Der Jungbannführer Köln-Nord, Barthel Brück (links) mit seinem Jungbannstellenleiter im Rang eines Jungstammführers, um 1938/39 © NS-DOK, Köln
In der Hitlerjugend galt das Prinzip von »Führer und Gefolgschaft «. Nach militärischem Vorbild wurde für jede Einheit ein Führer bzw. eine Führerin eingesetzt. So entstand ein streng hierarchisch geordnetes System aus Befehl und Gehorsam.
Dafür benötigte die Hitlerjugend Tausende von Führungskräften. Weil die Mitgliedszahlen seit 1933 sprunghaft anstiegen, wurde die Führerschulung zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben.
Der Leitsatz, dass »Jugend durch Jugend geführt« werden solle, wurde dabei nur zum Teil verwirklicht. Während in unteren und auch den meisten mittleren Einheiten tatsächlich Jugendliche die Führung übernahmen, wurden die höheren Posten in aller Regel von Erwachsenen eingenommen. Das änderte sich erst im Krieg, als durch Einberufungen ein großer Führermangel entstand. Daher kamen immer jüngere Führerinnen und Führer auch in hohe Positionen.
Die Führer auf der Ebene von Bann, Gebiet etc. und Reichsjugendführung waren junge Erwachsene, die durchschnittlich 30 Jahre alt waren und hauptberufl ich für die Hitlerjugend arbeiteten. Unter ihnen waren anfangs viele »Alte Kämpfer« – oft ohne Berufsausbildung. Sie hatten ihr politisches Engagement zum Beruf gemacht. Für Verwaltungsaufgaben und inhaltliche Fragen standen ihnen Mitarbeiter zur Seite, die in der Regel Fachleute waren. Während letztere die Geschäfte der Dienststelle erledigten, konzentrierten sich die Führer vor allem auf repräsentative Aufgaben: Sie hielten Reden auf großen Veranstaltungen, leiteten Führertagungen, nahmen »Besichtigungen« von Einheiten vor und koordinierten die Zusammenarbeit mit Staat und Partei.
Die Führerinnen und Führer auf der mittleren Ebene (Gefolgschaft und Stamm usw.) übernahmen vor allem Kontrollfunktionen. Sie waren für die Umsetzung der Vorschriften durch die unteren Einheiten verantwortlich. Ihre Arbeit war ehrenamtlich und unbezahlt. Da die Aufgaben sehr umfangreich und zeitaufwändig waren, übernahmen vielfach höhere Schüler und Lehrer diese Posten. Sie verfügten über deutlich mehr Zeit als Lehrlinge oder Berufstätige, die oft mehr als 50 Stunden in der Woche arbeiten mussten.
Die mittlere Führungsebene hielt engen Kontakt zu den unteren Einheiten, führte regelmäßig Führerbesprechungen und -schulungen durch und nahm auch an Diensten teil. Während die Jungen und Mädchen dafür in der Stadt nur kurze Wege zurücklegen mussten, gestaltete sich ihre Tätigkeit auf dem Land deutlich aufwändiger, da die Einheiten hier teilweise kilometerweit auseinanderlagen.
Das Gros der Führungskräfte bildeten die Führer der unteren Einheiten (Kameradschaft und Schar usw.). Sie waren in besonderer Weise für die Geschicke der lokalen Basis der Hitlerjugend verantwortlich. Verstanden sie es, die Mitglieder zu begeistern, hatte die Hitlerjugend Erfolg. Waren sie überfordert, führte dies zu chaotischen Zuständen beim Dienst, Mitgliederschwund und Problemen mit Eltern. In kleinen Dörfern konnte dies das Aus der gesamten Hitlerjugend bedeuten.
Im Jungvolk und bei den Jungmädeln übernahmen meist höhere Schüler und Schülerinnen die Führungsaufgaben, in HJ und BDM auch junge Angestellte, seltener Arbeiter und Arbeiterinnen.
Ihre – unentgeltlich erfüllten – Aufgaben waren vielfältig: Sie hatten die vorgegebenen Inhalte des »Dienstes« möglichst interessant zu vermitteln, sie mussten Sport und Wanderungen durchführen, Mitgliedsbeiträge einsammeln, Arbeitsberichte schreiben und an Führerbesprechungen teilnehmen.
