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Surimono – Die Kunst der Anspielung
im japanischen Farbholzdruck

Surimono -
Die Kunst der Anspielung im japanischen Farbholzdruck

Die Ausstellung zeigt 1117 japanische Farbholzdrucke, die als luxuriöse und besonders kost-bare Privateditionen (surimono) von Dichterzirkeln in Auftrag gegeben wurden. Die Samm-lung des Künstlers Marino Lusy (1880 – 1954) gehört dem Museum für Gestaltung in Zürich und befindet sich seit 2005 als Dauerleihgabe im Museum Rietberg, wo sie durch ein interna-tionales Forscherteam unter Leitung von John Carpenter, Professor an der School of Oriental and African Studies (SOAS) der Universität London intensiv erforscht und auf gearbeitet wurde. Die Sammlung Lusy zählt zu den bedeutendsten Surimono-Sammlungen Europas und zeugt durch ihre hervorragende Qualität und den phantastischen Erhaltungszustand der Blät-ter von der beeindruckenden Kennerschaft Lusys.

Teil I der Sammlung wurde erstmals vom 7. Dezember 2008 bis 13. April 2009 im Museum Rietberg in einer Sonderausstellung präsentiert. Die Ausstellung in Köln zeigt Teil II.

Die Sammlung Marino Lusy

Der gebürtige Schweizer Künstler Marino Lusy (1880-1954) lebte in Triest, Paris und Montreux. Nach seinem Architekturstudium arbeitete er auf dem Gebiet der Radierung.
Er unternahm längere Reisen in den Nahen und Fernen Osten sowie nach Afrika. Lusy war ein Japanliebhaber. Einige seiner graphischen Arbeiten scheinen direkt von japanischen Vorbildern beeinflusst worden zu sein. Den Schwerpunkt seiner Sammlung bilden die luxuriösen, kleinformatigen Surimono. Die meisten Blätter erwarb er in den 1920er und 1930er Jahren auf Auktionen und bei Händlern in Paris. Lusy beschäftigte sich intensiv mit der Sprache, Kunst und Kultur Japans und pflegte den Kontakt zu Japanforschern, die ihm beim Entziffern von Künstlersignaturen und Gedichtaufschriften halfen. Er war bestrebt, die Bildinhalte zu entschlüsseln und den Zusammenhang zwischen den Gedichten und den dargestellten Szenen nachzuvollziehen. Damit zählt er zu den ersten Europäern, die sich um die Dechiffrierung von Bild und Text auf Surimono bemühten.

Surimono

Surimono, wörtlich „gedruckte Dinge“, sind privat veröffentlichte kleinformatige Farbholzschnitte, die in geringer Auflage für einen begrenzten Abnehmerkreis gefertigt wurden. Sie faszinieren durch ihre subtile Ästhetik und die Anwendung aufwändiger Drucktechniken, etwa des vielfarbigen Brokatdrucks (nishiki-e). Zusätzlich aufgestreuter Metallglimmer in Gold, Silber oder Kupfer machen sie zu Meisterwerken japanischer Druckkunst.

Surimono wurden häufig als Glückwunschblätter zu Neujahr überreicht, dienten aber auch der Ankündigung oder Erinnerung bestimmter Anlässe wie privater Feiern, Musik- und Theaterveranstaltungen. Stilistisch folgten die mit dem Entwurf beauftragten Künstler dem für den kommerziellen Holzschnitt typischen Stil des Ukiyo-e, wörtlich „Bilder der fließenden Welt“. Charakteristisch sind klar umrissene Bildelemente, eindrucksvolle Bildkompositionen sowie eine dekorativ flächige Gestaltung der Gewänder und eine typisierte Wiedergabe der Gesichter.

Neben den privat vertriebenen Einzelblattdrucken bezeichnet man seit dem frühen 19. Jahrhundert auch alle privat veröffentlichten Bildkalender (e-goyomi), die dem traditionellen japanischen Mondkalender folgen, als Surimono. In den Kalenderblättern verweisen bestimmte Motive im Gewanddekor oder einzelne Bildelemente auf den Zwölferzyklus der Tierkreiszeichen und auf die Zahlen der kurzen und langen Mondmonate.

