„Die Fahnenflucht ist, neben dem bewaffneten Widerstand, radikale Verweigerung. Sie ist der Widerstand des kleinen Mannes und einfachen Soldaten, der keine Gruppe befehligt und in seiner Einsamkeit noch nicht einmal andere zur solidarischen Aktion anstiften kann. Der Deserteur ist nichts anderes und nicht mehr und nicht weniger als nur er selbst, eine lächerlich zitternde Masse von Fleisch und Angst, und wenn er gut ist, von Zorn, denn es kann sein, daß er verfolgt und exekutiert wird, und es kann sein, daß er kämpfen und seiner Haut sich wehren muß. Der Deserteur ist ein Klumpen Einsamkeit, Schweiß, Angst, Blut, Tod auf einem Schlachtfeld mordsüchtiger, eingebildeter Heroen. - Und er weiß, daß er seine Heimat verlässt, ohne daß er wissen kann, ob er jemals wieder irgendwo zu Hause sein wird. Ja, er ist sich nicht mal sicher, ob diejenigen, zu denen er jetzt geht, ihn auch am Leben bleiben lassen. Was er erreicht, ist ungewiß, gewiß nur, was er verlassen hat: Die eine Seite des Verbrechens, an dem diese Welt schon so lange krankt, daß sie daran sterben wird, geschieht nicht das Wunder massenhafter völkerumgreifender und -verbindender Desertion."
(aus: Gerhard Zwerenz: „Soldaten sind Mörder". Die Deutschen und der Krieg, München 1988, S. 417)
In den erwähnten Todesurteilskarteien finden sich folgende Angaben:
- Gericht der Division 526: 51 vollzogene Hinrichtungen, davon 46 durch das Fallbeil im Klingelpütz, 4 durch Erschießen in Köln-Dünnwald, sowie eine ohne Ortsangabe
- Gericht der Division 156: 13 Erschießungen in Köln-Dünnwald, 2 im Schießstand Bachem
- Gericht der Division 406: 4 Enthauptungen im Klingelpütz, eine Erschießung in Dünnwald, eine in Bachem
Ein Teil der Akten dieser Fälle liegt inzwischen in Kopie vor. Eine umfassende Untersuchung steht bislang noch aus. Deshalb sind insbesondere Zahlen von Todesurteilen und Vollstreckungen nur vorläufige Recherche-Ergebnisse.
Friedrich K., geboren 1918 in Düsseldorf: Todesurteil vom 12. Januar1943 in Wuppertal wegen Fahnenflucht in 3 Fällen. Die Todesstrafe ist am 3. März 1944 in Köln durch Enthauptung vollstreckt worden.
Hans H., geboren 1920 in Wuppertal-Barmen: Todesurteil vom 30. Dezember 1943 in Wuppertal, Bestätigung des Todesurteils durch den Chef des Ersatzheeres Fromm am 18. Januar 1944. In den Akten befindet sich der Verweis auf die bevorstehende Vollstreckung des Todesurteils am 4. Februar 1944 im Klingelpütz.
Paul H., geboren 1921 in Saarbrücken: Todesurteil vom 31. Mai 1944, Vollstreckung am 20. Juli. 1944 im Klingelpütz.
Heinrich B., geboren 1908 in Köln: Ehefrau lebt im Erzgebirge, Todesurteil vom 10.1.1945 wegen Fahnenflucht, Bestätigung des Urteils durch den „Reichsführer-SS" Heinrich Himmler. Anordnung der sofortigen Vollstreckung durch Erschießen am 23. März 1945. Ein Nachweis über die Vollstreckung liegt nicht vor.
