Gruppe 
Navajos (Georgsplatz)

Kölner Navajos um 1937

Am 16. Oktober 1937 wird mit Peter Sch. der erste jener Jugendlichen vom 3. Polizeirevier der Kölner Polizei festgenommen und der Gestapo übergeben, die sich in den Wochen und Monaten zuvor am Georgsplatz in der Nähe des Waidmarkts getroffen und dort - zumindest aus der Sicht von Polizei und "Staatsschützern" - Passanten und andere Personen belästigt sowie Dinge zerstört hatten. Offizieller Grund der Festnahme ist allerdings der "Verdacht der Zugehörigkeit zu einem staatsfeindlichen Jugendverbande".

In der "Einlieferungsanzeige" schreibt der die Verhaftung durchführende Polizeihauptwachmeister, am Georgsplatz würden sich "Abend für Abend" mehrere "Burschen" herumtreiben. "Dort werden dann die Anwohner der umliegenden Straßen durch das ungebührliche Benehmen dieser Jungens angepöbelt. Dort werden, laut vorliegender Beschwerde, die Passanten nicht nur belästigt, sondern auch die Fensterscheiben zertrümmert, Gardinen in Brand gesteckt und derartige Flegeleien betrieben." Dabei sei es insbesondere das Mädchenheim der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), das "unter diesen Anpöbeleien sehr stark zu leiden" habe. Außerdem seien "auf dem Georgsplatz öfters Hitlerjungendangehörige überfallen und misshandelt" worden.

Bei den beschuldigten Jugendlichen, so viel hatte der Polizeibeamte in der Kürze der Zeit ermitteln können, solle es sich um Angehörige "der ehemaligen Pfadfindervereinigung" handeln, die "heute unter dem Decknamen 'Noroterjugend' [!] ihr staatsfeindliches Unwesen treiben" würden. Das Erkennungszeichen "der Mitglieder dieser Vereinigung" seien Handgelenkriemen mit Totenkopf.


Die Verhöre der Jugendlichen ergeben folgende Einzelheiten: Die Gruppe, die laut Angabe des Mitglieds Peter Sch. "aus etwa 20 Jungens" besteht, treffe sich fast allabendlich "auf dem Georgsplatz oder anderen verabredeten Plätzen" und singe "gemeinschaftlich Lieder". Hierbei handele es sich nach seinen Angaben sowohl um (oftmals umgedichtete) Volks- als auch um bündische Lieder. "Führer von dem Klub" sei Hermann K. "Ob irgendwelche Beiträge bezahlt" würden, so der 18jährige Schneider im Verhör, wisse er nicht. Er jedenfalls zahle nichts und sei auch noch nie hierzu aufgefordert worden. Im Sommer 1937 habe die Gruppe - meistens mit Fahrrädern - "des öfteren" Fahrten durchgeführt. "Die Bekleidung der Jungens bestehe aus kurzen schwarzen Hosen mit Reißverschluss, karierten Hemden, Kletterwesten oder Lederjacken." Hierzu würden die Jugendlichen "ein Lederkoppel mit blankem Schloss", viele außerdem einen Handgelenkriemen mit einem Totenkopf tragen. Ob diese "einheitliche Kleidung" von irgendjemandem "angeordnet" sei, so Sch. weiter, entzöge sich seiner Kenntnis. Ihm selbst jedenfalls habe niemand irgendwelche Kleidervorschriften gemacht.

Die Treffen am Georgsplatz verlaufen nicht konfliktfrei. So gibt Gruppenmitglied Peter Sch. der Gestapo folgende Schilderung: "Beim Singen der Lieder kommt es des öfteren zu Zwischenfällen mit der HJ, wobei es auch zu Schlägereien kommt, weil uns die HJ vertreiben will. Mir ist auch bekannt, dass von den Jungens des öfteren Mädchen von dem [NSV-] Heim am Georgsplatz angepöbelt werden. Es ist auch richtig, dass dort Gardinen angesteckt worden sind."


