Auf den Zellenwänden des Gefängnisses sind noch rund 1.800 selbstständige Inschriften und Zeichnungen der Gefangenen erhalten. Sie wurden mit Bleistift oder Kreide, vereinzelt mit Lippenstift geschrieben oder mit Eisennägeln, Schrauben oder Fingernägeln eingeritzt. Das ehemalige Hausgefängnis der Gestapo und die Wandinschriften der Gefangenen erinnern am unmittelbarsten und eindringlichsten an die mit dem EL-DE-Haus verbundenen Schrecken der NS-Zeit.
»In der Zelle waren wir mal 23, 24 drin, und dann waren wir wieder mal mit sechs oder sieben drin. Das kam immer schwungweise. Da waren wir mal mit drei, vier, fünf drin – und plötzlich ging die Türe auf – da kam wieder ein ganzer Schwung rein. Und am anderen Tag waren dann die Vernehmungen, da war die Zelle wieder leer. Die meisten, die rausgeholt wurden, die kamen gar nicht mehr wieder. Die waren weg. Die habe ich nicht mehr gesehen. Geschlafen haben wir auf dem Boden sitzend: Ich war der Zweite oder der Dritte. Und dann saß der nächste zwischen meinen Beinen und dann der nächste wieder. So saßen wir und haben auch so geschlafen. Den Kopf vorne auf die Schulter des Vordermanns.« (Hans Weinsheimer)
»Ich kam in einen Raum, in dem schon ca. 30 Personen waren. Der Raum war total überfüllt. Wir hatten keine Möglichkeit zu sitzen oder zu liegen. Wenn ich mich recht erinnere, war nur ein Fass da, wo man seine Notdurft verrichten konnte. Es gab kein Fenster, kein Licht, es war stockdunkel. In der ersten Zeit war ich gefesselt. Wir waren der Meinung, dass man uns dort einfach umbringen würde, indem man uns ohne Essen, ohne Trinken, ohne Lüftung bei überhöhter Temperatur krepieren ließ. Wir haben vor Schmerzen gestöhnt. Fünf Tage und Nächte habe ich so zugebracht ohne zu schlafen.« (Ferdi Hülser)
»Unterdessen wird die Frage brennend, wie wir zu neun Personen in dieser engen Zelle die Nacht verbringen sollen. Natürlich ist keine Decke vorhanden. Die Gestapo kümmert sich den Teufel um die Unterbringung des ›Abschaums‹ der Menschheit. Wir müssen uns also behelfen, so gut wie es geht. Die Luft ist unerträglich und schnürt mir die Kehle zu. Endlich liegen neun Gefangene, zu elenden Klumpen geballt, auf der nackten Erde. Man versteht, dass es uns die größte Anstrengung kostete, so viele Menschen auf so kleinem Raum überhaupt zu ›arrangieren‹. Ich weiß nicht, wie wir es fertig gebracht haben, doch es gelang. Mir, als dem Senior, wird ritterlich der eine Platz auf der Pritsche eingeräumt. Oh, diese Pritsche! Sie ist hart wie ein Stein und reicht nur für einen. Aber was macht das? Bei dieser Raumnot muss sie eben mit zweien belegt werden. Ein massiger, dicker Mann kommt neben mich, der ich sehr hager bin.« (Leo Schwering)
»Aber wir lagen doch so: drei auf dem Boden, zwei auf der Pritsche, und eine saß auf dem Stuhl. Auf der Pritsche schliefen die Schwächsten. Nata [Tulasiewicz] war immer so arm dran, so verloren, dann schlief sie die meiste Zeit auf der Pritsche. Sogar am Tag legte sie sich dahin. Solange wir zu sechs waren, schlief auf der Pritsche hauptsächlich Nata, manchmal Janka, aber selten, und eine von den jüngeren neben der Nata. Wir drei schliefen unten am Fenster. Wir haben unsere Mäntel ausgebreitet und auf diesen schliefen wir. Neben der Pritsche stand ein schiefer Stuhl, und Joanna Domagalska saß auf diesem Stuhl fast jede Nacht, weil sie nicht schlafen konnte.« (Stefania Balcerzak)