Adolf Hitler, 2. Mai 1931
Pfingstführertreffen der Banne »Siegen« und »Lippstadt«, 1944 © Stadtarchiv Lippstadt, Bestand Nies
Die Führer der unteren Einheiten waren oft nicht viel älter als die ihnen unterstellten Kinder und Jugendlichen. © NS-DOK, Köln
Das Prinzip »Jugend führt Jugend« erwies sich als problematisch. Zwar zeigten sich viele der jungen Führerinnen und Führer den Anforderungen durchaus gewachsen. Durch den immensen Bedarf gelangten aber auch Jugendliche in solche Ämter, die überfordert waren. Gerade für Heranwachsende war es schwer, sich gegen Widerstände zu wehren oder ungünstige Arbeitsbedingungen zu meistern.
In den unteren Einheiten waren die Führer oft kaum älter als ihre »Untergebenen«. Daher konnten Autoritäts probleme nicht ausbleiben. Aufgrund eines häufig langweiligen »Dienstes« entwickelten sich immer wieder chaotische Zustände. Es wurde grober Unfug getrieben, Eltern beschwerten sich und »Pimpfe« blieben unentschuldigt fern.
Eltern und staatliche Stellen forderten daher immer wieder ein Überdenken des Führungsprinzips. Ältere Personen, insbesondere Lehrkräfte, sollten stärker mit Führungsaufgaben betraut werden. Die Reichsjugendführung hielt jedoch an ihrem Grundsatz fest.
Die Führer der unteren Einheiten waren oft nicht viel älter als die ihnen unterstellten Kinder und Jugendlichen. © NS-DOK, Köln
Insbesondere in den ersten Jahren kam es im Jungvolk immer wieder zu Fällen, in denen un erfahrene Führer den »Dienst« zu anstrengend gestalteten und bis in den Abend zogen. Viele Eltern beschwerten sich hierüber, schickten ihre Kinder nur noch widerwillig zu den Treffen oder meldeten sie gleich ganz ab.
Die Reichsjugendführung gab daher wiederholt Anweisung, Überanstrengungen im Dienst zu vermeiden. Das zeigte jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Noch 1936 musste in den Richtlinien zum Jungvolkdienst darauf hinge wiesen werden, dass er bei den Jungen keine gesundheitlichen Schäden hervorrufen dürfe.
Nächtlicher Marsch mit Kindern
»Mit Unzufriedenheit, teils mit innerem Widerstreben werden die Kinder zum Dienst des Jungvolks geschickt. Dies ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die jugendlichen Führer nicht in richtiger Weise zu führen wissen. So wurde an einem Abend das Jungvolk für 19 Uhr zum Dienst bestellt, es erfolgte sodann ein Ausmarsch von etwa 5 km außerhalb der Ortschaft. Die Rückkehr erfolgte erst gegen 23 Uhr. Da dem Jungvolk Kinder im Alter von noch nicht 10-14 Jahren angehören, ging dieserhalb eine ziemliche Aufregung durch die Reihen der Eltern, die teils mit großer Entrüstung die Rückkehr ihrer Kinder erwarteten oder sie selbst heimholten.«
Aus einem Lagebericht des Regierungspräsidenten in Münster für den Monat August 1934 © Bundesarchiv, R43 II-1263
Ein Fähnleinführer aus Darmstadt »besichtigt« einen Jungzug, um 1940. Im Vordergrund sein Fahrrad, das wichtigste Fortbewegungsmittel der meisten Führerinnen und Führer. © NS-DOK, Köln
Eines der gravierendsten Probleme für die Führerinnen und Führer in ländlichen Regionen waren die weiten Entfernungen. Weil es kaum öffentlichen Nahverkehr gab, mussten die meisten Strecken bei Wind und Wetter zeitaufwändig mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.
Im städtischen Umfeld bildeten beispielsweise die Jungen, die in eng zusammenliegender Straßen wohnten, ein Fähnlein. Dagegen setzte sich ein solches auf dem Land gleich aus mehreren, oft weit auseinanderliegenden Dörfern zusammen – die jeweils nur einen Jungzug bildeten. Da es Aufgabe des Fähnleinführers war, den Dienst der ihm unterstellten Einheiten regelmäßig zu überwachen, war der Posten auf dem Land sehr viel anstrengender als in der Stadt.
»Liebes Fräulein Strate!