Einer der Anziehungspunkte am Georgsplatz ist offenbar das "Erfrischungsbüdchen" von "Frau W.". Jedenfalls sagt Karl Schr. aus, sich dort am Abend der Vorfälle mit dem NSKK-Verkehrserziehungsdienst aufgehalten zu haben. Die am Georgsplatz Anwesenden seien an diesem Abend von Navajos, die von der Hohestraße gekommen seien, über die dortigen Vorfälle informiert worden. Am gleichen Abend sei es auf dem Platz selbst auch noch zu einer Schlägerei gekommen. Dort habe ein etwa 20jähriger Mann gestanden und dem Treiben zugesehen. Er habe dann beobachtet, wie die anderen Navajos auf den Mann zugegangen seien. Leo W. [richtig wohl: D.] habe gesagt "Mach dass Du wegkommst!" und daraufhin auf den Mann eingeschlagen. Dieser habe, da Brillenträger, die Hände schützend vor das Gesicht gehalten und sich anschließend entfernt. Zum Beginn seiner Zeit bei den Navajos habe er, so Schr. weiter, gesehen, "dass ein Hitlerjunge, der uns im Volksgarten verraten haben sollte, auf dem Georgplatz verprügelt wurde" - allerdings ohne dass er sich daran beteiligt habe.

Was das Wort "Navajo" bedeute, kann Karl Sch. in seiner Vernehmung vor der Gestapo bemerkenswerter Weise nicht sagen. "Manche von uns sagten, dass sei ein Indianerstamm gewesen." Verbindungen zu „Navajo“-Gruppen vom Heumarkt oder aus Kalk gebe es seines Wissens nicht.


Bezüglich des Angriffs auf den als Denunzianten bezeichneten HJ-Jungen sagt Theodor B. am 22. Oktober 1937 aus: "Der Leo D. war von einem HJ-Scharführer Klassmann am Holzmarkt angefahren worden und hatte eine Handverletzung davon getragen. D. kam auf den Georgplatz und zeigte mir seine angeschwollene Hand. Nach einer Weile kam Kl. in Zivilkleidung und brachte noch etwa 10-12 HJ in Uniform mit auf den Georgplatz. Ich sagte nun zu D.: 'Geh hin zu dem Kl. und sage ihm, Du hättest die Verletzung auf seine Kosten ärztlich behandeln lassen.' Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung ist es zu einer Schlägerei zwischen mir und dem Kl. gekommen. Die übrige HJ und die Navajos haben sich eingemischt." Daraufhin wird die Gruppe dem 3. Polizeirevier vorgeführt und dort vernommen.


Relativ offen und auskunftsfreudig gibt sich im Laufe seiner Verhörs Franz L., wobei seine Aussagen durchaus glaubwürdig erscheinen. Er habe, als er zu den Jugendlichen am Waidmarkt/Georgsplatz gestoßen sei, sofort bemerkt, "dass es sich hier um eine besondere Gruppe handelte, die sich alle ähnlich kleideten und teilweise einen Handriemen mit einem Totenkopf trugen". "Sie nannten sich 'Navajos', was die Burschen mir selbst sagten. Es war ein enger Zusammenhalt, der mir gefiel, sodass ich regelmäßig dort erschien." Als gruppentypische Grußformen verwende man die Wörter "Ahoi" oder "Horrido" zur Begrüßung, "Servus" zum Abschied. Den "Deutschen Gruß", also "Heil Hitler", so L., habe er "in dieser Gesellschaft nur dann gehört, wenn ein Polizeibeamter in der Nähe war"; sonst sei er nie benutzt worden. Allerdings, so stellt er "auf Befragen" klar, habe ihm niemand gesagt, dass auch er die besonderen Grüße anwenden oder den "Deutschen Gruß" vermeiden müsse; vielmehr habe er sich "ohne jede Aufforderung" den Grußformen angepasst. Gleiches gelte auch für den speziellen Händedruck sämtlicher Gruppenmitglieder, den L. so beschreibt: "Die beiden kleinen Finger werden in die Handlücke zwischen kleinem Finger und Ringfinger geschoben." Diese Begrüßung sei früher bei den Pfadfindern üblich gewesen.