»Ein merkwürdiger Gestank erfüllte die Zellen. Nun sah ich die Ursache. In der Ecke, neben der Tür, stand ein Eimer, in den die Gefangenen ihre Notdurft verrichteten. Ein Austreten bei Tage gab es selbst dann nicht, wenn jemand krank war. Man kann sich vorstellen, was die Insassen unter solchen Umständen zu leiden hatten. Mich kostete es, offen gestanden, zuerst eine große Überwindung, an den Eimer heranzutreten. Aber letztlich blieb mir nichts anderes mehr übrig. Es war eine neue, persönliche Demütigung, der noch ganz andere, weit schlimmere, folgen sollten. Übrigens traten die Leidensgefährten mit Rücksicht auf den ›Neuen‹ etwas zurück, soweit das in diesem engen Raume überhaupt möglich war. Ich empfand diesen Takt als angenehm, und doch war eine neue Stufe der Erniedrigung erreicht – wiederum nicht die letzte.« (Leo Schwering)
»In der Zelle stand ein Eimer, in der Ecke, und dort konnte man seine Geschäfte erledigen. Den Eimer haben wir morgens und abends während des Toilettenganges geleert. Denn nur morgens und abends gingen wir zur Toilette. Für das Entleeren des Eimers hatten wir eine Reihenfolge vereinbart. Heute morgen die, am späten Nachmittag die. Solche Dienste gab es.« (Stefania Balcerzak)
»Morgens wurden wir um sechs geweckt. Dann wurden wir zur Toilette geführt. Das war nur ein Raum, mit einer Toilette und drei hängenden Waschbecken. Wir gingen dort der Reihe nach, je eine Zelle rein. Nach dem Abendessen wurden die Zellen nochmals geöffnet, damit wir auf das Klo gehen und das Gesicht waschen konnten.« (Stefania Balcerzak)
»In den vier oder sechs Wochen, die ich hier im Gefängnis war, habe ich kein einziges Mal geduscht. Wohl habe ich mich gewaschen. Da waren auch Waschbecken mit drin. Vier oder fünf Kräne, wie so ein Futtertrog, wo das Wasser reinlief. Da habe ich mich morgens immer gewaschen. Duschen durften nur solche, die dreckig wie ein Schwein waren, die mussten dann duschen und wurden dann mit Insektenspray – oder was das war – eingesprüht, und dann kamen die wieder rein.« (Hans Weinsheimer)
»Und weil ich Jugendlicher war, 15 Jahre zu dieser Zeit, wurde ich herausgeholt und hatte die Ehre, Butterbrote auszugeben und Kaffee einzuschütten. Da wurde immer: Zelle 1 raus, rein, verschlossen, dann Zelle 2. Das ging dann zellenweise. Immer kamen die raus. Da gab es morgens Frühstück, mittags aus der Gulaschkanone einen großen Kessel mit Suppe – alles Wassersuppen – und eine Schnitte Brot dabei und abends gab es dann auch was. Entweder Tee oder Muckefuck und zwei Schnitten Brot, dünn mit Margarine bestrichen.« (Hans Weinsheimer)
»Auch das Frühstück lernte ich nun kennen. Es bestand aus einem fürchterlichen Kaffee-Ersatz und zwei großen, trockenen Schwarzbrotschnitten. Es war unmittelbar vor der Tür jeder Zelle aufgebaut, neunmal! … Unterdessen war die Zeit des Mittagessens gekommen. Die Schlüssel rasselten, und wir traten aus, es in Empfang zu nehmen. Es standen vor der Zelle weiße Kümpchen, mit einem Liter Durchgemüse gefüllt, das sich bei näherem Zusehen als Kappes mit Kartoffeln herausstellte. Unser Kerkermeister Sch., der am Morgen meine Sachen in Verwahr genommen, brüllte uns zu: ›Aufnehmen!‹ Jeder ergriff einen Kump und verschwand damit in der Zelle.« (Leo Schwering)
»Zum Frühstück gab es schwarzen Kaffee und zwei Scheiben trockenes Brot. Zum Mittag gab es eine Suppe, die aus dem Zentralgefängnis [Klingelpütz] gebracht wurde, aber nichts zum Trinken. Es gab verschiedene Suppen, mit irgendwelchen Gemüsen drin, manchmal mit einigen Nudeln – das war die gute Suppe. Manchmal waren auch Kartoffeln in der Suppe, aber sie war immer wässrig. Zum Abendessen bekamen wir gewöhnlich Brot mit Marmelade und schwarzen Kaffee.« (Stefania Balcerzak)
