Gedichte

Ernste Stunde

Ich habe kein Brot und ich habe kein Geld
Und ich kann mir den Himmel nicht kaufen
Ich habe kein Haus und ich habe kein Feld
Ich hab mich verlaufen

Ich hab keine Nummer und ich hab keinen Namen
Ich trage nicht Farbe nicht Fahn
Ich höre kein Lob und ich höre kein Amen
Ich hab mich vertan

(Fred H. Friedmann, 1939)

 

80 : Unantastbar

Er würdigte das Leben
gegen die,
die es entwürdigten

Er war ein Mensch
des Jahrhunderts,
dem er Bilder es zu überwinden
abgewann

So hätte er
sein mögen
mit einem gut gezielten Schuss

Humor

(Fred H. Friedmann, 1998)

 

Weisst Du noch?

I
Weisst Du, wie wir Kinder tanzten
mit den Köpfen, schön bekranzten
auf dem Rucken unsre Ranzen
über Gacken, ausgefransten
oder zufallsweise ganzten
auf Matratzen, schwer verwanzten
hinter Mauern dicht bepflanzten,
und uns dann versteckt verschanzten

Weisst Du noch?

II
Weisst Du noch?

Wie du renntest auf den Brucken
in den Rhein hineinzuspucken -
und wir stehen da und jucken
bis die Wache kömmt - und kucken,
schliesslich dann genug vom Ducken
wagen grade noch zu mucken
denn die Polizisten zucken -
uns hinfort nachhause schucken

Weisst Du noch?

III
Weisst Du noch?

Ja, was waren das vor Zeiten
die uns heute noch vorleiten
wegzurennen, wegzureiten
fort von Engen, unbefreiten -
und im Geist dahinzugleiten
da und dort, nach allen Seiten
von den Engen in die Weiten
hie zu schweigen, hie zu streiten

Weisst Du noch?

(Fred H. Friedmann, 1986)

 

Die trunkene Geliebte

Du schienst zu schweben über dichten Düften,
Von Cognac, Café, halbgebratnem Fleisch,
Und Deine Stirn trugst Du in höh'ren Lüften,
Noch haftete Dein Fuss am Bodenreich.

Du trankest nicht, benetztest kaum den Mund
Und rauchtest viel und stark, aus vollen Zügen.
Du lächeltest, wenn man Dir zutrank - und
Nicht immer war Dein Lächeln blosses Lügen.

Dann kam die Zeit, wo Du Dich nicht mehr hieltest,
Wie Hebel wirkten Deine Arme fort.
Du schiedest nicht, so sehr Du danach zieltest,
Dich hielt Berufung fest an ihrem Ort.

So zierlich warst Du wie ein Kind bei Riesen,
Der Federwolke gleich am lauen Tag.
Ich wünschte mir, wir schritten über Wiesen,
Ich wünschte viel, doch war mein Wunsch so wag.

Wir fuhren dann, was wir nach Hause nennen,
Du warst erschöpft, wie klopfte stark Dein Herz.v Es flüsterte: "Du wirst mich niemals kennen."
War dies Dein Wort? Sprachst Du es nur im Scherz?

Du sankest auf Dein Lager, sankest zag.
Dein Atem lockte mich, ihn zu verspüren.
Wagt' ich's, die müden Lippen zu berühren?
Schlaf, Liebe, morgen ist ein neuer Tag.

(Fred H. Friedmann, 1945)

 

Examen

I.
Da sitzen schon in langen Reihen, sitzen
Die Häupter, Hände, Blicke, wie geheftet
Auf jene Stelle der getünchten Wand,
Die nah ergreifbare, die doch so ferne,
So abseits, abgelegen weit und ferne,
Wo Nicht-Ersehenes und Nicht-Erhörtes
Zu Leib und Körper wird in Dust und Wirrsal
Und sich zur Wolke sondert schwer und schwanger

II.
Die Wolke scheint von Häuptern herzurühren,
Da sich der Geist verdichtet, die Gestalt
Von tausend Formen sich im Raum verbindet,
Vermengt mit Tabakrauch und feinem Staube
Ins Grau der Decke nun hinauf sich hebend
Und nun ins Blau der Tinte sich verflüssigt --

Dann, auf den klaren, blendend weissen Blättern,
Der Sonne Strahlen kühn entgegenleuchtend,
Entstehen um die feingeführten Linien
Die Zeichen jener Wolke sich verflüchtigend.

Und reich verfärbt die Blätter sich nun häufen
In lückenloser Folge bald sich reihend
Und bald des weitern Niederstiegs der Wolke
In Musse harrend, bald wohl auch in Eifer
Sich wiegend, hierhin, dorthin, auszugleichen,
Zu ordnen, letzte Zipfel, die entschlüpfen,
Nun einzufangen, zu verkörpern, darzustellen --

Kaum kommt ein Laut, die Stille zu zerstören;
Die Melodie des Tages dringt nicht her;
Die Fenster, weit nach aussen hin geöffnet,
Verwehren jedem fremden Ton den Eintritt

III.
Da plötzlich unterbricht die strenge Stille
Der Glocke schrilles Läuten in dem Saale;
Zerstäubt, verflogen ist die dichte Wolke
Und auch ihr Niederschlag auf jenen Blättern
Ist trocken schon und aus der Hand gegeben, -
Aus jener Hand, die alle Zeichen schuf
In ernster Zärtlichkeit strengem Gehorsam, -
Von jenem Auge schon entfernt, das scheidend
Den letzten Blick der sorglich-milden Pflicht
Ihm zugewendet und ihn gut geheissen, -

Und nur der Geist, noch gänzlich nicht entspannt,
Noch aus der angeregten Fülle schöpfend,
Die stetig zeugend er und zielbestrebt
Sich seinen Zwecken heischend unterworfen,

Verlangt nach einer guten Tasse Kaffees.