Bei den Zusammenkünften singe man stets Lieder, insbesondere Fahrtenlieder, von denen einige Lieder der verbotenen „Nerother“ gewesen seien, was ihm auch bewusst gewesen sei. Allerdings sei ihm, so L. vor der Gestapo, ein "Unterschied zwischen den Navajos und den Nerothern" nicht bekannt, "da sich die Clique am Waidmarkt ebenso 'Navajos' wie 'Nerother' nennen" würde. Beiträge oder ähnliches würden nicht gezahlt, allerdings habe er "schon verschiedentlich" die Lilie, "das Abzeichen des aufgelösten Pfadfinderbundes", gesehen, Es sei ihm jedoch nicht bekannt, ob dieses Zeichen bei den "Navajos" vom Georgsplatz eine besondere Bedeutung habe; ihm selbst, so L., sei allein der Totenkopf als gruppentypisches Abzeichen bekannt. Die Gruppe habe keinen "bestimmten Führer". Es gebe jedoch einen Jugendlichen - Thoedor B. - der, weitere Treffpunkte eingerechnet, bereits "seit Jahren" dort verkehre, das "größte Wort" führe und nach dem sich die "übrigen Burschen" richten würden. (Wie relativ solche Aussagen zu werten sind, zeigt die Tatsache, dass in anderen Verhören z.B. Hermann K. als federführend dargestellt wurde.) Das gelte jedoch nicht für die Fahrten und die Bestimmung der jeweiligen Ziele, "dies machen die Jungens unter sich aus".

Wie dies geschah, die damit verbundenen Kommunikationsstrukturen und überhaupt das gesamte Selbstverständnis der Waidmarkt-Gruppe (und wohl auch der weiteren zur gleichen Zeit in Köln existierenden) geht aus der Schilderung hervor, die L., der an vier solcher Fahrten nach "Rösrath - Ammerländchen - Haus Steeg" teilgenommen habe, auf die entsprechenden Fragen des vernehmenden Gestapobeamten Sch. gibt: "Wir waren meist zu 20 bis 25 Personen, die sich von den einzelnen Treffs, wie vom Appellhofplatz, Hängebrücke und anderen trafen. Ein fester Kurierdienst bestand meines Wissens nicht, die Verabredungen entstanden dadurch, dass einzelne Burschen ihre Treffs wechselten. Heute Abend also vielleicht am Rhein, und morgen am Georgsplatz. Die Fahrten dienten lediglich der Unterhaltung und dem Wanderbetrieb. Wir fuhren stets an denselben Platz, weil wir wussten, dass wir dort noch andere ‚Navajos' treffen würden. Nochmals befragt, wer die Gesamtorganisation ‚Navajos' geschaffen hat, oder wer ihr Führer ist, erkläre ich, dass mir dies nicht bekannt ist. Über die Entstehung der ‚Navajos' ist mir erzählt worden: Etwa sechs Jugendliche wären vor einigen Jahren durch alle Welt gezogen, diese hätten sich den Namen ‚Navajos' und ‚Nerother' zugelegt. Zu diesen seien nun immer weitere Jugendliche gestoßen. Wir alle, die nun die einheitliche Kluft trügen, gehörten nun auch zu dem Bunde der ‚Navajos' oder ‚Nerother'. Besondere Aufnahmebedingungen oder Zeremonien gibt es allerdings nicht. Wer gelitten und nicht verjagt wird, wird als zugehörig betrachtet. Einen eigentlichen Zweck oder politische Ziele hat der Bund nicht. Wohl wollen sie alle mit der HJ nichts zu tun haben. Alle sagen, in der HJ sei nichts los, weil sie sich nicht kommandieren lassen wollten, insbesondere nicht von jüngeren als sie selbst. Den HJ-Angehörigen gingen wir tunlichst aus dem Wege. Allerdings ließen sich Zusammenstöße nicht vermeiden. Auch ist mir bekannt, dass verabredet wurde, einen Kl., der im Volksgarten die Vorführung von 27 ‚Navajos' veranlasste und Mitglied der HJ ist, bei Gelegenheit zu verhauen. Von anderen geplanten und vorher besprochenen Überfällen ist mir nichts bekannt. Weiter stand fest, dass jeder HJ Streife, die uns zu nahe treten würde, ebenfalls verhauen werden sollte. (...) Über Kommunismus oder dergleichen oder über Politik wird nie gesprochen. Andererseits aber wird immer die enge Kameradschaft der ‚Nerother' oder ‚Navajos' betont die einen festen Bund bildeten."