»Ja, das war alles Widerstand. Ich war ja hier geführt als politisch nicht einwandfrei. Und dann kriegte ich immer vom Manthey oder vom Fink [Gestapobeamte], ich weiß es nicht mehr genau: ›Du Kommunistenschwein‹, ›Du Judenschwein‹ – das kriegte ich ja immer vorgeworfen. Dann wollten die immer wissen, ob mein Vater noch in der KPD tätig ist, und wo die sich immer treffen und so. Ich habe ihnen immer gesagt: ›Das weiß ich nicht – ich bin erst 15 Jahre alt. Der hat mich nie mitgenommen.‹ Natürlich wusste ich, wo die immer hingingen – habe aber nichts gesagt. Darum habe ich ja immer die Schläge gekriegt. Da kriegte ich wieder einen aufs Maul, da kriegte ich wieder einen aufs Auge, dann kriegte ich einen Schlag ins Genick. Sie wissen ja, wie das da war mit der Vernehmung.« (Hans Weinsheimer)
»Wir wurden in den Keller runtergebracht, da haben wir noch gelacht. Wir hatten noch keine Ahnung, was uns dort unten erwartet. Dass da ein Gefängnis war, wussten wir nicht. Als wir runterkommen, brüllt schon einer: ›Alles aufstellen, der Größe nach!‹ Das kannten wir ja noch von der Schule her. Und dann kam Hoegen. Den Mann vergesse ich nie. Er stand mit den Händen auf dem Rücken und einer Hundepeitsche in der Hand vor uns. Er guckte den ersten an, und fragte, warum er hier sei. Der antwortete, dass er das nicht wüsste. Darauf bekam er einen Schlag mit der Peitsche. Ob jetzt einer sagte, er wisse, warum er hier sei, oder nicht, jeder von uns bekam Prügel. Nachdem die Prozedur vorbei war, wurden wir in eine Zelle geschlossen. Da hängst Du dann mit so sechzehn bis achtzehn Mann drin. Es ist so eng, dass Du Dich nicht legen und setzen kannst. Wir dachten, dass die uns nur einschüchtern wollten. Dass es noch schlimmer kommen sollte, haben wir uns nicht vorstellen können.« (Fritz Theilen)
»Schließlich wurde ich zur Kellertreppe gebracht. Ein SS-Mann nahm mich in Empfang und sagte: ›Na, warum bist Du denn hier, Du bist sicher auch unschuldig.‹ Als ich dann sagte: ›Ich weiß nicht, was ich getan haben soll‹, bekam ich einen Tritt und flog die Kellertreppe runter. Nachdem ich mich unten wieder aufgerappelt hatte, sah ich, wie sich neben mir jemand wusch. Der Mann war blutüberströmt, den hatten die also gerade in ›Behandlung‹ gehabt.« (Jean Jülich)
»Ich höre eine weibliche Stimme. Anscheinend geht die Einlieferung diesmal nicht glatt vonstatten. Es gibt eine Auseinandersetzung. Die Stimmen werden immer heftiger. Die ›Neue‹ leistet gegen irgendetwas Widerstand. Die Szene wird zunehmend lauter. Eine weibliche Stimme schreit: ›Das lasse ich mir nicht gefallen, was wollen Sie?‹ Dazwischen eine Männerstimme. Ich höre Schimpfworte, die ich nicht wiedergeben kann. Es wird jemand gegen die Tür gestoßen. Es ist die Frau, und sie zetert: ›So behandelt man eine deutsche Frau!‹ Ein Handgemenge auf dem Gang zum Frauengefängnis hin entsteht. Man hört Stöße und Schreie. Die Männerstimme wird roher, brutaler, man merkt ihr an, jetzt wird etwas Schreckliches geschehen. In der Tat! Plötzlich hagelt es Hiebe und Schläge mit irgendeinem Gegenstand. Ich möchte mir die Ohren zuhalten, so widerlich ist das alles. Ein betäubendes Gekreische folgt. Ich male mir unwillkürlich die Szene aus, die ich nicht sehen kann. Noch unheimlicher und gewalttätiger, als sie vielleicht sich abspielt … Fast alle Gefangenen sind erwacht, es geht uns, die wir in diesem finstern Verließ doch schon allerhand erlebten, durch Mark und Bein. Neue Stöße, ein Körper fällt, wird emporgerissen … neue Hiebe, dass es nur so schallt … schließlich verklingt alles in einem trostlosen Wimmern. Eine Türe wird zugeschlagen. Ein Opfer mehr, was macht das! Hier gilt noch die Prügelstrafe!« (Leo Schwering)