Die Popularität der Kyōka-Dichtkunst führte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Angehörige unterschiedlichster Gesellschaftsschichten in Dichterzirkeln zusammen. Die überall entstehenden Dichtergruppen (gawa) und Dichterzirkel (ren), darunter die Go-Gawa, Taiko-gawa, Yomo-gawa  sowie die Hanazonoren, Katsushika-ren und Shippō-ren wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu Hauptauftraggebern für Surimono. Zahlreiche Blätter des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts enthalten 31-silbige Scherzgedichte (kyōka). Diese stehen in einer wechselseitigen und vielschichtigen Beziehung zu den Bildmotiven. Als Standardformat  für Surimono setzte sich die annähernd quadratische (ca. 20 x 18 cm) Gedichtblattform (shikishiban) durch.

Frauen

Unter den Surimono der Sammlung Lusy finden sich zahlreiche Frauendarstellungen. Die prächtig gekleideten Schönheiten (bijin) sind Geishas und Kurtisanen aus dem Vergnügungsviertel Yoshiwara aber auch Hofdamen und Bürgerfrauen. Sie werden häufig in anmutiger Pose beim Verrichten häuslicher Tätigkeiten, die mit der Ankunft des neuen Jahres in Verbindung stehen, präsentiert. Die als Serie in Auftrag gegebenen Blätter zeigen Frauen beim Musizieren, Schreiben oder Dichten, nach dem Bad, beim Ankleiden und Frisieren sowie beim Zubereiten und Servieren von Tee, Sake oder Speisen und beim Genuss der Tabakpfeife. Oft sind die Blätter mit Neujahrsattributen versehen. Daneben gibt es auch einige Surimono mit der Darstellung einfacher Frauen aus den unteren Gesellschaftsklassen, die während der Ausübung ihrer Arbeit als Färberinnen, Muschelsammlerinnen, Holzhändlerinnen, Wandermusikantinnen oder auch als Prostituierte gezeigt werden.

Mythologische und religiöse Figuren

Bei der Darstellung von Glücksgöttern, Unsterblichen oder anderen Sujets der chinesischen und japanischen Vorstellungswelt auf Surimono  übernahm man häufig tradierte Stile der japanischen und chinesischen Figurenmalerei und übertrug sie in den Holzschnitt. Einige Darstellungen zeigen einen hintergründigen Humor indem sie, wie im Blatt nach Utagawa Toyohiro (gest. 1829), den Glücksgott Ebisu als lüsternen alten Mann in Begleitung einer Kurtisane aus dem Vergnügungsviertel wiedergeben.

Literaten und Dichter

Bei den Dichtergruppen und -zirkeln, den Hauptauftraggebern für Surimono, standen japanische und chinesische Dichter und seit Jahrhunderten tradierte literarische Stoffe in hohem Ansehen. Zahlreiche Drucke zeigen als Einzelblatt oder Serie berühmte Dichterinnen und Dichter oder historische Persönlichkeiten im Habitus eines Literaten. Die in Ostasien hochgeschätzte Literatenkultur ist eng mit den Schreibutensilien Pinsel, Tusche, Tuschereibstein und Papier verbunden. Diese werden als die „Vier Kostbarkeiten des Gelehrtenstudios“ bezeichnet und bilden auch im Surimono ein wichtiges Sujet. So verbindet Yashima Gakutei (ca.1786 - ca.1855) in seiner gleichnamigen Serie dieses Bildthema gekonnt mit der Darstellung berühmter japanischer Schriftsteller und Dichter.