Auch Hermann K. beteuert gegenüber der Gestapo, die Gruppe am Georgsplatz habe keinen "Führer". Aufschlussreich ist das, was K. zum Selbstverständnis der Waidmarkt- und befreundeter Gruppen aussagt: "Auch die anderen Gruppen am Rhein u.s.w." hätten seines Wissens "keine feste Führung". "Trotzdem besteht ein fester Zusammenhalt, auch unter den einzelnen Gruppen. Mit der HJ wollen die sog. Nerother oder Navajos nichts zu tun haben. Es heisst, dass man sich von HJ-Streifen und HJ-Angehörigen nichts sagen lassen wolle und sie gegebenenfalls verprügele." Trotzdem, so hebt er ausdrücklich und wohl durchaus glaubwürdig hervor, bestehe keine "bestimmte politische Richtung" innerhalb der Gruppe. "Immer wieder wird jedoch betont, dass wir eine Gruppe für uns sein wollten, gemeinsame Fahrten machen wollten und dass uns niemand hineinreden dürfe. Es soll eine feste Kameradschaft bestehen; wenn dem einen etwas geschehe, soll ihn der andere rächen."

Hinsichtlich Kleidung und Verhaltensweisen bestätigt auch Hermann K., dass eine besondere Kleidung keineswegs "vorgeschrieben", sondern die Gruppengebräuche in dieser Frage völlig "zwanglos" seien. "Jedoch sieht jeder zu, dass er möglichst ein kariertes Hemd, kurze Hose mit Reissverschluss und halbhohe Stiefel mit übergelegten Strümpfen trägt." Als "Abzeichen" würde ein Kraftriemen mit Totenkopf gelten, den jedoch nur wenige tragen würden. Auch K. berichtet von der "besonderen Art des Händedrückens" und von der üblichen Begrüßungsfloskel "Ahoi". "Wenn schon einer der Jungens 'Heil Hitler' sagt, so sieht man dies als Unsinn an, weil der Gruss verpönt ist."

"Auf Befragen", d.h. wohl unter erheblichem Druck des verhörenden Gestapobeamten, räumt Hermann K. ein, "dass an den Ausflügen wie auch an den abendlichen Treffs fast immer einige junge Mädchen teilnehmen, die von ihren Jungs umarmt werden und auch schon einmal paarweise zu offensichtlichen Zwecken verschwinden, dies besonders während der Fahrten nach Rösrath".


Leo D., der - wie Theodor B., Wilhelm M. und Alois S. - bereits am 12. Oktober 1937 in einen Zwischenfall in der Hohe Straße verwickelt war und deshalb polizeilich vorgeführt und von der Gestapo vernommen worden war, sagt u.a. aus, die Zusammentreffen am Georgplatz und die Fahrten dienen ausschließlich der "Unterhaltung". "Wir treiben allerhand Scherze und singen Lieder, die von Einzelnen mit der Klampfe begleitet werden." Er kenne zwar nicht den genauen Text der Lieder, darunter seien aber die Songs "Wir standen vor Madagaskar" und "Der Golf von Biskaya". Das Lied vom Rübezahl mit der Zeile "Schlagt die Bündische Jugend wieder frei" sei ihm ebenso unbekannt wie solche, in denen von "Navajos" die Rede sei. Allerdings räumt er ein zu wissen, dass seine Gruppe "Navajos" genannt würde - "woher der Ausdruck kommt und wer uns ihn beigelegt hat, weiß ich nicht". Die Gruppenmitglieder selbst jedenfalls würden sich nicht als "Navajos" bezeichnen.

Die Frage nach etwaigen Führern in der Gruppe verneinte D. "Auch die Fahrten nach auswärts oder die einzelnen Treffs in der Stadt werden nicht organisiert. Bei solchen Gelegenheiten kommen die Vorschläge mal von diesem, mal von jenem. Wer Lust hat, schließt sich an." Das Theodor B., der "Organisator" der Gruppe vom Waidmarkt, so D., sei ihm nicht bekannt. Es treffe zu, das er B. angeregt habe, sich zu der Gruppe zu gesellen. Seitdem sei er auch regelmäßig gekommen - "zumindest jeden zweiten Tag entweder in den Volksgarten oder zum Waidmarkt".