»Die Mitgefangenen behaupteten, und dies ist mir auch von anderer Seite bestätigt worden, es habe im Keller [gemeint ist der Tiefkeller] einen separaten Raum für ›schwere‹ Fälle gegeben. Ich lasse dies dahingestellt, obwohl ich damals schon davon überzeugt war. Denn warum ging der Mann fort? Heute weiß ich, dass es tatsächlich eine reguläre Folterkammer gab. (…) Nach einiger Zeit tauchte der Kerl wieder auf, nahm seinen Platz ein, und das Verhör ging weiter. Dasselbe Spiel, dieselbe Art, dieselben Methoden. Aber das Opfer war schon weicher geworden, müder klang die Stimme, selbst dies Jammern, das immer noch ertönte. Dieses Flehen! Es zerriss mir das Herz. Nur ein bis zum Äußersten gebrachtes Opfer kann so flehen, so fassungslos betteln. Es hätte einen Stein erweichen können. (…) Welche Verbrechen! Noch zwei Mal wurde das Verhör in die ›Chambre séparée‹ verlegt, dann – war das Werk vollendet. Dieses Scheusal konnte zufrieden sein. Sein Opfer war gefügig, vermutlich gab es alles zu, was der Schurke wollte. Er konnte das Protokoll aufnehmen, das ihm seine ausgezeichnete Eignung für solche Fälle erneut bezeugte! Der Ärmste war zerbrochen. Ich hatte alle Stufen der geistigen Zermürbung eines Menschen miterlebt. Aber es war ja noch viel schlimmer. Ich musste erfahren, wie die sittliche Natur des Menschen, deren tiefstes Ethos das Rechtsbewusstsein, die natürliche Unterscheidung von Gut und Böse ist …, Stück um Stück in Scherben gebrochen wurde. Das Opfer gab zu, was wissentlich falsch war!« (Leo Schwering)
»Nata [Tulasiewicz] wurde dreimal im Tiefkeller verhört. Wenn Nata nach unten ging, dann konnten wir sie schreien hören. Sie kehrte blutend zurück.« (Stefania Balcerzak)
»Als ich einmal in den Tiefkeller herunterging, stand die Tür von einem der Räume im Tiefkeller auf, da habe ich reingeguckt. Und an der Wand links, da stand so ein komischer Bock, der hatte vier Beine, da war dann ein Brett drauf, und an der Seite hingen Lederschnallen herunter. Wofür die gebraucht wurden, habe ich nicht gesehen, wir kamen ja nicht aus den Zellen heraus, nur wenn es Fliegeralarm gab, ging es runter.« (Hans Weinsheimer)
»Ich bin in der Männerabteilung dieses Gefängnisses [in Brauweiler] verhört worden, und dort habe ich nach einem Schlag ins Gesicht zwei Zähne verloren.« (Teofila Turska) »Am selben Tag wurde ich [in Brauweiler] im Auftrage von Hoegen [Gestapobeamter] gefesselt und in eine Zelle gesteckt. Am nächsten Tage wurde ich ins Vernehmungszimmer geführt. Hoegen versuchte, aus mir ein Geständnis zu erzwingen. Da ich mich weigerte, legte man mich mit dem Kopf nach unten gefesselt auf einen Stuhl. Hoegen hob mir die Röcke hoch und verprügelte mich ganz fürchterlich mit einem dicken Holzbein. Diese Misshandlung dauerte von neun Uhr morgens mit einer Unterbrechung von Dreiviertelstunden – Mittagszeit – bis sechs Uhr abends. Ich wurde ununterbrochen geschlagen und wenn ich das Bewusstsein verlor, wurde ich mit Wasser übergossen. Mitunter trat mich Hirschfeld [Gestapobeamter] mit dem Stiefel aufs Genick. Beim Anfang dieser ›Vernehmung‹, da ich vor Schmerz brüllte, verband mir Hirschfeld den Mund mit einem Handtuch. Wenn ich bewusstlos vom Stuhl fiel, packte mich Hoegen an den Füßen, zerrte mich mit dem Gesicht über den Fußboden, dass mir das Blut aus Mund und Nase lief. Angesprochen wurde ich nur als ›Sau‹ und ›Hure‹, und zwar von Hoegen. Dass ein Mensch eine wehrlose Frau so misshandeln kann, ist mir unerklärlich, und ich kann dabei nur noch sagen, dass Hoegen ohne Zweifel Freude und ein sadistisches Wohlgefallen daran fand.« (Käthe Brinker)