Vor einem Monat habe ich die Führung der Gruppe Bösingfeld übernommen. Leider habe ich damals, als Liselotte Lüpke mich darum bat, nicht vorausgesehen, wieviel Arbeit die Gruppenführung macht, sonst hätte ich sie nicht erst angenommen – neben meinem anstrengenden Dienst (Beruf) ist es mir nicht möglich, die Arbeit zu leisten. An einem Tage in der Woche habe ich z.B. 19 km, an einem andern 14 und den übrigen 6 km Weg, daneben oft am Tage 7 Stunden Unterricht. Ich komme, da ich bei jedem Wind und Wetter mit dem Rade fahren muss, dann oft so abgearbeitet und müde nach Haus, dass es mir nicht mehr möglich ist, all die Schreibereien für den BDM noch fertig zu machen oder sie pünktlich abzusenden. Ich bitte Sie daher herzlich, die Gruppenführung ab 1. März an jemand anders zu übertragen.«
Brief einer BDM-Gruppenführerin an Untergauführerin Margarete Strate, 17. Februar 1934 © LAV NRW OWL, L 113 1219
Wie unterschiedlich die Belastung von Führerinnen in der Stadt und auf dem Land ausfiel, geht aus einer Dortmunder Mitgliederliste und dem Brief einer Gruppenführerin aus dem ländlichen Lippe hervor.
Während die 25 Mitglieder der Dortmunder Gruppe alle in benachbarten Straßen lebten, wohnten die Angehörigen der Gruppe Bösingfeld in drei Dörfern, die bis zu sechs Kilometern auseinanderlagen.
Die Gruppenführerin aus Lippe, eine Lehrerin, bat daher sehr bald, von ihrem Amt entbunden zu werden. Sie müsse sämtliche Strecken mit dem Fahrrad bewältigen und sei daher oft stundenlang unterwegs.
Lehrgang des Bannes Hamm in der Jugendherberge in Warstein, um Ostern 1943 © Stadtarchiv Lippstadt, Bestand Nies
Der große Bedarf an Führerinnen und Führern und zahlreiche Probleme mit ungeeigneten Kräften veranlassten die Reichsjugendführung, ein umfangreiches Schulungsprogramm auf zulegen. Auf allen Ebenen fanden Kurse statt und es entstanden eigene Führerschulen.
Aus dem Prinzip, dass »Jugend durch Jugend geführt« werden solle, resultierte jedoch ein beständiger Wechsel. Fertig aus gebildete Führungskräfte standen meist nicht lange zur Verfügung, weil sie eine Arbeitsstelle antraten oder ein Studium aufnahmen. 1935 kamen noch die Arbeitsdienstpflicht und der Wehrdienst hinzu.
Die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl geeigneter Führerinnen und Führer blieb daher während der gesamten NS-Zeit ein beständiges Problem der Hitlerjugend.
Propagandafoto zum »1.000-Bomber-Angriff«: »Fleißige BDM-Hände beim Kartoffelschälen«. So gut, wie das Foto glauben machen will, verlief die Notfallversorgung keinesfalls. © NS-DOK, Köln
1934 wurde zum »Jahr der Schulung« ausgerufen und markierte den Beginn einer systematischen Führerschulung. Die ersten Schulen wurden eingerichtet und mit einheitlichem Lehrplan versehen. Etwa 50.000 Jugendliche durchliefen 1934 Kurse – gemessen an den 370.000 aktiven Führern ein eher kleiner Teil.
Außerdem stellte die Reichsjugendführung nun Heimabendmappen zur Verfügung. Sie enthielten sowohl Material für die Dienstgestaltung als auch Stoff zur Fortbildung. Zusätzlich fanden Tagungen statt, auf denen Führerinnen und Führern die Richtlinien für ihre Arbeit bekanntgegeben wurden.
Die Führer der unteren Ebenen erhielten ihre Ausbildung zumeist auf Wochenendschulungen in Jugendherbergen. Weil die Zeit für eine gründliche Schulung kaum ausreichte, nahmen die meisten mehrfach an solchen Veranstaltungen teil. Hier lernten sie zumindest in Ansätzen, wie sie den Dienst gestalten sollten.
Für eine intensivere Schulung wurden mehrwöchige Kurse in den Führerschulen der Gebiete und Obergaue durchgeführt. Hierfür wurden nur ausgewählte Jugendliche herangezogen. Sie waren zudem oft auf das Wohlwollen von Schulen und Arbeitgebern angewiesen, die sie für die fragliche Zeit beurlauben mussten.
Die hauptamtlichen Führer wiederum wurden an eigens eingerichteten »Reichsschulen« der Hitlerjugend ausgebildet und ideologisch geschult.
Der Kölner Jungstamm I/53 unternahm im Mai und Oktober 1938 eigene »Führerschulungsfahrten«. Dabei nahmen alle Jungen in Führerrängen an Geländeübungen teil, trieben Sport und wurden weltanschaulich unterrichtet.
Nicht immer stellte sich der erhoffte Lernerfolg ein. So bemerkte ein Fähnleinführer, dass das Ergebnis der Fahrt im Mai »trotz redlicher Mühe und Arbeit« den Anforderungen nicht genügt habe.