Des Weiteren gab Leo D. zu Protokoll, dass der Zwischenfall mit dem NSKK-Verkehrserziehungsdienst am 12. Oktober 1937 weder geplant war noch bewusst provoziert worden sei. Überhaupt seien bei den Zusammenkünften der Gruppe "nie irgendein Überfall auf Angehörige einer NS-Organisation besprochen oder geplant worden". Es habe zwar ab und zu "Zusammenstöße mit der HJ" gegeben, doch seien diese "keinerlei politischen Motiven" entsprungen. Es treffe auch zu, "dass sich in unserer Gesellschaft verschiedene ehemalige HJ-Angehörige befinden, die offen erklären, dass sie mit dem HJ-Dienst nicht mehr zufrieden gewesen seien".


Alois S. weist vor der Gestapo darauf hin, dass an den Ausflügen nach Rösrath und in den Königsforst anfänglich auch "viele HJ-Jungend" teilgenommen hätten, "die erst später von uns abließen". "An den Sonntagsausflügen nehmen auch Mädchen teil, die von uns auch liebgehalten werden. Wenn mir Vorhaltungen gemacht werden, dass wir bei unseren Zusammenkünften auf dem Georgplatz auch Mädchen mitbringen, so weiß ich ganz genau, dass diese ohne unsere Aufforderung zu uns kommen. Bei dieser Zusammenkunft singen wir Lieder, erzählen Witze und machen Dummheiten mit den Mädchen. Die älteren Jungens befassen sich mehr mit den Mädchen." Er habe die Beobachtung gemacht, so Alois S. weiter, "dass sich die Mädchen den Jungen fast gegen den Willen in die Arme fallen lassen" und dabei wohl auch "am Busen angefasst" würden. Diese Beobachtung habe er allerdings weniger in Köln, sondern insbesondere während der Fahrten nach Rösrath gemacht, wo sich Jungen und Mädchen "vereinzelt" auch in den Wald begeben hätten, ohne dass er wisse, was dort vorgefallen sei.

Als S. am Ende seines Verhörs "zu dem Organisator dieser Navajos befragt" wird, muss er "ehrlich sagen, dass wir keinen Organisator haben"; wohl spiele sich B. als Ältester der Gruppe in den Vordergrund und führe das "Hauptwort". Dieser selbst wiederum betont in seiner Vernehmung am 22. Oktober 1937, dass es am Georgplatz keinen "Führer" gebe: "Wir besprachen gemeinsam die Fahrten. Wir haben uns nicht überlegt, gegen die HJ-Streife oder überhaupt gegen die HJ vorzugehen."


Im Gegensatz zu den anderen Verhörten nennt Wilhelm M. sehr wohl einen "Führer" der Gruppe: Theodor B. würde, weil er der Älteste sei, nicht nur Fahrtziele und Abfahrtzeiten bestimmen, sondern auch die Zusammenkünfte am Georgplatz würden unter dessen "Anordnung" stattfinden. Hier würden dann Lieder gesungen wie "Der Golf von Biskaya", "in der Blech da sieht es aus" und andere, die er jedoch noch nicht richtig kenne, weil er erst seit Kurzem "mit den Jungens ausfahre". Am Waidmarkt würden auch Mädchen an den Treffen teilnehmen, "die in unserem Alter und teilweise auch jüngeren Alters sind, mit denen wir scherzen und diese von den älteren Jungens auch an den Busen gefasst werden". Ob "diese auch nach dem Geschlechtsteil der Mädchen greifen" würden, habe er noch nicht gesehen, könne das aber auch nicht ausschließen.


Auch Franz D. nennt gegenüber der Gestapo einen "Führer" der Gruppe am Georgplatz, nämlich Walter H.

Walter H., der am 26. Oktober inhaftiert wird, berichtet, dass er ca. im April 1937 erstmalig mit Jugendlichen in Berührung kam, die sich "Navajos" nannten. Er habe sie zufällig am Georgsplatz beim Fußballspiel kennen gelernt. Von da an habe er regelmäßig am Georgsplatz verkehrt, wo sich nach und nach etwa "20 Burschen" regelmäßig einfinden: "Es wurden dort allerhand Scherze getrieben, auch mit den dort verkehrenden Mädels, sowie Lieder gesungen. Z.B. "Als wir einst reisten nach Amerika", "In Madrid in einer Spelunke", "Am Golf von Biskaya". "Wir lagen kurz vor Madagaskar...".“ Die vierte Strophe laute: "So ging es uns vor Madagaskar, den Navajos zur See." Die Lieder werden von einzelnen Jungen mit der Gitarre begleitet. Auch habe die Gruppe vom Georgsplatz Verbindungen zu anderen „Navajos“ gepflegt, die sich am Volksgarten treffen: "Ein nur mit Vornamen bekannter Bursche "Theo" der Brille trägt, hatte uns vom Georgsplatz dazu bestimmt einmal in den Volksgarten zu kommen. Dieser Theo kannte einige von uns, die auch schon bei einer ähnlichen Clique am Heumarkt verkehrt hatten.".