»Dann haben die Bombenangriffe der Alliierten auf Köln angefangen. Ich fürchtete nicht den Tod, sondern verkrüppelt zu werden. Das Gitter grenzte uns von der Welt ab. Wir waren dem Schicksal übergeben. Diese Zeit war am schlimmsten. Nachts weckte uns das markerschütternde Heulen der Sirenen, drängte sich in die Ruhe des Vergessens im Schlaf. Man hörte die fallenden Bomben und den Knall der Explosionen. Es war ein Alptraum. Die einzige Flucht der Gefangenen war das Gebet. Es ging durch die Wände der Zellen durch, mehrsprachig – ›Modl sie za nami, zmiluj sie nad nami’‹–, und in den Worten des Gebetes war Ruhe, Vergessenheit und das Opfer.« (Teofila Turska)
»Übrigens werden die Mitgefangenen umso offenherziger, je näher die Nacht kommt. Man hat sich aneinander gewöhnt. Der Unterschied zwischen Deutschen und Ausländern verwischt sich immer mehr. Wir haben nur einen Feind, der uns alle bedroht, gegen ihn sind wir eine immer enger werdende Gemeinschaft.« (Leo Schwering)
»Weil wir nirgendwo hingehen durften, versuchten wir unseren Tag in der Zelle mit Inhalt zu füllen. Morgens sprachen wir die hl. Messe nach der Nata [Tulasiewicz], dann versuchte sich jede von uns, an ein Gedicht oder ein Lied zu erinnern und trug es vor, aber wir wählten nur etwas Lustiges, um den Mut nicht zu verlieren. … Aus einem Stück dicken Papiers haben wir Spielkarten gemacht, und haben uns wahrgesagt – wer an der Reihe ist, zum Verhör zu gehen, was werden wir mittags zu essen bekommen, wohin werden wir weiterfahren müssen. In der Zeit zwischen den Mahlzeiten haben wir gebetet, gesungen. Und dann haben wir gemalt. Da hat immer jemand uns etwas gereicht, einen Bleistift oder so etwas, und dann haben wir gezeichnet. Ganze Vormittage bestanden daraus, wir knieten an der Pritsche und malten. Nachmittags kam das Spielen. Wir haben viel gesungen, erzählt, ein wenig Unsinn gemacht, sogar ein Theaterspiel. Wer was konnte, das haben wir zusammengetragen. Und dazwischen, wenn die Tür quietschte, dann zitterte man – wen nehmen sie jetzt? Wir haben eine Hölle erlebt, viele verschiedene Menschen kennengelernt, und trotz dieses Elends und furchtbaren Dingen haben wir auch gute Erinnerungen. Wenn ich manchmal über diese Zeit erzähle, manche glauben mir nicht, dass man überhaupt mal lachen konnte, und doch so war es.« (Stefania Balcerzak)
»Es brachen die schrecklichen Tage der Gestapohaft an. In den ersten Januartagen des Jahres 1945 begann man, aus Zellen Familiennamen aufzurufen. Wir zählten 40 Personen. Anfangs dachte ich, dass man sie ins Gefängnis oder ins Straflager schickt, aber als wir hörten (man konnte hören, was auf dem Korridor gesprochen wurde), dass den Häftlingen etwas weggenommen wurde und ein Mädchen laut schrie, als ihr der Ring abgerissen wurde, verstanden wir, dass sie nicht ins Lager kommen, sondern umgebracht werden. Wir hörten, dass die Gestapo unsere Landsleute umbringt. Einer von den Alteingesessenen erzählte uns, dass hier zweimal im Monat pünktlich zur gleichen Zeit die Häftlinge hingerichtet werden. Und das war so. Sie wurden hingerichtet wegen Widerstands gegen den Nazismus, wegen Flucht aus dem Lager; Mädchen wurden wegen derselben Gründe hingerichtet und auch deshalb, weil sie Verbindungen zu den Illegalen hatten, die in den Ruinen lebten.« (Askold Kurow)
