Ein halbes Jahr nachdem die Jugendschutzverordnung am 9. März 1940 erlassen wurde, berichtet das Landesjugendamt über die Anwendung der Verordnung und ihre Auswirkungen in der Rheinprovinz. Der Bericht basiert auf 81 Berichten von insgesamt 97 Jugendämtern der Rheinprovinz.
Nach einführenden Bemerkungen zur Quellengrundlage wird auf die Bedeutung der Jugendschutzverordnung und die Rolle des HJ-Streifendienstes eingegangen: "Allgemein ist festzustellen, dass die Jugendämter die Einführung der Jugendschutzverordnung lebhaft begrüssen. Sie messen der Durchführung des Streifendienstes eine sehr günstige Rückwirkung auf das Verhalten der Jugendlichen bei. Im Allgemeinen haben sich die Anfang des Krieges gerade in der Rheinprovinz zutage getretenen Erscheinungen einer sittlichen Verwahrlosung der Jugend zwar nicht so, wie zu befürchten war, ausgewirkt; trotzdem muss auch noch jetzt der Betreuung der Jugend besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden."
Insgesamt sind nach den Berichten der Jugendämter in der Rheinprovinz zwischen dem 1. Mai 1940 und dem 30. Oktober 1940 rd. 15.800 Jugendliche wegen Übertretung der Jugendschutzverordnung gestellt worden. Die Übertretungen sind etwa zu 2/3 von Jungen und zu 1/3 von Mädchen begangen worden. Gegen die gestellten Jugendlichen wurde in etwa 45% der Fälle eine einfache polizeiliche Verwarnung ausgesprochen, in knapp 25% gebührenpflichtige Verwarnungen angewandt und in 28% eine Geldstrafe verhängt. "Einschneidendere Erziehungsmassnahmen" würden dagegen kaum ins Gewicht fallen.
Weiter heißt es in dem Bericht: "Bezüglich der Art der Übertretungen ist festzustellen, dass vor allen Dingen der unbefugte Aufenthalt auf Strassen und Plätzen in den Abendstunden Anlass zum Einschreiten war. In weitem Abstand folgen dann Übertretungen des Lokalverbotes, des Besuchs von Lichtspielveranstaltungen in den Abendstunden und des Rauchverbotes, Besuch der Tanzlustbarkeiten spielte während des Sommers wegen Einstellung der Tanzlustbarkeiten kaum eine Rolle. Die übrigen Übertretungen sind geringfügig. Zahlenmäßig ergibt sich folgendes Bild: Verstoss gegen § 1: Aufenthaltsverbot auf Strassen und Plätzen: 50,5% § 2: Lokalverbot 13,5% § 4: Kinoverbot 17% § 5: Rauchverbot 10,5% § 6: Tanzverbot 7% § 8: Verbot des Besuchs von Schiess- und Spieleinrichtungen 0,2%"
Aus dem Bericht geht ferner hervor, dass die Polizeiverordnung in einzelnen Städten der Rheinprovinz höchst unterschiedlich gehandhabt wird, ohne hierzu jedoch genauere Angaben zu machen. Unklarheiten bestehen etwa darüber, wie die Streifen reagieren sollen, wenn sich Jugendliche einer Strafe wegen Aufenthaltes auf Strassen und Plätzen dadurch entziehen, dass sie angeben, auf dem Wege von einem Lokal oder Kino nach Hause zu sein, die sie ja bis 21 Uhr besuchen dürfen. Der Vertreter des Landesjugendamtes ist der Ansicht, dass sich hieraus kein Verstoß gegen das Aufenthaltsverbot auf Strassen und Plätzen ableiten lasse, wenn nicht die Unwahrheit dieser Aussage nachgewiesen werden kann: "Ob eine Änderung der Verordnung, die auch diesen Aufenthalt auf Strassen untersagt, erforderlich ist, müsste aus den Erfahrungen des Streifendienstes durch die Polizei entschieden werden."
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