Am 1. September 2009 wurde in Köln am Appellhofplatz anlässlich des 70. Jahrestages des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf Polen ein Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz eingeweiht. Das Kunstwerk ist das erste Denkmal für diese Opfergruppe, für das eine Stadt einen internationalen Wettbewerb auslobte.
Am 29. September 2019 wurde am ehemaligen Schießplatz in Köln-Dünnwald ein weiteres Denkmal für diese Opfergruppe eingeweiht.
„Wo sind die Deserteure? Wo sind die Eltern, sind die Freunde, die Brüder und Schwestern dieser erschossenen Deserteure, deren Leiden man auf die Schwelle des Friedens häufte? (...) Und wo sind die Deserteure, die sich in den zerstörten Städten verbargen, in Dörfern und Wäldern, wartend auf die Alliierten, die für sie damals wirkliche Befreier waren? Haben sie Angst vor den gründlich ihnen eingeimpften Phrasen, die Fahneneid, Vaterland, Kameradschaft heißen?"
Heinrich Böll, 1953
"WAS KANN MAN BESSERES TUN, ALS DEN KRIEG ZU VERRATEN?"
Widmungstext:
SCHIESSPLATZ DÜNNWALD
Seit 1887 befand sich hier eine Schießanlage des preußischen Militärs. Sie bestand zunächst aus drei Schießständen. Ab 1899 wurde auf insgesamt sechs Schießständen mit 400 bis 600 Metern Länge geschossen. Heute noch zu erkennen sind die Erdwälle, die die einzelnen Schießbahnen voneinander abtrennten, sowie Reste der Mauer, die am Ende der Bahnen als Kugelfang diente.
Nach der Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg wurde die Anlage im Zuge der Entmilitarisierung durch die Alliierten außer Betrieb genommen. Mit der völkerrechtswidrigen Remilitarisierung des Rheinlandes durch das NS-Regime im Jahr 1936 wurde bald auch das Areal am Kalkweg wieder einer militärischen Nutzung zugeführt.
Hinrichtungsstätte der Wehrmacht
Den Schießplatz nutzte die Wehrmacht bis 1945 als militärischen Übungsplatz. Er diente aber auch als Ort für die Hinrichtung von Soldaten der Wehrmacht, die von Militärgerichten zum Tode verurteilt worden waren. Mehr als 20 Männer im Alter von 18 bis 40 Jahren wurden hier von 1940 bis 1943 erschossen.
Kurz vor Kriegsende wurden in der Nähe des Schießplatzes ein 18- sowie ein 22-jähriger Soldat standrechtlich erschossen.
Diese Jugendlichen und Männer wurden Opfer einer von nationalsozialistischen Vorstellungen geprägten Militärjustiz. Sie bezahlten mit ihrem Leben dafür, dass sie sich dem Vernichtungskrieg entzogen oder aus Überzeugung aktiv dem NS-Regime ihren Dienst verweigerten.
Nach 1945 galten die Opfer der NS-Militärjustiz weiterhin als Feiglinge oder Verräter. Ihre Familien wurden oftmals diskriminiert und erhielten keine Hinterbliebenenrenten. Erst in den Jahren 1998, 2002 und 2009 erklärte der Deutsche Bundestag die NS-Urteile gegen Kriegsdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer, Wehrmachtdeserteure und Kriegsverräter für nichtig.
Das Zitat stammt von Ludwig Baumann (1921-2018), der 1942 wegen Desertion zum Tode verurteilt, begnadigt und in ein Strafbataillon überstellt wurde. Er war der wichtigste Vorkämpfer für eine Rehabilitierung dieser Opfergruppe.
Stadt Köln, im September 2019
Sie finden hier Informationen zu dem Projekt: von den Anfängen im Jahr 2006, den ersten Rechercheergebnissen, Ortsbesichtigungen, Denkmalsrecherchen bis hin zum Wettbewerb und der Einweihung.
Die Rechercheergebnisse haben Malle Bensch-Humbach, Elvira Högemann, Jochen Kaufmann, Gregor Lawatsch und Anne Schulz zusammengefasst. Den Bericht über die möglichen Kölner Standorte und eine Übersicht über vergleichbare Denkmale in der Bundesrepublik erstellte Karola Fings vom NS-Dokumentationszentrum. Das Logo für die Spendenkampagne entwarf Willi Hölzel.
In einem intensiven Abstimmungsprozess zwischen dem Kulturdezernat (vertreten durch Roderich Stumm und Brigitte Rönn), dem Stadtplanungsamt (Hermann Gellissen) dem Kunstbeirat und dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (Dieter Horky), der Projektgruppe Kölner Opfer der NS-Militärjustiz (Elvira Högemann, Malle Bensch-Humbach) und dem NS-Dokumentationszentrum (Dr. Karola Fings) wurde über die Art des Wettbewerbs und die Einzelheiten seiner Durchführung beraten.
