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Großrazzia gegen "Navajos"

Am 22. Oktober 1937 ausgestellter Haftbefehl gegen einen "Navajo"

Ihre tatsächlichen und vorgeblichen Beobachtungen der vorangegangenen Wochen und Monate, insbesondere aber wohl die Ereignisse auf der Hohe Straße am 12. Oktober und die Vorfälle am Georgplatz in den nachfolgenden Tagen, veranlassen die Kölner Gestapo, aktiv zu werden. "All diese Vorkommnisse, insbesondere um festzustellen, worauf die Verwahrlosung dieser jungen Burschen zurückzuführen ist oder ob marxistische oder auch bündische Tendenz zugrunde liegen", so heißt es in einem Gestapobericht vom gleichen Tag, hätten Veranlassung gegeben, "am 21.10.1937, in der Zeit von 19:30 bis 22:30 Uhr, schlagartige Razzien" an den der Gestapo bis dahin bekannten "Treffs dieser Burschen durchzuführen und die Betroffenen der hiesigen Dienststelle vorzuführen, um durch entsprechende Maßnahmen Einhalt zu gebieten". Die Ermittlungen gegen die Jugendlichen vom Georgplatz hätten ergeben, dass zwar keine einheitliche Führung festzustellen ist, wohl aber, "Bestrebungen vorhanden sind, Jugendlichen einen staatsfeindlichen, bündischen Geist zu vermitteln". Besonders bedrohlich erscheint dem berichtenden Beamten dabei die Tatsache, dass die im Zusammenhang mit dem Georgplatz verhafteten Jugendlichen selbst in den Zellen des EL-DE-Hauses weiterhin die "Lieder der Navajos" gesungen hätten - ein deutlicher Beleg dafür, "daß der staatsfeindliche, bündische Geist bereits bei den Burschen fest verwurzelt" sei.

Die "Großrazzia" teilt sich in drei Streifen auf, die folgende Parks, Plätze und Straßen kontrollierten. Hierbei werden zahlreiche Jugendliche allein aufgrund ihrer Anwesenheit und ihrer Kleidung festgenommen. Inspiziert werden:

Duffesbach/Ecke Saarstraße (2 Festnahmen)
Horst-Wessel-Platz (heute: Rathenauplatz) (2 Festnahmen)
Eifelplatz (1 Festnahme)
An der Nikolauskirche (Sülz) (4 Festnahmen)
Georgplatz (6 Festnahmen)
Leystapel (Treffpunkt "Tauzieher") (1 Festnahme)
Venloerstraße/Höhe Körnerstraße (verschiedene Orte) (12 Festnahmen)
Blücherpark (4 Festnahmen)
GrüngürtelNeusser Straße
Wilhelmplatz
Deutzer Freiheit (3 Festnahmen)
Lunapark (Kalk) (4 Festnahmen)
Nähe Lunapark (5 Festnahmen)
Wichheimer Str. (Mülheim) (3 Festnahmen).

Viele der Jugendliche werden nach einer Verwarnung wieder entlassen, andere der Gestapo überstellt.

Die vernimmt am 22. Oktober 1937 insgesamt 32 Jugendliche und kommt - laut Bericht des offenbar verantwortlichen Gestapobeamten Sch. - zu dem Ergebnis, dass "die Vereinigung 'Navajos' das Bestreben zur Fortsetzung aufgelöster bündischer Gruppen in illegaler Form" bedeute. "Es dürfte außer Zweifel stehen, daß sich der größte Teil der Beschuldigten bewußt als zu einer Gruppe gehörend betrachtete, die gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstößt", was einige der Verhörten auch zugegeben hätten. "Trotzdem, oder gerade deshalb, setzten sie ihr Treiben fort, trugen ihre einheitliche Kluft immer bewußter zur Schau und trachteten danach, ihr einheitliches Liedgut, das zum Teil den Pfadfindern und Nerothern entnommen ist, immer weiter zu vervollständigen. Sie schufen immer neue Strophen zu den Liedern, in denen sie selbst zum Ausdruck brachten, daß sie zur Gruppe der Navajos zugehörig sind." Einen guter Beleg hierfür seien die in der Wohnung von Heinrich S. gefundenen Liedtexte. Ein Text thematisiere sogar "das Verbotene ihres Tuns". Lieder, einheitliche Kleidung, geheimer Gruß, besondere Abzeichen (z.B. Pfadfinderlilie oder Totenkopf auf Kraftriemen) sowie "gemeinsame Fahrten in größeren Cliquen nach Rösrath" (Ammerländchen, Haus Steeg) weisen darauf hin, "daß der bündische Fahrtenbetrieb in alter Frische fortgesetzt" werde. Als besonders bedrohlich stellt Sch. dar, "daß die einzelnen Cliquen aus dem ganzen Stadtgebiet - Ehrenfeld, Kalk und Köln-Mitte - einen engen Konnex miteinander hatten und gleiche Ziele verfolgten". Dieser Zusammenhang artikuliere sich am augenfälligsten in dem gemeinsamen Fahrtziel des Strandbads "Ammerländchen" in Rösrath. "Gerade auf diesen Fahrten, die in geschlossenen Kolonnen in einheitlicher Kluft erfolgten", so unterstellt Sch. ohne eigentliche Beweise, sei "der bündische Charakter der Navajos ohne weiteres zu erkennen". Das würden auch die Fotografien belegen, die bei einigen der Beschuldigten gefunden worden seien. Die Schlussfolgerungen liegen für den Gestapobeamten auf der Hand: "All dies dürfte eindeutig beweisen, daß es sich bei den Navajos um eine Fortsetzung der bündischen Jugend mit ihren übelsten Folgeerscheinungen handelt, und daß sich die Teilnehmer des Vergehens gegen § 1.4 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 28.2.1933 schuldig gemacht haben."