Bemerkenswert ist außerdem, dass nach Auskunft des H. die Jugendlichen am Georgsplatz nicht nur aus der Nachbarschaft, sondern aus verschiedenen Stadtteilen zusammenkommen, weil sie sich an diese "Clique aus bestimmten Gründen" gebunden fühlen. Dies sei hauptsächlich auf die gemeinsamen Fahrten nach Rösrath und zum Ammerländchen zurückzuführen. Es habe ein ausgeprägter Wille geherrscht, sich in dem Fahrtenbetrieb und in den Zusammenkünften nicht behindern zu lassen, auch von den HJ-Streifen nicht: "Infolgedessen war in unseren Reihen auch eine HJ-feindliche Stimmung. Die HJ-Gegnerschaft kam offen zum Ausdruck, es wurde immer wieder gesagt, dass sie sich nicht unterordnen wollten und nichts mit der HJ-Disziplin zu tun hätten. Es kam auch schon zu Zusammenstößen und Schlägereien.“ Allerdings sei ein solcher nur bei der Schlägerei mit Kl. verabredet worden, weil der selber ständig Zusammenstöße provoziere. H. gibt zu, dabei gewesen zu sein, als die Schutzgitter der Fenster des NSV-Heims verbogen worden sind, bestreitet aber, der Täter gewesen zu sein. Auch streitet er ab, dass es irgendwelche Führer der Gruppe am Georgsplatz gegeben habe.


Ein weiterer am Georgsplatz verhafteter Jugendlicher, Kurt W., der zuvor einer Gruppe angehört hatte, die sich im Volksgarten trifft, sagt vor der Gestapo am 20. Oktober 1937 folgendes aus: Weil "kürzlich im Volksgarten eine Razzia abgehalten wurde", würden er und seine Bekannten "nunmehr am Waidmarkt" verkehren. Der dortige Zusammenschluss von Jugendlichen verfolge jedoch nicht den Zweck, "die HJ zu schädigen". Allerdings musste W. einräumen, dass sämtliche der sich am Waidmarkt treffenden Jugendlichen "nichts mit der HJ zu tun haben" wollen, "weil dort keine Kameradschaft herrsche". Es sei bislang allerdings noch nie die Rede davon gewesen, so der Vernommene offenbar auf eine entsprechende Frage des Gestapobeamten, "die HJ durch Beeinflussung der Mitglieder in unserem Sinne zu schädigen". "Es trifft wohl zu, dass schon einmal Schlägereien mit der HJ vorkommen." Einen "Führer", so der Beschuldigte auf Nachfrage, habe weder die Gruppe am Georsplatz noch eine andere der ihm bekannten Cliquen. Er wisse nicht, "wer die Gründer der Navajos" seien, ebenso wenig, wer die Grußformen und die Lieder "aufgebracht" habe. Zur Kennzeichnung dieser "Navajos" führt W. schließlich noch aus, dass er zwar die Lilie als Abzeichen der früheren Pfadfinder kenne und auch wisse, dass "einige Navajos solche Abzeichen getragen" hätten, als "Abzeichen der Navajos" gelte aber einzig und allein der "Totenkopf".


Ein Zeuge, der die den Jugendlichen zur Last gelegten Handlungen bestätigt, weist auf deren provokantes Verhalten gegenüber einem Polizeibeamten hin, der sich am 16. Oktober "für diese Burschen interessierte": "Ich hörte nun aus dem Trupp heraus die Bemerkung: 'Sieh mal an, der Detektiv Streukuchen.' Verschiedene pfiffen ihn aus, fuhren mit den Rädern an ihm vorbei und tippten mit den Fingern an die Stirn." Erst als zwei Schutzpolizisten hinzukommen, hätten die Jugendlichen - bis auf Peter Sch. - das Weite gesucht.