Die 14-köpfige Jury unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Stefanie Endlich empfahl in ihrer Sitzung am Freitag, den 24. April 2009, nach intensiver Diskussion einstimmig die Realisierung des Entwurfes, den der Künstler und Grafikdesigner Ruedi Baur (Zürich/Paris) in Zusammenarbeit mit Denis Coueignoux eingereicht hatte: „Eine Pergola als Denkmal". In ihrem Erläuterungsbericht schreiben die Verfasser: „Es geht darum, die kleinen und großen Akte der Zivilcourage positiv zu symbolisieren und die tausende von Todesurteilen und Diskriminierungen, die solchen Haltungen folgten, in Erinnerung zu bringen. Meistens individuell, häufig aus der Situation heraus, nicht selten intim und leise zeigte sich diese Courage in Handlungen des Alltags. Das Denkmal sollte dieser Diskretion und Natürlichkeit entsprechen...".
Das Kunstwerk wird im Stadtraum zunächst als Pergola wahrgenommen, die sich, leicht schräg auf dem Platz positioniert, bis zum U-Bahn-Eingang erstreckt. Das Dach der Pergola wird durch eine Sequenz von farbigen Aluminiumlettern gebildet, die einen als Hommage formulierten Text ergibt. Dieser „Kettentext" verweist auch auf die Kettenreaktion unserer Gesellschaft: „Die Zivilcourage beginnt ganz klein und kann zu heroischen Akten führen", schreiben die Verfasser in ihrem Erläuterungstext. „Das eine greift in das andere, verwebt sich zu einem neuen Horizont...".
Der Widmungstext des Auslobers wird auf einer Stange der tragenden Struktur der Pergola einmontiert.
Empfehlung der Jury
„Die Jury ist von der klaren und souveränen Formensprache des Entwurfs beeindruckt und von dem Widmungstext berührt. Die ‚Pergola' besetzt nicht den für das Denkmal vorgesehenen Platz, sie vereinnahmt und überformt ihn nicht, sondern schafft einen imaginären Erinnerungsraum, der vielfältige Gedanken und Assoziationen zulässt. Der Text hat den Charakter einer poetischen Hommage der heutigen Generation an die Menschen, die sich damals verweigert und Mut gezeigt hatten und dafür verurteilt und hingerichtet wurden oder Schlimmes erlitten, auch noch nach Kriegsende, bis in die Gegenwart.
Die künstlerische Handschrift ist zeitgemäß und löst sich von traditionellen Mahnmalsformen und Symbolismen. Leichtigkeit und Farbigkeit der Lettern drücken Hoffnung aus und weisen in die Zukunft. Das Denkmal macht keinen düsteren, erschreckenden Eindruck, sondern erleichtert die Annäherung auch für Menschen, denen das Thema fremd ist. Es drängt die Besucher nicht, sich vor einer Inschrift im Boden zu verneigen, sondern richtet den Blick nach oben, in den Himmel, und gibt Anstoß zu individueller Reflexion.
Die Jury ist froh, dass mit diesem Entwurf ein dem schwierigen Thema angemessenes Denkmal realisiert werden kann. Sie formuliert zugleich die Hoffnung, dass möglichst bald auch die letzten Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz rehabilitiert werden."
Das Denkmal ähnelt einer Pergola und hat als Dachkonstruktion einen "Kettentext", den man nur lesen kann, wenn man sich in dieses Kunstwerk hinein begibt. Der Kettentext lautet:
"Hommage den Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Menschen die sich weigerten zu töten die Menschen die sich weigerten zu töten die Menschen die sich weigerten zu foltern die Menschen die sich weigerten zu foltern die Menschen die sich weigerten zu denunzieren die Menschen die sich weigerten zu denunzieren die Menschen die sich weigerten zu brutalisieren die Menschen die sich weigerten zu brutalisieren die Menschen die sich weigerten zu diskriminieren die Menschen die sich weigerten zu diskriminieren die Menschen die sich weigerten auszulachen die Menschen die sich weigerten zu diskriminieren den Menschen der Solidarität und Zivilcourage zeigte als die Mehrheit schwieg und folgte ..."
Die Einweihung des Denkmals fand am 1. September 2009 am Appellhofplatz mit rund 900 Gästen statt.
Sie ist fotografisch dokumentiert bei der Kölner Arbeiterfotografie.
Während der Diskussion darüber, wie ein Denkmal für (zivile und soldatische) Kriegsgegner/innen in Köln aussehen könnte, entstand die Idee, sich einen Überblick über bereits in der Bundesrepublik vorhandene Denkmale für Deserteure zu verschaffen.
Nach unseren Recherchen gab es 2008 lediglich 16 tatsächlich realisierte Denkmale für diese Opfergruppe in der Bundesrepublik. Ein Überblick über die Entstehungsgeschichte dieser Denkmale sowie deren künstlerischer Umsetzung ist durchaus erhellend auch für die Kölner Überlegungen. Zunächst ist festzustellen, dass viele Denkmale oft erst nach langen Jahren gegen starke Widerstände innerhalb der Lokalpolitik durchgesetzt werden konnten. Viele stehen daher heute noch lediglich auf kirchlichem oder privatem Grundstück, haben also keineswegs den Weg in den offiziellen städtischen Raum gefunden. Damit einher geht eine oft eher laienhafte künstlerische Umsetzung, die auf Plakativität und Figürlichkeit setzt.
Die einzelnen Denkmale werden dem Alphabet nach vorgestellt, mit jeweils kurzen Erläuterungen.