Friedrich K., geboren 1918 in Düsseldorf: Todesurteil vom 12. Januar 1943 in Wuppertal wegen Fahnenflucht in 3 Fällen. Am 1. Februar 1944 vom Chef des Ersatzheeres Fromm bestätigt. Am 3. März 1944 wird das Urteil in Köln durch Enthaupten vollstreckt
Heinrich L., geboren 1917 in Essen: Am 10. März 1944 „aufgrund einer Anzeige aufgegriffen und festgenommen". Todesurteil vom 30.3. 1944 in Wuppertal. Am 21. April 1944 Bestätigung des Urteils durch den Chef des Ersatzheeres Fromm. In den Akten findet sich eine handschriftliche Notiz: „Das Urteil ist am 30.6.1944 in Köln durch Enthaupten vollstreckt worden."
Andere Deserteure wurden zu langen Zuchthausstrafen verurteilt oder in Strafbataillone eingewiesen. Oder die Strafen wurden ausgesetzt zur so genannten Bewährung an der Front.
Mathias H. aus Köln-Longerich: Hat Urlaub mit gefälschtem Urlaubsschein verlängert. Hat sich in Rositten mit einem Kameraden und zwei lettischen Mädchen aufgehalten. Gibt alles zu. Wird wegen unerlaubter Entfernung zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Nachspiel: 1980 beantragt seine Schwester eine Todeserklärung für ihren verschollenen Bruder. Er war zuletzt in einem Wehrmachtsstrafgefangenenlager in Suliczewo. Über dieses Lager konnte bislang nichts weiter ermittelt werden.
Josef J. aus Köln-Kalk: Wird wegen Feigheit angeklagt. Er hat 1943 in Russland seine Stellung verlassen. Beurteilungen durch das Militär: „anarchistische Einstellung, defätistisch". Gibt seine Schuld zu. Vom Staatsanwalt zwei Jahre Gefängnis und Rangverlust beantragt. Vom milden Richter Keller zu einem Jahr Gefängnis und Frontbewährung verurteilt.
Mathias M. aus Köln: Wird wegen Fahnenflucht im Klingelpütz inhaftiert, zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 26. November 1940 wird eine amtsärztliche Untersuchung seines Geisteszustandes angeordnet. Das Gutachten hält ihn voll verantwortlich für seine Taten, aber „asozial". Eine erneute Verhandlung am 16. Dezember 1940 verurteilt ihn zu zehn Jahren Zuchthaus und einer Unterbringung in einer „Heil- und Pflegeanstalt".
Martin E. aus Köln-Lövenich: Wegen Selbstverstümmlung und Zersetzung der Wehrkraft zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Entgeht durch ein psychologisches Gutachten der „Heil- und Pflegeanstalt".
Jakob W. aus Köln-Deutz: Hat sich im November 1944 mit einem anderen Soldaten auf dem Rückzug in der Eifel unerlaubt entfernt. Ist mit dem Fahrrad zu seiner Frau gefahren, die sich in der Nähe aufhielt. Beide Soldaten sind nach einigen Tagen zur Truppe zurückgekehrt. Das Urteil: 1,5 Jahre Gefängnis.
Everhard D. aus Köln: Im Dezember 1939 stirbt sein Kind. Er bleibt über die Feiertage zu Hause bei seiner Familie, ohne eine Erlaubnis dafür zu haben. Nach 4,5 Tagen unerlaubter Entfernung wird er in seiner Wohnung verhaftet. Verurteilt zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis. Im Juni 1940 wird er zu Bewährung zu seinem Truppenteil zurückversetzt.
Wilfried D. aus Köln-Marienburg: Seit 1938 Soldat, wird mehrfach ausgezeichnet, ist am Granatwerfer eingesetzt. Am 26. Januar 1944 sprengt er seinen Granatwerfer, weil er glaubt, der „Russe" sei durchgebrochen. Es wird Anklage erhoben wegen „Dienstvergehens aus Furcht". Er bekennt sich schuldig. Nach 21 Tagen geschärftem Arrest kehrt er zu seiner Einheit zurück.
Anton S. aus Köln-Buchforst: Wird wegen Selbstverstümmelung angeklagt, nachdem er einen Schuss ins Bein bekommen hat. Er ist geständig. Am 5. Juli 1943 wird er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.