Nach den Vorfällen in der Hohe Straße am 12. Oktober 1937 und den anschließenden Verhören fasst der offenbar federführende Gestapobeamte Sch. seine Erkenntnisse am 15. Oktober 1937 folgendermaßen zusammen: "Bei den Beschuldigten handelt es sich um Vertreter einer Clique Jugendlicher, die sich die Bezeichnung 'Navajos' zugelegt hat. Es ist dies eine Zusammenwürfelung von verwilderten, sittenlosen Burschen, deren politische Einstellung als staatsfeindlich bezeichnet werden muss, da sie in ihrer Mehrzahl ausgesprochene Gegner der HJ sind. Überfälle und Zusammenstöße mit einzelnen HJ-Mitgliedern sind an der Tagesordnung, ebenso wie Anrempeleien harmloser Straßenpassanten und öffentliche unsittliche Handlungen an gleichaltrigen Mädchen. Diese Horden treffen sich nun an verschiedenen Plätzen und Straßenkreuzungen der Stadt, machen gemeinsame Touren und sind stets auf der Suche nach Zusammenstößen und Schlägereien. Sie tragen eine einheitliche Kluft, die eindeutig den Zweck verfolgt, als zu ihrer Clique gehörig erkannt zu werden und gegenüber HJ abzustechen. Trotz dieser fast einheitlichen Kleidung und einiger gemeinsamer Lieder - meist Abwandlungen von Fahrtenliedern - war bisher nicht nachzuweisen, dass es sich um den Versuch zur Herstellung einer illegalen bündischen Gruppe handelt. Es fehlt an tatsächlichen Führern und einem einheitlichen Bestreben. Lediglich in ihrer HJ-Gegnerschaft und dem Bedürfnis nach Schlägereien besteht ein einheitlicher Geist. Wie aus den vorliegenden Vernehmungen hervorgeht, fühlen sie sich an keinerlei Bestimmungen und Vorschriften gebunden und glauben, sich durch ihr truppweises Auftreten, das an alte Taktiken der KPD erinnert [!], als die Überlegenen aus jeder Situation herausziehen zu können. Wie verschiedene andere Vorgänge beweisen, respektieren sie ebenso wenig Polizeibeamte wie die Gesetze. Es schweben verschiedene Verfahren gegen Navajo-Gruppen."


Bleibt dieser Versuch der Kriminalisierung von Seiten der Gestapo trotz aller enthaltenen Vorwürfe und der Konstruktion einer vagen Verbindung zur KPD eher halbherzig, so fährt der gleiche Beamte nach den Verhaftungen und Verhören gegen Angehörige der Gruppe ab dem 16. Oktober 1937 weitaus schwereres Kaliber auf. In einem Bericht vom 21. Oktober 1937 unterstellt er nunmehr eine feste Organisation und weitreichende staatsfeindliche Absichten. Im einzelnen heißt es dort:

"Bei den festgenommenen Burschen handelt es sich um Mitglieder einer Organisation, die bereits seit 2 Jahren in Köln und Umgebung ihr Unwesen treibt. Wie immer wieder festgestellt wurde, besteht ein enger Zusammenhalt dieser sich ständig vergrößernden einzelnen Cliquen, der den offensichtlichen Zweck hat, an Stelle der aufgelösten bündischen Gruppen etwas Neues zu setzen. Wie die Beschuldigten in ihren Vernehmungen zugaben, hat dieser wilde Bund bereits seine bestimmten Grußformen, Abzeichen, Lieder and eine einheitliche Kleidung. Hiermit sind alle Voraussetzungen erfüllt, die zum Nachweis einer verbotenen Fortsetzung oder Neugründung bündischer Gruppen im Sinne des § 1 Abs. 4 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28.2.1933 erforderlich sind.

Wenn auch bisher eine einheitliche Führung noch nicht nachgewiesen werden konnte, so bildet sich doch allmählich unter den Burschen einige zu Führern heraus, die den übrigen Jugendlichen einen staatsfeindlichen bündischen Geist vermitteln In dieser Richtung sind noch weitere Ermittlungen, insbesondere die verantwortliche Vernehmung des R., erforderlich. Wie weit jedoch die Verhetzung dieser sich als "Nerother" oder auch "Navajos" bezeichnenden Gruppen geht, erhellt [sich] aus den verschiedenen, gegen Angehörige dieser Gruppen eingeleiteten Strafverfahren, denen noch weitere, die sich im Ermittlungsstadium befinden, folgen werden. Bezeichnend für die Betätigung und den Geist der "Navajos" sind die Vorgänge die im Verfahren 1b Js 688/37 gegen Schmidt und Lang zur Erörterung stehen.

