Bild der 22. Woche - 29. Mai bis 4. Juni 2023
Die Aussendung des Heiligen Geistes gehört als Pfingstereignis zu den wichtigen Höhepunkten im kirchlichen Kalender, trat im Mittelalter in der Häufigkeit der Darstellung jedoch deutlich hinter die Ereignissen um Geburt, Leiden und Tod Christi zurück.
Häufig - wie auch in diesem Fall - wurde die Sendung des Heiligen Geistes nur im Rahmen von Bildreihen dargestellt, welche die wichtigsten Heilsereignisse als nacheinander gezeigte Folge von Bildfeldern präsentierten. Dieses Bildfeld eines linken Altarflügels ist in seiner Formensprache noch deutlich dem späten 14. Jahrhundert zuzuordnen. Von dem in der Apostelgeschichte überlieferten dramatischen Geschehen am Tag des jüdischen Pfingstfestes mit Sturm, vom Himmel fallenden Flammen, zusammenlaufenden Menschenmassen und Sprachenwunder spiegelt sich noch nichts in diesem Bild wider.
Im Gegensatz zu diesen Ereignissen ist die Darstellung von Ruhe und stiller Erwartung geprägt. Maria und die Apostel sitzen mit gefalteten Händen betend um einen runden, auf einer Wiese stehenden Tisch. Der Heilige Geist kommt in Gestalt einer Taube in diese Runde. Er trägt eine Hostie, den - wie dem Betrachter aus der Teilnahme an der heiligen Messe bekannt war - in die Gestalt der Hostie verwandelten Leib Christi. Von dieser gehen - als sie im Mittelpunkt des Tisches ihren Platz gefunden hat - rote Strahlen zu den Mündern der anwesenden. Ursache für diese von der Apostelgeschichte abweichende Art der Darstellung des Pfingstereignisses ist die Absicht, den theologischen Gehalt in den Vordergrund zu rücken: Pfingsten wird verstanden als Ausgangspunkt der Kirche.
Die Sendung des Geistes eint die Apostel und Maria als Vertreter der Kirche um Christus und gibt ihnen gleichzeitig Kraft und Vollmacht, Christus zu verkünden und damit aus der kleinen Runde in die Welt zu tragen.
T. Nagel