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Die Kalker Hauptstraße um 1939
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Die Kalker Hauptstraße ist ein Treffpunkt von Jugendlichen, die von den wilden linksrheinischen Cliquen fasziniert sind und sich erst allmählich (im Frühjahr 1937) zu "Navajos" entwickeln. Dies geht aus der interessanten Aussage des Kalker Jugendlichen Ernst S. hervor, der die Anfänge dieser Jugendgruppe vor der Gestapo rückblickend beschreibt.
"Mit Jugendlichen aus meinem Wohnviertel habe ich mich in den letzten Jahren häufig an der Ecke Kalker Hauptstrasse aufgehalten. Hier sahen wir nun öfter an Sonntagen Gruppen mit kurzen Hosen und bunten Hemden nach auswärts fahren. Wir entschlossen uns auch Fahrten zu machen. Vor etwa 6 Monaten [im April 1937] gingen wir dann auch in unserer gewöhnlichen Kleidung erstmals nach Rösrath. Dort trafen wir mit den Kölnern in der Navajo-Kluft zusammen und lernten sie näher kennen. Wir haben uns nun auch diese Kluft zugelegt. Den Namen Navajos haben wir in Kalk meines Wissens zum ersten male für uns aufgebracht. Wir nannten uns so, weil wir Krach schlugen wie die Indianer. Wer den Namen aufbrachte, weiss ich nicht. Die Kölner Gruppen nannten sich zunächst nicht Navajos, nahmen diese Bezeichnung aber später ebenfalls an. Sie nannten sich früher "Kanonen-Keller" oder auch in Ehrenfeld "Kittelbach-Piraten". Von einer Gründung der Navajos kann keine Rede sein. Die Navajos, so wie sie heute sind, haben sich vielmehr allmählig entwickelt. Auch der Fahrtenbetrieb kam erst allmählig auf, der eigentliche Anstoss hierzu, war die Bekanntschaft mit den Kölner Gruppen."
Besonders deutlich wird in der Erzählung des S., dass sich die wilden Cliquen im Rechtsrheinischen erst mit zeitlicher Verzögerung bilden und die "Nachzügler" deshalb dem Spott der übrigen Jugendlichen ausgesetzt sind: "Ich weiss sogar, dass die Kölner Gruppen etwas verächtlich auf uns Kalker herabsahen, weil wir erst seit etwa 6 Monaten die Fahrten durchführten, sie bezeichneten uns schon einmal scherzhaft als "Neurother", sich selbst nannten sie auch schon einmal "Nerother", daher die Abwandlung für uns.“
Im Gegensatz zu vielen anderen Jugendlichen gibt S. in seiner Vernehmung mit Entschiedenheit zu Protokoll, dass es sich bei den „Navajos“ um eine Fortführung der Bündischen Jugend handele und dass dies den meisten Jugendlichen vollauf bewusst gewesen sei. Die Gruppen haben einen Ersatz für die aufgelösten Verbände gebildet. Sowohl Grußformen als auch Kluft seien Ersatz für die Tracht der aufgelösten Verbände: "Sie wird auch bewusst getragen um heute noch einen Zusammenhalt zu zeigen. Wer bei den Navajos angibt früher bei den Ringpfadfindern gewesen zu sein, steigt mächtig in deren Ansehen." Das bündische Bewusstsein lasse sich besonders aus der dritten Strophe des Liedes "Hohe Tannen" ablesen. In der Kalker Gruppe sei es der Jugendliche S., der die Lieder aufbringe und wie das Lied "Madagaskar" umdichte. Zu den Kraftriemen mit Totenkopf merkt er an, dass dieses Zeichen von den Mitgliedern des Kölner "Kanonen-Kellers" aufgebracht und später von den Kalkern übernommen worden sei. Jeder sei bestrebt, ein solches Armband zu bekommen. Als Abzeichen für die Kalker Navajos hätten eine Zeitlang auch die Buchstaben "KN" aus Metall, die an der Mütze befestigt worden seien, gedient. Sie seien von einem Hans Heck umsonst verteilt worden. H., der bei der HJ sei, habe mit den Navajos sonst aber nichts zu tun und sei nie mit auf Fahrt gewesen. Die Buchstaben würden aber nicht mehr getragen, da dies zu gefährlich geworden sei.
Darauf befragt, ob es Führer unter den Navajos gebe, entgegnet S., dass die früheren Ringpfadfinder entschieden, was unternommen würde. Als überall bekannte Jugendlichen nennt S. den "Bären", den "Kanotz" (Jakob Sch.) und den "Träpper.". Namentlich nennt er außerdem Paul Pr. aus Köln-Mülheim.
Eine einheitliche politische Einstellung hätten die Navajos nicht: "Wohl herrscht eine HJ-gegnerische Stimmung. Diese wurde von einem Teil der Jugendlichen in unsere Reihen hineingetragen und durch die Zusammenstösse, die auch sehr oft von der HJ hervorgerufen wurden, wenn sie Jungens in unserer Kluft trafen, verstärkt. [...] Auf Befragen erkläre ich, dass Jugendliche dazu aufgefordert wurden zu uns zu kommen und dass es öfter hiess, wenn unsere Entwicklung so weiter ginge, könne die HJ in Kürze ihren Laden zumachen."