»Ich habe von den Erhängungen sowohl aus eigenem Erleben als auch aufgrund von Erzählungen im Luftschutzbunker Kenntnis erhalten. Wenn Exekutionen stattfanden, waren wir verpflichtet, den Bunker aufzusuchen. Meine Anwesenheit auf dem Stapogelände erklärt sich daraus, dass ich gezwungen war, an einer im Hof bzw. Garagenraum gelegenen Zapfstelle Trinkwasser für den persönlichen Bedarf zu holen. Aus diesem Grunde bin ich mehrmals auf dem Innenhof des EL-DE-Hauses gewesen. … Der Exekutionsplatz war zu den Straßenfronten hin nicht durch eine Mauer abgesichert. Das heißt, er konnte von der Straße durch Passanten eingesehen werden. Wenn Exekutionen stattfanden, wurde die Einsichtnahme jedoch durch eine Sperrkette von Stapoleuten unterbunden. Meiner Schätzung nach haben an dieser Sperrmaßnahme alle uniformierten Beamten der Dienststelle teilnehmen müssen. … Ich glaube mich jetzt wieder zu erinnern, dass in Höhe der Grundstücksgrenze des Hauses Peters eine derartige Mauer gestanden hat, durch die ein Mauerdurchbruch den Zutritt zur Exekutionsstätte ermöglichte. Bei meinen zufälligen Aufenthalten im Elisenstraßenkomplex habe ich folgende Begebenheiten in Erinnerung: Einmal – ich meine es sei am Tag der ersten Exekution überhaupt gewesen – hörte ich von der vorbezeichneten Stelle her ein fürchterliches Geschrei. Man konnte den Schreien entnehmen, dass es sich um Menschen handelte, die ihren Tod vor Augen sahen. Ich habe außer unverständlichen Äußerungen lediglich die Worte: ›Heil Stalino‹ in Erinnerung. Ich bin daraufhin auf einen Schutthaufen gestiegen, der sich in der Schwalbengasse befand, und konnte das Richtgerät mit drei exekutierten Leichen erkennen. Es waren zwei Männer und eine weibliche Person. Sie waren bekleidet und hingen leblos an ihren Stricken. Sie waren an den Händen und Füßen gefesselt. Das Galgengerüst bestand aus einem Querbalken von etwa zehn Meter Länge, der auf zwei senkrechten Pfosten ruhte. … Ein drittes Mal habe ich ein Gewaltverbrechen mit ansehen müssen, als ich mir in der Kellerküche des Hauses 21 eine Tasse Kaffee holen wollte. Im Hofraum des Hauses 21 lagerte eine große Anzahl von Leichen, die man frisch vom Galgen abgenommen hatte. Sie lagerten dort, um durch Fahrzeuge der städtischen Müllabfuhr zum Westfriedhof transportiert zu werden. Es wurde bemerkt, dass der Körper eines exekutierten Mädchens sich noch bewegte. Daraufhin zog ein uniformierter Gestapomann seine Pistole und versetzte dem Mädchen einen Genickschuss.« (Wilhelmine Hömens, 1967 als Zeugin in einem Prozess)
»Am 1.März 1945 brachte ein Kommando der Stapo 70–80 Mädchen und etwa 30 Männer aneinander gefesselt vom Klingelpütz zu Fuß über die Burgmauer zum Stapogelände. Es waren Deutsche und in der Mehrzahl Ostarbeiter. Diese Menschen sind alle auf dem Stapogelände aufgehangen worden, denn ich habe den Rücktransport nicht gesehen, sondern habe festgestellt, dass nachmittags gegen 17 Uhr drei Lastwagen mit Leichen zum Friedhof geschafft worden sind.« (Wilhelmine Hömens, 1947 als Zeugin vor britischen Untersuchungsrichtern)
»Ich konnte von meinem rückwärtigen Fenster [der Wohnung in der Schwalbengasse] auf den Hof des Stapogeländes sehen. Etwa seit Dezember [1944] oder Anfang Januar [1945] hörte ich vielfach von dem Gelände her Schreien und Schießen. Um zu sehen, was da los war, habe ich einmal von meinem Fenster zu dem Hof hinübergesehen. Ich habe dabei gesehen, dass an einem Galgen drei Personen aufgehängt waren. Es waren drei Männer und der Kleidung nach Zivilisten. Die Beamten, die die Hinrichtung vornahmen, habe ich nicht gekannt. Es standen eine ganze Menge Beamte um den Galgen herum, die mir aber meist den Rücken zudrehten.« (Mathias Heurer, Zeuge in einem Prozess)