft auch ihre Heimatstadt zu verlassen. Das taten sie zumeist in eigener Regie und beteiligten sich nur in geringem Maße an den offiziellen Evakuierungsmaßnahmen. Alte, Mütter und Kinder wurden auch zunehmend gezwungen, die Städte zu verlassen, um Platz für jene zu schaffen, die in der Kriegswirtschaft tätig waren. Sie wurden in ländlichen Gebieten untergebracht, wo sie oft nicht willkommen waren.
Schlange vor einem improvisierten Lebensmittelgeschäft am Gottesweg in Köln, Dezember 1943 © NS-DOK, Köln
Brotverkauf in den Trümmern des Gemarkenplatz in Essen-Holsterhausen, 1944 Willy van Heekern © Fotoarchiv Ruhr Museum
Die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen zählte zu den zentralen Aufgaben des NS-Staates. Daher wurde bereits vor dem Überfall auf Polen ein Rationierungssystem eingeführt. Die hierzu ausgegebenen Marken konnten jedoch nicht immer eingelöst werden. Die Zerstörung von Geschäften und ein schrumpfendes Warenangebot führten zu langen Schlangen und improvisierten Verkaufsstellen, aber auch zu einem schnell wachsenden Schwarzmarkt.
In den von Bombenangriffen besonders betroffenen Gegenden wurde spätestens 1942/43 die Schwelle zu einer neuen »Lebensform« des Improvisierens und reinen Überlebens überschritten. Ein erschütterter Chronist aus Köln schrieb: »Seit dem Tag von Sodom und Gomorrha, da Feuer und Schwefel vom Himmel herabregneten hat es derartiges nicht mehr gegeben.«
Die Neußer Straße in Köln nach dem Angriff vom 31. Mai 1942 © NS-DOK, Köln
Auf der Dorfstraße in Körbecke am Möhnesee, um 1916 Heinrich Genau © LWL-Medienzentrum für Westfalen
Neben der zunehmenden Zerstörung wurde der Tod an Front wie »Heimatfront« zum allgegenwärtigen Begleiter. Jeder konnte jederzeit davon getroffen werden. Brandund Leichengeruch gehörten ebenso zum Alltag wie die permanente Angst vor neuen Angriffen und Todesnachrichten. Kinder und Jugendliche mussten Angst vor Bomben, Mangel und Zerstörung, Tod und Verlust von Angehörigen oft alleine ertragen und bewältigen. Ihre Familien waren kriegsbedingt auseinandergerissen oder dezimiert.
Die Lage verschärfte sich nochmals mit einer großen Einberufungswelle zum Jahresbeginn 1942 und dann insbesondere nach Ausrufung des »Totalen Krieges« im Februar 1943. Todesnachrichten trafen nun immer häufi ger in den Familien ein.
Im Alltag des Bombenkriegs wurde immer weniger Rücksicht auf Belastung und Leidensfähigkeit Heranwachsender genommen. Einen Tag nach ihrem 14. Geburtstag musste ein Kölner Mädchen nach dem schweren »Peter-und Paul-Angriff « vom 29. Juni 1943 Hilfsdienste leisten.
Es sei »furchtbar und erschütternd« gewesen, berichtete sie später. Überall Tote, Hilferufe und Schmerzensschreie von Verschütteten. In Zinkbehältern habe sie das einsammeln müssen, »was von den Menschen noch übrig war«. Als sich das Mädchen zwei Wochen später noch immer übergeben musste und die Mutter bei der Hitlerjugend um Dienstbefreiung bat, wurde dies von den Verantwortlichen rundweg abgelehnt. Ausnahmen gebe es in diesem Krieg nicht mehr, lautete die Begründung.
Nach dem »Peter-und-Paul-Angriff « auf Köln am 29. Juni 1943 wurden die Schülerinnen einer Kölner Berufsschule aufgefordert, ihre Erlebnisse während des Bombardements in einem Aufsatz zusammenzufassen. Eine 1928 geborene Schülerin war einem Volltreffer auf ihr Wohnhaus nur knapp entgangen, ohne sich an die Einzelheiten der Nacht erinnern zu können. Sie schrieb:
»Mittwochs mittags habe ich mich in der Bezirksstelle wieder gefunden. Hier saßen viele Leute, die alle ihr Hab und Gut verloren hatten. Alle waren ihre Bekannten und Verwandten am Suchen. Da fi elen mir meine Mutter, meine Schwester und deren Kind ein. Nun ging ich auf die Suche meiner Angehörigen. Aber niemanden fand ich. Des Donnerstags morgens ging ich wieder auf die Suche. Plötzlich sagte mir ein Mann, dass meine Mutter, meine Schwester und deren Kind tot seien. Ich konnte es gar nicht glauben. Da zeigte mir ein Mann meine Mutter da liegen. Sie lag auf dem Bauch, in einer Hand hatte sie ihre Haare. Neben ihr lagen noch mehrere Leute, ohne Kopf, auch welche verkohlt. Aber meine Schwester lag nicht da. Da sagte mir ein anderer Mann, wie er meine Schwester dienstags herausgeholt hätte, hätte das Kind die letzten Atemzüge getan. Man hätte ihn seiner Mutter in die Arme gelegt. Ich habe meiner Mutter einen Zettel angehängt mit dem Namen. Dieser ist auf dem Transport verloren gegangen. So sind sie als unbekannt begraben worden. Es sind viele Leute in die Ewigkeit gegangen. Diese Nacht will ich in meinem Leben nie vergessen.«
Szene aus Köln, um 1943/44 © NS-DOK, Köln
Walter Rohr, ein 1917 in Essen geborener Jude, emigrierte 1938 und kehrte als US-Soldat 1945 in seine ehemalige Heimatstadt zurück. Im Mai 1945 zertrat er hier demonstrativ ein Hitlerbild. © Archiv Ernst Schmidt