Immerhin werden am Abend des 22. Oktober 1937 noch 16 Jugendliche, denen "eine bündische Betätigung nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden konnte", aus der Gestapohaft entlassen. Zahlreiche Andere werden kurzerhand offiziell festgenommen und ins Polizeigefängnis Klingelpütz eingeliefert.

Am 23. November 1937 reicht der zuständige Düsseldorfer Oberstaatsanwalt die Anklageschrift beim Sondergericht Köln gegen 16 Beschuldigte ein. Dort heißt es: "Die Ermittlungen der Staatspolizeistelle Köln haben sowohl in diesem als auch in weiteren noch anhängigen Verfahren ergeben, daß sich nach der Machtübernahme in Köln eine Reihe von Gruppen jüngerer Personen gebildet haben, die bis in die letzte Zeit hinein den Zusammenhang der verbotenen bündischen Jugend fortgesetzt haben. Die Angehörigen dieser Gruppen nannten sich selbst "Navajos". Innerhalb der Gruppen wurde das Liedgut der verbotenen bündischen Jugend gepflegt, es fanden regelmäßig in Köln an bestimmten Punkten Zusammenkünfte statt, bei denen verbotene bündische Lieder gesungen und Fahrten verabredet wurden. Die "Navajos" unternahmen regelmäßige Fahrten in die nähere und weitere Umgebung von Köln. Außer einem einheitlichen Liedgut hatten die " Navajos " eine fast einheitliche Kleidung und einheitliche Abzeichen, wie z.B. Pfadfinderlilien und Totenköpfe, die an Armriemen am Handgelenk getragen wurden. Innerhalb der "Navajos" galt auch eine einheitliche Grußform, und zwar eine bestimmte Art des Händedrucks; diese Grußform ist von früheren bündischen Organisationen übernommen worden.

Bei fast sämtlichen Angehörigen der "Navajos" ist eine mehr oder weniger offene Ablehnung gegenüber der deutschen Staatsjugend festzustellen. Hieraus haben sich eine ganze Reihe von Zusammenstößen mit Angehörigen der HJ ergeben, die durchweg von den "Navajos" absichtlich herbeigeführt wurden.

Wie stark die bündische Gesinnung bei den Beschuldigten ausgeprägt ist, ergibt sich schon daraus, daß mehrere von ihnen noch in den Gefängniszellen die Lieder der "Navajos " singen.

Die Angeschuldigten, die sich sämtlich in dem vorgenannten Sinne innerhalb der "Navajos" betätigt haben, geben den Sachverhalt im wesentlichen zu; sie werden im übrigen durch die Zeugen überführt." In einer "Nachtragsanklageschrift" vom gleichen Tag werden außerdem Theodor B., Wilhelm M., Alois S. und Leo D. wegen des Vorfalls mit dem NSKK-Verkehrserziehungsdienstes auf der Hohe Straße am 12. Oktober 1937 wegen Widerstandshandlung und Körperverletzung angeklagt.

In einer dreitägigen Verhandlung (14. bis 16. Dezember 1937) werden die Jugendlichen - abgesehen von einem Freispruch - zu bis zu dreimonatigen Gefängnisstrafen verurteilt, wobei sich das Gericht die Ergebnisse des Gestapoberichts weitgehend zu Eigen macht.



 
Lexikon
Kluft
Bündische Jugend
Gestapo
Lieder
Verordnung zum Schutz von Volk und Staat (28. Februar 1933)
Navajo
EL-DE-Haus
Klingelpütz