Angeblich habe sich S. seit September von den Navajos zurückgezogen, weil er mit den Kölnern nicht mehr in Berührung kommen wollte: "Zumal auch weil ich feststellte, dass die Burschen zum Teil kriminell waren." Er führt zur Erklärung an, dass er Zeuge eines Autodiebstahls geworden sei.
Der Lunapark in Köln-Kalk gilt als Treffpunkt der „Navajos“. Im Rahmen einer Großrazzia werden hier am 21. Oktober 1937 vier Jugendliche festgenommen. Während einer der Jungen wieder entlassen wird, werden die drei übrigen in die "Sistierzelle" des 20. Polizeireviers eingeliefert.
In einer Straße "in der Nähe des Lunaparks" kommt es zu fünf weiteren Festnahmen, bei denen sich allerdings schnell herausstellt, dass es sich hierbei nicht um "Navajos", sondern um Angehörige der konfessionellen Jugend handelt. Daher werden die Jugendlichen wieder entlassen, hinsichtlich der "Betätigung innerhalb der kath. Jugend" wird allerdings eine eigene Akte angelegt.
Einer der Festgenommenen, Helmut M., sagt am 22. Oktober 1937 aus, Kalker Jugendliche in der Kluft der „Navajos“ hätten sich insbesondere im Sommer 1937 im Lunapark getroffen. "In letzter Zeit sind sie dort weniger erschienen."
Laut Jakob M. unternehmen Mitglieder der Gruppe im Sommer 1937 Fahrradtouren nach Ram(m)ersdorf bei Niederkassel. Übernachtet habe die Gruppe dabei stets in Gastwirtschaften. "Bei unseren Fahrten waren wir mit kurzen Hosen und teilweise mit karierten Hemden bekleidet." An diesen Fahrten haben neben seinen Schulfreunden J. und B. auch Herbert L., Paul Sch. und Ludwig H. teilgenommen. Ob einige von ihnen „Navajos“ seien, wisse er nicht. "Bei unseren Fahrten singen wir auch Lieder, aber nur solche, die wir im Landjahr und in der HJ gelernt haben." Begrüßen würde man sich stets mit dem "jeweiligen Tagesgruß"; besondere "Handreichungen" seien ihm nicht bekannt. Er habe aber gesehen, dass einige der Jugendlichen einen "Handgelenkriemen" tragen würden. Ob sich darauf ein Totenkopf befinde, kann M. nicht sagen.
Nach Willi B. ist der Lunapark fester Treffpunkt einer Gruppe von Jugendlichen, die sich spätestens im August 1937 zusammengefunden hat und der zahlreiche Jungen aus Köln-Poll angehören. Während aber Jakob M. aussagt, die Poller seien ihm nicht bekannt, behauptet dieser - der immerhin in Poll arbeitet - nun, er sei durch M. aufgefordert worden, zur Gruppe im Lunapark zu stoßen. Zwei der Poller, nämlich Paul Sch. und Heinz A. hätten bei den Treffen stets die typische Navajo-Kluft getragen, während die übrigen Gruppenmitglieder in Zivilkleidung erschienen seien. An ihrem Fahrtziel in Ramersdorf habe die Gruppe Felsen bestiegen und Lieder gesungen, wobei B. "Wiegende Wellen auf hoher See" und "Nun ringst im Lande, die Trommel die rührt" nennt. Andere Lieder seien ihm nicht bekannt. L. und A. hätten stets ihre Klampfen mitgebracht und die Lieder begleitet.
"L. spielte sich bei uns als Führer auf, was derselbe sagte, wurde getan. Er war auch derjenige, der sagte, dass wir im Winter uns bei Sch. und H. treffen und im nächsten Jahr unsere Fahrten fortsetzen würden. Auch regte er unsere Treffen am Park an." Von einer "festen Verbindung" habe L. dabei jedoch nichts erwähnt, auch nicht von Beiträgen o.ä gesprochen. Man habe sich zwei- bis dreimal in der Woche im Lunapark und auch in den Privatwohnungen von H. und Sch. getroffen, zu Gitarrenbegleitung Lieder gesungen, Karten gespielt und die nächste Fahrt besprochen. Hierbei betont B., dass die Gruppe sowohl in Köln als auch auf Fahrt nie den Kontakt zu anderen gesucht habe, sondern sich stets "allein gehalten" habe; "des weiteren haben wir nie Mädchen in unserer Gemeinschaft gehabt".
Anlässlich einer Fahrt nach Ramersdorf ist die Gruppe Ende September/Anfang Oktober 1937 von Polizei und HJ-Streife "gestellt" und die Namen notiert worden. Danach hat die Gruppe bis zum Zeitpunkt der Festnahme nichts mehr in dieser Angelegenheit gehört. Er habe lediglich an zwei Fahrten der Gruppe teilgenommen, so B. weiter, während die übrigen Jugendlichen bereits vorher öfter unterwegs gewesen seien. (4)
Laut Aussage von Heinrich S. vor der Gestapo legen besonders die Kalker Navajos großen Wert auf einheitliche Kleidung und demonstrierten ihren Zusammenhalt offenbar mit einem eigenen aus Metall gefertigten Abzeichen, dass die Buchstaben KN für "Kalker Navajos" zeigt und an der Mütze getragen wird. Auch in Kalk werde der Händedruck mit gekreuzten kleinen Fingern angewandt. "Als eigentliche Gründer der Kalker Navajos" nannte Heinrich S. Ernst S. und Theodor S., "die ich als die ersten Navajos kenne".
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