Jedenfalls steht bereits heute fest, dass der Bund der Navajos in jeder Hinsicht das Wohl des Staates zu gefährden in der Lage ist, und dass er nur mit allerschärfsten Mitteln bekämpft werden kann. Allen Beschuldigten wurde nach ihrer Vernehmung ernsthaft nahe gelegt, jede Betätigung im Sinne der bündischen Jugend einzustellen, was lediglich zur Folge hatte, dass sie auch noch ein zweites Mal in ihren Zellen die Lieder der "Navajos" sangen. Hieraus ergibt sich schon, dass der staatsfeindliche bündische Geist bereits heute derart fest in den Burschen verwurzelt ist, dass mit Verwarnungen keine Erfolge mehr erzielt werden können. Die Burschen fühlen sich bereits heute so stark, dass sie die Achtung vor jeder staatlichen Autorität verloren haben, was nicht nur der vorliegende Fall beweist."


Trotz der Verhaftungen seit dem 12. Oktober 1937 bleibt der Georgplatz Treffpunkt der Jugendlichen. Als am Abend des 21. Oktober eine großangelegte, sich über das gesamte Stadtgebiet erstreckende Razzia gegen die "Navajos" durchgeführt wird, kommt es auch am Waidmarkt zu erneuten Festnahmen von sechs Jugendlichen. Wie unbeeindruckt sich einige der Jugendlichen von den Maßnahmen der Gestapo zeigen, geht daraus hervor, dass die erst am gleichen Tag aus einer siebentägigen "Schutzhaft" entlassenen Theodor B. und Wilhelm M. auf dem Weg zum Georgplatz erneut festgenommen werden, wobei Letzterer bereits wieder in der "bekannten Kleidung der Navajos" angetroffen wird. Das gleiche Schicksal ereilt den ebenfalls frisch aus dem Klingelpütz entlassenen Alois S., der von der Gestapo in einer Gruppe am Treffpunkt "Tauzieher" am Leystapel angetroffen und erneut in Gestapohaft genommen wird.



 

12. Oktober 1937: Störungen beim "Verkehrserziehungsdienst"
16. Oktober 1937: Festnahme auf dem Georgplatz
26. Oktober 1937: Weitere Verhaftungen und Durchsuchungen Kölner Navajos
16. Dezember 1937: Urteile im Sondergerichtsverfahren gegen Kölner "Navajos"
29. Juni 1938: Verfahren gegen Gestapobeamte wegen Misshandlung eingestellt

Personen
Theodor B.
Leo D.
Franz D.
Josef E.
Josef F.
Walter H.
Theodor J.
Hermann K.
Franz L.
Wilhelm M.
Lambert P.
Peter S.
Karl S.
Alois S.
Josef S.
Kurt W.

Topografie
Ausflugsziel: Rösrath, Strandbad "Ammerland"
Treffpunkt: Köln, Georgsplatz
Ausflugsziel: "Königsforst", Königsforst

Lieder
Die Goldene Horde
Graue Kolonnen ziehen in der Sonn
Hab Sehnsucht nach den blauen Bergen
Als wir einst reisten nach Amerika
Am Golf von Biskaja
Nerother Bummler
Des Nachts, wenn alles schläft, nur ich allein bin wach (Tiroler Lied)
Die Sonne von Mexiko (Der Navajo)
Die Steppe zittert (Tscherkessenlied)
Hohe Tannen weisen die Sterne
Ihr lieben Kameraden
In der Blech, da sieht es aus
In Madrid in einer Spelunke
Jenseits des Tales
Lied der Koltschaksoldaten
Platoff preisen wir den Helden
Träumend denken wir im Sattel
Wir haben die ganze Welt beglotzt
Wir lagen kurz vor Madagaskar
Wir waren schon hier und dort

Lexikon
Kluft
Hitlerjugend (HJ)
Nerother Wandervogel
Gestapo
Pfadfinder
HJ-Streifendienst (SRD)
Lieder
Nationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps (NSKK)
Denunziation
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV)
Verordnung zum Schutz von Volk und Staat (28. Februar 1933)
Navajo
Schutzhaft
Klingelpütz