Auf vielen Blättern verweisen die wie zufällig platzierten Attribute, Tiere oder Dekore auf charakteristische Eigenschaften, Fähigkeiten oder auf überlieferte biographische Details aus dem Leben der dargestellten Dichters. Im Porträt des chinesischen Poeten Lin Hejing (967-1028) von Totoya Hokkei (1780-1850), das er im Auftrag des Hanazono-Zirkels entwarf, steht der Kranich für Lins Zuneigung zu diesem Vogel und der Blütendekor auf seinem Gewand für seine Bewunderung der Pflaumenblüte. Beide Motive lassen sich zudem als Wunsch nach einem langem Leben (Kranich) und Glückwünsche zum neuen Jahr (Pflaumenblüten)  interpretieren.

Männer in Frauengestalt (mitate-e)

Bei den Kurtisanenblättern findet sich häufig das parodierende Stilelement des mitate, das auch als Stilmittel in der Lyrik zu finden ist.
Die dargestellten Frauen stehen eigentlich für bestimmte männliche Figuren wie Gelehrte, Krieger, Götter oder Unsterbliche. Durch die Art der Darstellung und das Hinzufügen bestimmter Attribute ergeben sich vieldeutige Anspielungen auf die japanische und chinesische Mythologie, auf Szenen der klassischen japanischen Literatur oder auf konkrete historische Begebenheiten.

Kompositorisch und drucktechnisch herausragende Beispiele für mitate-e sind die beiden siebenteiligen Surimono-Serien des Künstlers Yashima Gakutei (ca. 1786-ca.1855). Kurtisanen aus dem Vergnügungsviertel Yoshiwara stellen in der einen sieben daoistische Unsterbliche, in der anderen die sieben Glücksgötter dar. Beide Serien sind in der Sammlung Lusy fast vollständig repräsentiert. Das Besondere der mitate-Surimono liegt darin, dass durch das Stilmittel der anspielungsreichen Parodie die Entschlüsselung des eigentlichen Bildthemas besonders komplex wird. Erst das Verständnis der Bildaufschriften und der ergänzenden Attribute und Dekore geben dem Betrachter Aufschluss darüber, welche männliche Figur sich hinter der anmutig posierenden Kurtisane eigentlich verbirgt.
Die Dechiffrierung der anspielungsreichen mitate-e übte auf die literarisch gebildeten Mitglieder der Dichterzirkel eine besondere Faszination aus.

Schauspieler (yakusha-e)

Im Gegensatz zum älteren und aristokratischen -Theater spielte das bürgerliche Kabuki-Theater eine wichtige Rolle im Leben der Städter. Es hatte sich im 17. Jahrhundert aus Puppenspiel, Tanzpantomime und Possenspiel entwickelt. Nach einem Verbot von weiblichen und jungen männlichen Darstellern wurden auch die Frauenrollen von männlichen Darstellern, den Onnagata, gespielt. Die Inszenierungen und Kostüme des Kabuki waren stark auf ihre optische Wirkung ausgerichtet. Die Gestik der Schauspieler war hoch entwickelt. Auf Holzschnitten sieht man die Schauspieler häufig in einer charakteristischen Pose (mie) verewigt.
Neben historischen Inhalten wurden im Kabuki auch aktuelle politische Machtkämpfe und Intrigen aufgegriffen. In der Hauptstadt Edo stammten vom späten 17. bis zum späten 19. Jahrhundert die wichtigsten Kabuki-Künstler aus der Schauspieler-Dynastie der Ichikawa. Auf Surimono der Sammlung Lusy finden sich zahlreiche Portraits des berühmten Schauspielers Ichikawa Danjūrō VII. (1791-1859). Sie zeigen ihn in verschiedenen Rollen. Die Entwürfe dafür stammen häufig von Utagawa Kunisada (1786-1864), der auf dieses Bildthema spezialisiert war.

Helden und Krieger (musha-e)

Helden auf Surimono sind bis auf wenige Ausnahmen männlich. Es handelt sich um bekannte Figuren der chinesischen und japanischen historischen Literatur oder um Personen aus Legenden und Romanen.