(Fred H. Friedmann, 1957)

 

wo die bunte kohle blüht

wo die bunte kohle blüht
wo der duft des brotes aufsteigt
von dem roste und erglüht
weisser tee wo sich verneigt
vor dem pudding der pastete
manches haupt in scheuem staunen
wenn im garten windverwehte
blätter von den beeten raunen
vor der feuchten nebelhand ---

dort my dear ist engelland.

(Fred H. Friedmann, 1950)

 

Theodizee

I
Der Regen fällt an jedem Tag
Guten wie Bösen auf die Haut,
Doch mehr dem Guten, denn der Bö-
se hat ihm seinen Schirm geklaut

II
Der Regen spricht:
Mich stört es nicht,
Auf guten fall' und bösen Wicht

Der Gute:
Verdammt, schon wieder werd' ich nass,
Der ich den schönen Schirm besass

Der Böse:
Mein Gott, wie mir der Schirm gefiel,
Jetzt regne es, so oft es will

(Fred H. Friedmann, 1972)

The rain it raineth every day
upon the just and unjust fellow,
but more upon the just because
the unjust has the just's umbrellav

(Anon. from:
More comic and curious Verse,
Penguin)

 

Eau de Cologne

Jeder Mensch, der riecht nach was
und er stinkt wie faules Aas
Nur der kleine Jesus nicht
der nach Kölnisch-Wasser riecht

Tout le monde i-pue
i-sent la charogne
sauf le p'tit Jésus
qui sent l'Eau de Cologne

(Französischer Gassenhauer)

(Fred H. Friedmann, 1997)

 

Kölscher Abzählreim (traditionell)

Ib'n dib'n dutz
D'r Vatter läss ene Futz
De Motter läss ere zwei
Dat sin zosamme drei

Französische Nachdichtung

Un, deux, trois, quat', sept
le père fait un pet
la mère en fait deux
- ça nous fait trois au jeu

(Fred H. Friedmann, 1980)

 

Allmählich

allmählich
macht man sich
auf die Socken

allmählich
gibt man sich
dran
daran
zufrieden
geschlagen

allmählich
wird es
spät

allmählich
wird
der Absatz krumm
der Kühlschrank leer
und Memorabilia
werden
zu Gerümpel

allmählich

(Fred H. Friedmann, 1994)

 

Wozu

Wozu das alles? fragt man mich.
Wüsst' ich's, ich würd' es sagen.
Mir scheint indessen gar kein Grund
Sei hier und dort zu klagen.

Mir scheint noch mehr, der einz'ge Grund
Umfasst wohl dies und das,
Doch hauptsächlichst und nebenbeist:
Es macht mir sehr viel Spass.

(Fred H. Friedmann, 1952)

 

Marlene Dietrich

Als Marlene Dietrich ihre Abneigung
gegen den Krieg zum Ausdruck brachte,
da gab es Leute, die sich
beschämt fühlten, und andere,
die sie Beschämung lehrten,
nicht etwa weil sie, des Krieges überdrüssig,
vergangner Schande eingedenk,
sich schämten,
da sie wussten, wie
es um die Blumen bestellt war, auch nicht,
weil sie, neuer Gefahren bewusst,
in Ohnmacht und Scham
nicht mehr hatten wissen wollen,
wie es um die Blumen bestellt war,v sondern solche, die sich schämten,
weil die Sängerin mit ihren Liedern
ihnen entkommen war.

(Fred H. Friedmann, 1964)

 

Große Wäsche

Sie wuschen im 4. der Reiche
bestattungsgerecht eine Leiche
Sie war blitz und blank
und roch nicht noch stank
Fast fragte man, war es die gleiche

(Fred H. Friedmann, 1992)

 

Veränderung

Als der Wolf auch das letzte ihrer Geislein gefressen hatte,
sprach die alte Geis:
"Man muss den veränderten Verhältnissen
Rechnung tragen",
und sprang dem Wolf in den Rachen.

(Fred H. Friedmann, 1936/1989)

 

Schicksal

Hans-Michel hatte grossen Durst
und ass dabei 'ne Leberwurst

nach dem Genuss der Leberwurst
hatte Hans-Michel grossen Durst

(Fred H. Friedmann, 1956)

 

Herbst

Der Sturm ist heimgegangen
Des Tobens satt
Auf seinen verblasenen Wangen
Schaukelt ein Blatt

Es sinkt zur Erde nieder
Leise wie Schlaf
Und seine versungenen Lieder
Decken es brav

Ein Ast greift dürr ins Leere ---
Leise und matt
Er lehrt eine neue Lehre:
Die Lehre vom Blatt

(Fred H. Friedmann, 1959)





Gedichte, die (mehr als) Geschichte schreiben