Die Protagonisten des auch in Japan populären chinesischen Heldenromans „Die Räuber vom Liangshan-Moor“ (chin. shuihuzhuan, jap.suikoden) sind ein beliebtes Bildthema. So wird in der fünfteiligen Serie des Künstlers Totoya Hokkei (1780-1850) jeweils einer der fünf kraftstrotzenden Gesetzlosen mit einem der fünf „Elemente“ (Feuer, Wasser, Erde, Holz, Metall) assoziiert. In dieser Ausstellung werden die drei Helden Song Jiang (Feuer), Li Kui (Metall) und Zhang Sun (Wasser) präsentiert.

Eine andere Bildsprache zeigt die Serie „Vierundzwanzig Generäle“ des Künstlers Yashima Gakutei (ca.1786-ca.1855). Sie zeigt insgesamt vierundzwanzig bekannte Episoden aus der japanischen Militärgeschichte und aus historischen Legenden vom Altertum bis in die Edo-Zeit (1603-1868). Einige Blätter stellen Generäle in Samurai-Rüstung dar. Führende Mitglieder des Dichterzirkels Katsushika-ren stammten von Samurai-Familien ab und ließen ihre Vorbilder im Holzschnitt wieder aufleben. In der Kölner Ausstellung ist die Serie mit vier Blättern vertreten.

Stillleben

Die frühesten japanischen Stillleben zeigen exotische Objekte und Erfindungen aus Europa, deren Kenntnis über China nach Japan gelangte. Beliebte Motive sind englische Uhren, Teleskope oder Mikroskope. Zunächst wurden in den Stillleben nur einzelne Objekte dargestellt, später entstanden komplexe Arrangements alltäglicher und kostbarer Gegen-stände. Diese sind meist symbolisch als verschlüsselter Neujahrsgruß zu verstehen. Zu Stillleben arrangierte Meerestiere, etwa Thunfisch, Oktopus und Brasse, verweisen wie auf dem Druck nach dem Entwurf von Setsuri (tätig 1820er Jahre) auf typische japanische Neujahrsspeisen. Arrangements von Musikinstrumenten zusammen mit Gedichtaufschriften spielen meist auf den Frühling an.

Auch Pflanzendarstellungen wie blühende Kirsch- und Pflaumenzweige, Kiefer und Bambus finden sich auf Surimono und werden in Japan mit der Symbolik des Frühlings und somit des neu beginnenden Jahres assoziiert. Naturgetreue Tierdarstellungen oder im Dekor versteckte Hinweise deuten auf eines der zwölf Jahrestiere (Ratte, Ochse, Tiger, Hase, Drache, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund und Schwein) hin. Dem kundigen Betrachter geben sie Aufschluss über das Jahr, zu dessen Beginn das Surimono-Blatt veröffentlicht wurde.

Landschaft

Landschaftsausschnitte bilden bei zahlreichen Surimono den Hintergrund für Figurendarstellungen. Daneben finden sich aber auch Drucke, in denen der Darstellung der Natur eine größere Bedeutung zukommt. Bei der Mehrzahl dieser Blätter handelt es sich nicht um Naturdarstellungen „an sich“, vielmehr verweisen sie ausschnitthaft auf berühmte Gärten, Orte und Reiseziele Japans. Häufig sind Personen in die Szenerie eingebettet. Der mythisch bedeutsame höchste Berg Japans, Fujisan, bildet ein beliebtes Hintergrundmotiv.

Surimono mit Landschaftsdarstellungen übertragen verschiedene Traditionen der Landschaftsmalerei in das Medium des Farbholzdrucks. Die graphische Auffassung mit Betonung der Umrisslinie, wie in Totoya Hokkeis (1780 -1850) Serie „Reise nach Enoshima“ entspricht der Ausdrucksweise der Ukiyo-e Meister. Tsutsumi Tōrins (tätig 1780-1820) Umsetzung einer ausgereiften Pinseltechnik mit fein abgestuften Tuschelavierungen, folgt dagegen der monochromen Tuschemalerei chinesischen Stils. Daneben finden sich poetische Kompositionen wie im Blatt „Regenpfeifer über Wellen“ nach Totoya Hokkei und stark stilisierte, dekorative Umsetzungen des typischen Landschaftsthemas „Wasser und Felsen“.